In Schlucken-zwei-Spechte. Harry Rowohlt

In Schlucken-zwei-Spechte - Harry Rowohlt


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von seiner Freundin, der tschechischen Schau­spielerin Lida Baarova, trennen, weil sie Halbjüdin war. Weil meine Mutter von weitem genauso aussah wie Lida Baarova, hatte man sie als Tischdame ausgesucht. Glücklicherweise saß ihr ein alter Kollege aus Bochumer Zeiten gegenüber. »Maria«, sagte der, »mach doch nochmal den Saladin Schmitt.« Also schwulte sie: »Meine liebste, beste, teuerste Freun­din, gehen Sie weg. Ich kann Sie nicht mehr sehen.« Plötzlich Totenstille, weil Goebbels glaubte, sie hätte ihn nachgemacht. Auf diese Weise hat sich das mit Goebbels und meiner Mutter zerschlagen. Leider. Die hätte ich ihm nämlich gegönnt. Es wäre doch schön gewesen, wenn er sich nach einer Halbjüdin eine Halbzigeunerin eingehandelt hätte. Da hätten seine Kumpel aber ir­gendwann mal gedacht: »Der Goebbels, der hat aber auch einen seltsamen Weibergeschmack.«

      Wann hat sie denn deinen Vater kennengelernt?

      Mein Vater war im Ersten Weltkrieg in der Kavallerie gewesen, wie sich das gehört. Er war als einer der ersten dabei, als die Luftwaffe erfunden wurde. Daß er geflogen ist, hat man seiner Autofahrerei angemerkt. Glückli­cherweise hatte er später einen Chauffeur. Er ist immer wieder mit seinem Verlag pleite gegangen, insgesamt fünf Mal. Deshalb bin ich auch ganz froh, daß ich nicht in den Rowohlt Verlag eingetreten bin, denn diese Tradi­tion hätte ich als erstes wiederbelebt. Im Zweiten Welt­krieg emigrierte er zunächst nach Brasilien, obwohl man nicht so genau weiß, ob es sich wirklich um eine Emigra­tion oder nicht vielleicht doch nur um einen Abenteuer­urlaub handelte. Er kam erst zurück, als Deutschland die Sowjetunion überfallen hatte. Er dachte, daß es ja wohl nicht mehr lange dauern könne. Er ist auf einem Blockadebrecher zurückgekommen, weil er nicht erst zurückkehren wollte, nachdem Deutschland verloren hatte. Er wollte noch ein bißchen mitmischen. Es hat aber sehr viel länger gedauert, als er angenommen hat­te, so daß er wieder zur Luftwaffe mußte.

      Auf Kreta hat er gegen die Engländer gekämpft. Und wie! Er merkte ziemlich bald, daß die Griechen, die seit Jahren Bürger­krieg hatten, schon seit Jahrzehnten mit denselben Spielkarten spielten, so daß jeder wußte, welches Blatt der andere hatte, so abge­wetzt waren die Karten. Er hat sich mit seinen alten Verlegerbeziehungen von der Al­tenburger Skatkarten­druckerei neue Spielkarten kom­men lassen und hat sie gegen Ouzo und Retsina ver­scherbelt. Zweitens hat er mit Dynamit gehandelt. Aus den Bomben, die er auf die Engländer abwerfen sollte, hat er etwa vier Fünftel des Schießpulvers abgezweigt – die Bomben konnte man ja ganz leicht aufschrauben – und es gegen Naturalien an die Griechen ver­tschintscht. Er wußte natürlich, daß die Griechen auch noch etwas anderes damit gemacht haben, als das Dynamit zum Fischen zu verwenden, aber das war ihm auch ganz recht. Anschließend hat er brav seine Bomben ins Ge­lände geschmissen, wo sie kein Unheil anrichten konn­ten, und sie haben auch schön geknallt, aber sonst wa­ren sie harmlos.

      Eine dieser Bomben hat er aus Verse­hen auf eine englische Feldküche geschmissen, die so gut getarnt war, daß man sie beim besten Willen aus der Luft nicht sehen konnte. Die machte »Peng«, ganz zag­haft zwar, aber sie hat dennoch einigen Schaden ange­richtet. Da hatte er ein so schlechtes Gewissen, daß er den nächsten Fliegerangriff auf der Tragfläche mitflog, weil er dachte, wenn es ihn herunterwehen würde, hätte er selbst schuld – Gottesgericht sozusagen. Seine Ein­stellung wurde schließlich ruchbar, und zu einer Zeit, als sie bereits Kinder und Greise einzogen, wurde er wegen politischer Unzuverlässigkeit unehrenhaft aus den Heeresdiensten entlassen und langweilte sich fortan in Grünheide bei Berlin.

      Mein Vater hätte den Zweiten Weltkrieg fast ver­paßt, weil man ihn mit seinem Vater verwechselt und ihn für tot erklärt hatte. Nach einem kurzen Einsatz in Nord­afrika bekam er dann Tropenfieber und verbrachte den Rest des Krieges im Lazarett in Italien. Wie ist es dei­nem Vater denn zum Kriegsende ergangen?

