In Schlucken-zwei-Spechte. Harry Rowohlt

In Schlucken-zwei-Spechte - Harry Rowohlt


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Nur mit dem Nach­namen haper­te es, weil ich nie wußte, wie ich gerade hieß. Heute behauptet meine Mutter, sie hätte Max Rupp nur gehei­ratet, um ihm zwei Wochen Heimatur­laub verpassen zu können. Während der fraglichen Zeit, als ich gezeugt wurde, war er bereits in sowjetischem Gewahrsam, vul­go Kriegsgefangenschaft, weshalb er als Vater rund­her­um nicht in Frage kam.

      Harry Rupp – das klingt wie ein Fußballreporter. »Wir schalten um ins Westfalenstadion zu Harry Rupp. Harry Rupp, bitte melden!« Wie war das nochmal mit dem Luftschutzkeller?

      Ich hatte gutes Glück, daß ich nicht im Krankenhaus, sondern im Luftschutzkeller geboren worden bin. Ich war vor ein paar Jahren mal in dem lokalen Kinder­krankenhaus, das inzwischen eine halboffene Gemeinde­klapsmühle ist.

      Du warst in der Klapsmühle?

      Nur zu Besuch. Sie hatten ein Jubiläum und eine Foto­ausstellung. Ich hab mir das angesehen und dabei fest­gestellt, daß in diesem Krankenhaus Babys eingesam­melt wurden. In der Fotoausstellung im Treppenhaus sah ich, was ich als geschichtlich interessierter Mensch hätte wissen können, daß in diesem Krankenhaus die Transporte mit den Babys zusammengestellt wurden, die wegen Euthanasie ins Gas geschickt wurden. Und meine Mutter hatte keinen Ariernachweis. Bis heute nicht. Das hat sie irgendwie verschlampt. Meine Oma mütterlicherseits war eine italienische Zigeunerin, wo­bei mir eine jüdische Großmutter noch lieber gewesen wäre. Da wäre ich ein bißchen plietscher, aber auf diese Weise habe ich wenigsten den Rhythmus im Blut. Kein Schwein durfte wissen, daß sie eine italienische Zigeu­nerin war, und deshalb hat es auch niemand erfah­ren. Wenn sie einen ihrer gefürchteten Ausbrüche hatte, sagte mein Opa Franz Pierenkämper immer begütigend: »Naja, dat is dat französische Blut.« Damals im Ruhr­gebiet hatte man als italienische Zigeunerin, selbst wenn das geheim gehalten wurde, nicht viele Volksgrup­pen, auf die man herabblicken konnte, weshalb ich heu­te noch einen Merkvers von ihr beherrsche: »In Krupp­sche Baracken, da wohnen Polacken, da laufen die Ka­kerla­ken die Polacken in Nacken. Da nehmen die Po­lacken die Pickhacken und tun die Kakerlaken kaputt hacken.«

      Herrje, Bochumer Büttenpoesie.

      Immerhin. Was man meiner Oma gar nicht zutraute: Sie war Vegetarierin, sie kochte wie eine gesengte Sau. Um ihren Fraß nicht fressen zu müssen, habe ich irgend­wann gesagt: »Ich esse alles, was auf den Tisch kommt, wenn Oma kocht«, weil ich wußte, daß sie das hören wollte. Danach hatte ich den Freibrief, den Kram meiner Oma nicht fressen zu müs­sen. Das Problem war nur: Ich war unterernährt und rachitisch und hatte einen stark geschrumpften Magen. Wasser und Brot waren das einzige, was ich mochte, weshalb ich hoffte, mög­lichst bald ins Gefängnis zu kommen. Das hat sich in­zwischen leider alles sehr geän­dert.

      Mochtest du deine Oma, abgesehen von ihren Kochkün­sten?

      Sie war oft im Knast, abwechselnd wegen »politisch« und Engelmacherei. Am meisten hat sie sich vor der An­staltskleidung gegraust. Sie war ein sehr reinlicher Mensch. Einmal sagte sie: »In dem Kittel war Monate altes Unwohl drin!« Das letzte Mal ist meine Oma müt­terlicherseits im Wartesaal Bonn Hauptbahnhof verhaf­tet worden. Sie wetterte mal wieder über Politik, und ein Herr sagte: »So eine alte Dame sollte sich um Politik nicht mehr bekümmern.« Da stieg meine Oma auf einen Stuhl und schrie: »Und der Adenauer, der alte Bock?« Und schon machte es klick. Die Bahnpolizei hatte sie verhaf­tet. Aber danach passierte nichts mehr. Im Krieg hat sie sich gut über Wasser gehalten. Sie hatte eine Ruine, eine alte Mühle im Hunsrück, gekauft, weil sie zu Recht annahm, daß die nicht bombardiert würde. Sie hat, weil sie Zigeunerin war und das offenbar konnte, den Bauern die Karten gelegt und ihnen geweissagt. Einmal sagte sie einer Bäuerin, ihr kleiner Sohn solle sich vor Wasser hüten, genauer gesagt, vor warmem Wasser, noch ge­nauer, vor heißem Wasser. Und zwar in der allernäch­sten Zukunft, genauer gesagt, jetzt. Die Bäuerin rannte so schnell sie konnte nach Hause. Da war ihr kleiner Sohn schon in den siedend heißen Waschkessel gefallen und verbrüht. Daraufhin wurde meine Oma zum Pfarrer bestellt. Er sagte, sie solle ge­fälligst aufhören, diesen Aberglauben zu verbreiten. Sie hat ihn gefragt: »Warum behandeln Sie mich eigentlich so schlecht? Wir sind doch Kollegen.«

      Hat sie denn an die Karten geglaubt?

      Ja, meine Oma hat, im Gegensatz zum Pfarrer, an ihren Hokuspokus geglaubt. Sie plante immer, im Gegensatz zu mir, ihre Memoiren zu schreiben. Titel: »Die Königin vom Longkamperbach«. Sie konnte nicht ahnen, daß sie bei den Bauern im Hunsrück den Spitznamen »der Teu­fel zu Fuß« hatte. So wie meine Mutter später »der Teu­fel mit dem Auto« hieß. Meine Mutter ist jetzt 91, sie hat sich leider ein neues Auto angeschafft. Die Landbe­völke­rung ist in heller Aufregung. Sie kannten das Ge­räusch ihres alten Autos, das sie nur im ersten Gang fuhr, und konnten sich in Sicherheit bringen. An das neue Auto müssen sie sich erst noch gewöhnen. Sie hatte sogar mal einen BMW, den sie auch nur im ersten Gang gefahren ist. Sie fand auch nie die richtige Autobahn­abfahrt. Sie ist eben Schauspielerin gewesen, und Schauspieler sind nun mal nicht allzu helle. Nach den Stücken, in denen sie mitgespielt hat, kann man sie aber noch fragen. »Käthchen von Heil­bronn« hat sie noch einigermaßen drauf. Außerdem bezieht sie seit Jahr­zehnten den Ka­lender »Mit Goethe durch das Jahr«. Meine Oma hatte einen furcht­bar stacheligen Schnurr- und Kinn­bart. Sie küßte einen ganz laut und aß Knob­lauchpastillen, um ihr Leben zu verlän­gern. Sie sag­te, die seien so gut, weil sie völlig ge­ruch­los seien. Bei dem Wort »geruchlos« blätter­te die Tapete von den Wän­den, und auf dem Ad­vents­kranz brachen die Kerzen in Stich­flammen aus, so sehr stank es nach Karbid. Meine Oma wurde nur 88, meine Mutter ist schon 91. Der Mann meiner Großmut­ter, Fränzken Pierenkämper, war Sitzredakteur beim Bo­chumer Volks­blatt, das heißt, er war verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes. Wenn im Bochumer Volks­blatt irgend­was erschienen war, was der Obrigkeit nicht paß­te, ging er dafür in den Kahn. Sobald er im Kahn war, fing er an, Lyrik zu schreiben. Außerhalb des Kna­stes nur Prosa, innerhalb des Knastes nur Lyrik.

      Wenn also ein Romancier mal Lyrik schreiben möchte, wäre diese Methode durchaus zu empfehlen.

      Ja. Fränzken Pierenkämper war 1917 einer der führen­den Köpfe im Arbeiter- und Soldatenrat von Wilna, und das als Goi. Da mußte man ganz schön was zwischen den Ohren haben. Später war er einer der ersten Mini­ster der jungen Sowjetmacht. Da hat er sich aber nach einer Woche wieder abgeseilt – mit der Begründung: »Sind mir zu links, die Brüder.« Er hat aber später die USPD mitgegründet. Sein Sohn Harry Pierenkämper, nach dem ich benannt wurde, hatte eine Hasenscharte und stotterte, weshalb er Pantomime wurde.

      Eine weise Entscheidung.

      Außerdem war er Mitbegründer des Spartakus. Man kann sich vorstellen, wie muffelig es bei denen zu Hause zuging, denn es gibt ja nichts Unversöhnlicheres als Kommunisten und linke Sozis. Sie wohnten in Bochum-Weitmar, in einer Arbeitersiedlung mit lauter Häusern bis zum Horizont. Eins sieht aus wie das andere, die unterschieden sich genau wie heute nur durch die Vor­gärten. Eines Morgens maulte der Alte seinen Sohn an: »Ich gehe morgen auf eine Vortragsreise, und wenn ich in zehn Tagen zurück bin, und der Vorgarten ist nicht tip-top in Ordnung, dann hast du deine Beine die läng­ste Zeit unter meinen Tisch gestreckt.« Da hat sich der Sohn von niederländischen Genossen gelbe und rote Tulpenz­wiebeln besorgt, den Vorgarten gejätet, die Tul­penzwie­beln gesteckt, und als die hervorschossen, oder was immer die so machen, sah man wunderschön deut­lich einen fein säuberlichen und gelb umrandeten roten Sowjetstern mit gelbem Hammer und gelber Sichel. Der Alte sagte zähneknirschend: »Na, immerhin sieht das ordentlich aus.« Sie sind glücklicherweise beide pünkt­lich vor 1933 gestorben. An denen hätten die Nazis noch viel Spaß gehabt.

      Deine Mutter war Schauspielerin. Wo hat sie damit an­gefangen?

      In Bochum. Damals gab es ja noch das Fach »Jugend­li­che Sentimentale«: bei dem legendären Saladin Schmitt, dem Erfinder der expressionistischen dunklen Bühne, weshalb er von jedem »Saladin mit der Schlum­merlam­pe« genannt wurde. Seine Inszenierung von Schillers »Die Räuber« hieß allgemein »Bruderzwist auf Sohle Sieben«. Er hatte eine stehende Redewendung gegen­über weiblichen Ensemblemitgliedern, indem er sie anschwulte: »Meine liebste, beste, teuerste Freundin, gehen Sie weg. Ich kann Sie nicht mehr sehen.« Sehr viel später wurde meine Mutter als Tischdame von Goebbels eingeteilt. Das wußte sie


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