      Weil mein Vater immerhin in zwei Weltkriegen Erfah­rungen gesammelt hatte, wurde er Hauptmann. Das war er, glaube ich, schon im Ersten Weltkrieg, im Zwei­ten ist nicht viel dazukommen. In Friedenszeiten wird man ja schneller befördert als in Kriegszeiten. Nun sollte er den Volkssturm von Berlin-Grünheide organi­sieren. Mein Vater kannte niemanden in Grünheide. Sein Nachbar, ein sozialdemokratischer Tischler, hat zwei Listen ange­fertigt, eine mit Nazis und eine mit Nicht-Nazis. Mit den Nazis ist mein Vater in den Wald gegangen und hat sie Griffe kloppen lassen. Er hat ihnen die Eier ge­schliffen, bis ihnen das Arschwasser in der Kimme koch­te. Der Tischler requirierte mit den Nicht-Nazis Nah­rungsmittel, weil ein Volkssturm ja von ir­gend etwas leben mußte. Abends lagen die Nazis auf ihren Betten, verbanden sich ihre Wunden und Blasen, stöhnten und hatten Muskelkater. Mein Alter, der Tischler und die Nicht-Nazis soffen währenddessen die Nahrungsmittel weg, die sie tagsüber requiriert hatten.

      War deine Mutter damals bei ihm in Grünheide?

      Nein, sie hatte sich nach Hamburg abgesetzt. Nach der Schließung des Schiller-Theaters wurde es plötzlich wichtig, ob man einen Ariernachweis hatte, aber sie war ohnehin zu schwanger, um noch das Gretchen spielen zu können, obwohl das natürlich gut gepaßt hätte, bei die­ser Kindsmörderin. Zum Emigrieren war es auch schon viel zu spät, und da haben ihr alle geraten, nach Ham­burg zu gehen. »Das ist fast so gut wie emigriert, denn die Hamburger fiebern den Engländern entgegen, um sich endlich ergeben zu dürfen.« So bin ich Hamburger geworden.

      Und dein Vater ist 1945 nachgekommen?

      Er hat sich von seinem Volkssturm in Grünheide abge­setzt. Den sozialdemokratischen Tischler ernannte er zu seinem Nachfolger mit dem dienstlichen Befehl, beim ersten Russen, den sie sehen, sofort weiße und wenn möglich auch ein paar rote Fahnen zu hissen. Auf diese Weise ist der Volkssturm in Grünheide bei Berlin ge­schlossen in sowjetische Kriegsgefangenschaft gegangen und geschlossen zwei Tage später wieder entlassen wor­den, weil er so vorbildlich die Waffen gestreckt hatte. Insofern sehe ich in meinem Alten durchaus einen Kriegshelden. Er ging dann mehr oder weniger zu Fuß nach Hamburg, um zu sehen, was da läuft. Geheiratet haben meine Eltern erst, als ich schon zehn Jahre alt war. Ich fand das immer noch verfrüht. Nur weil ein Kind da ist, tut man das doch nicht.

      Seitdem heißt du Ro­wohlt?

      Wenn ich Bücher signiere, die ich aus dem irischen Eng­lisch übersetzt habe, und ich nicht immer ein Harry Rowohlt hinsetzen will, schreibe ich auch manchmal Harry auf irisch. Wie man das macht, habe ich in Dublin in der »Harry Street« abgekupfert. H E A R A I D H. Es ist also ganz einfach. Und dann schreibe ich Hearaidh FitzRowohlt, wobei Fitz als Präfix für uneheliche Geburt steht. Meine Eltern haben mich dann leider doch ehelich gemacht.

      Und wo bist du aufgewachsen, als du noch un­ehe­lich warst?

      Ich war jetzt zwar geboren, aber ich erinnere mich na­türlich nicht mehr daran. Ich wuchs nicht in meiner Heimatstadt Hamburg auf. Dieses Hamburger links­radikale Straßenorchester »Tuten & Blasen« hat sich mal geweigert, mich als Trommler aufzunehmen, weil ich nicht ordentlich Noten lesen kann. Da bleibt mir als letzte Zuflucht nur noch der »Shanty-Chor des Vereins gebürtiger Hamburger e.V.« Die können mich nun wirk­lich nicht zurückweisen. Sogar für den früheren Ham­burger Bürgermeister Henning Voscherau ist eine Aus­nahme gemacht worden. Der wurde nämlich nicht in Hamburg geboren, sondern hart an der Grenze. Irgend­wo im Landkreis Storman. Auf jeden Fall ist er kein gebürtiger Hamburger – im Gegensatz zu mir. Bewußt aufgewachsen bin ich in Wiesbaden im Alter von zwei bis sechs. Mit großem Genuß. Wir hatten einen wunder­baren Kindergarten. Lauter Schauspielerinnen und Künstlerinnen – also das, was man heutzutage als al­leinerziehende Mütter bezeichnen würde – haben zu­sammengelegt und eine Kindergärtnerin bezahlt, die wir alle sehr liebten. Sie hieß Tante Renate. Das war ein Kinderladen lange vor der Zeit. Vor ein paar Jahren hatte ich meine erste Lesung in Wiesbaden und erzählte in der Einschleimphase von dieser Wiesbadener Zeit. In der Pause kam eine sehr süß anzusehende ältere Dame und gab sich als Tante Renate zu erkennen. Ich habe sie gefragt, wie alt sie ist, und plötzlich wurde mir klar, warum wir sie so geliebt haben. Sie war damals sech­zehn Jahre alt, also nicht wesentlich älter als wir. Mein bester Freund war Timmi Belwe. Damals hatte Tan­te Renate ein neues rattenscharfes Sommerkleid an, dun­kelblau, fast schwarz, mit großen weißen Tupfen. Sie sah sowas von zum Anbeißen in diesem Kleid aus, daß wir fanden, man müßte ihr das sagen. Timmi meinte, ich solle es ihr sagen. Ich sagte, nein, sag du es ihr doch. Wir hatten beide Schiß, und aus Buße haben wir die Tür­pfosten der


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