In Schlucken-zwei-Spechte. Harry Rowohlt
Er war in Indien auf der Buchmesse, in Delhi, und Inge Feltrinelli hat ihn ziemlich herumgescheucht, was Vergnügungen betraf. Er ist mit der Eisenbahn gefahren, dem »rollenden Palast«, der durch übertriebenes air-conditioning furchtbar unterkühlt war. Dabei hat er sich eine Lungenentzündung geholt und ist in Agra im Angesicht des Tadsch Mahal gestorben. Er ist sofort verbrannt worden, allerdings ohne Witwe. Die Urne mit seiner Asche hat seine Witwe Jane nach Lavigny, aufs Schloß in der Schweiz gebracht und auf den Kaminsims gestellt. Sie wollte nach ihrem Tod, der sie auch ziemlich schnell ereilte, ebenfalls verbrannt werden, und anschließend sollte ihrer beider Asche vermischt und in ihrer Familiengruft in der Nähe von London beigesetzt werden. Das war die Gruft ihres Vaters, ein reicher Schotte, der in der Eliteeinheit »The Black Watch« gedient hatte. Die trugen schwarze Kilts und wurden deshalb »The Devil’s Ladies« genannt. Er nannte seinen Schwiegersohn immer Adolf, weil er Deutscher war. Sehr witzig. Das war eine ausgesprochen blöde Beerdigung. Die beiden waren in der Urne zwar richtig schön miteinander gemischt worden, aber niemand hielt eine Trauerrede. Wenn in der Aussegnungshalle wenigstens ein Harmonium gestanden hätte! Dann hätte man mit Anspielung auf die Urne und ihren Inhalt spielen können: »Oohoohoo, ooh, yeah, yeah, I’m all shook up!«
Hatte dein Bruder eigentlich Kinder?
Heinrich Maria hatte zwei Töchter: eine leibliche, die er enterbt hat, weil sie ihr Erbe zu seinen Lebzeiten ausbezahlt haben wollte, um sich in München eine Boutique einzurichten. Und eine unleibliche, die vom Briefträger oder vom Milchmann stammte. Ich habe sie anläßlich der Beisetzung von Heinrich Marias Witwe in London getroffen. Sie ist mit einem Schweizer Anwalt oder Börsenmakler oder irgend so was Nützlichem verheiratet, wohnt seit unvordenklichen Zeiten in Zürich und ist eine richtig wohlsituierte Schweizerin. Es gibt ja vier Schweizer Sprachen, also Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch, und sie meinte tatsächlich, Rätoromanisch hätte englische Wurzeln.
Du hattest doch auch eine Schwester, oder?
Meine Halbschwester Anna Elisabeth, genannt Baby, ist während der brasilianischen Emigration meines Vaters gezeugt und geboren worden, in einer Favela in São Paulo. Dort hat sie sich offenbar auch den Hautkrebs zugezogen, an dem sie dann gestorben ist, weil sie als Rotblonde immer mit den Caboclos – das sind Schwarzafrikaner und Indiomischlinge, die sehr viel gesünder pigmentiert waren als sie – im Schlamm gespielt hat. Kennengelernt hab ich sie, als ich sechs Jahre alt war, und hab mich prompt in sie verknallt. Sie war ein rundherum angenehmer Mensch, ich habe aber leider so gut wie nie von ihr Gebrauch gemacht. Wir haben uns immer sehr geliebt, auf die Entfernung. Sie ist dann irgendwann nach Deutschland gekommen, doch wir sind einander so gut wie nie über den Weg gelaufen.
Erzähl ein bißchen mehr von deinem Vater.
Ernst Rowohlt war einer der wenigen Menschen, der gar nichts konnte. Es war erstaunlich, wie unbegabt er in jedem Bereich war. Einfach toll. Das hat man ja manchmal, und dann kann man diese Leute nur als Genies bewundern. Irgendeiner seiner Autoren hat mal gesagt, er sei ein Genie der Freundschaft gewesen. Er war viermal verheiratet, hauptsächlich mit Schauspielerinnen. Er hatte den Ehrgeiz, sie aus ihrem Beruf zu entfernen, damit sie sich nur noch um ihn kümmerten. Wenn er das mit Straßenbahnschaffnerinnen gemacht hätte, wären die vielleicht sogar froh gewesen. Ich habe ihn erst in einer Zeit richtig erlebt, als er alt und miesepetrig geworden war. Er war eigentlich immer nur alt und krank und muffelig und hat, weil er sich nicht mehr in den Rowohlt Verlag hineingetraut hat, versucht, zu Hause den Laden zu terrorisieren. Mein Brüderchen hat es nie geschafft, sich gegen ihn aufzulehnen, während ich das bereits mit dreizehn oder vierzehn gemacht habe. Danach waren wir praktisch unzertrennlich. Ich mußte spätestens um zehn zu Hause sein. Ich habe immer erst meine Mutter gefragt, wann ich von der Fete zu Hause sein sollte, und dann habe ich meinen Vater gefragt: »Wenn’s gemischt wird, pünktlich.« Daran halte ich mich bis heute. Ich gehe immer weg, wenn’s gemischt wird. Ich habe ihm auf seinem Totenbett, von dem wir beide noch nicht ahnen konnten, daß es sein Totenbett sein würde, den gesamten Schwejk, den ersten und zweiten Band, mit verteilten Rollen vorgelesen. Bei der Stelle: »... den Kokoschka Ferdinand, der was den Hundsdreck sammelt«, ist er wegen der pastosen Technik des Kokoschka Oskar vor Lachen aus dem Bett gefallen und hat meine Mutter angeröhrt: »Kommando zurück, der Junge wird nicht Verleger, der Junge wird Schauspieler.« Das war eine schöne Zeit, die letzten anderthalb Jahre mit meinem Alten, als er plötzlich gemerkt hat, daß sein anderer Sohn ein Mensch ist, und ich plötzlich gemerkt habe, daß mein verachteter Vater auch ein Mensch ist. Da hätte er gerne noch ein bißchen länger rummurkeln können, aber das ist eben nicht gelungen. Wozu auch. Das war kein Leben für ihn, sich nicht in den Verlag zu trauen, und zu Hause Zoff. Seine letzten Worte waren, und das war ganz typisch für ihn, eine Mischung aus Bestellung und Beschwerde: »Eigentlich ist doch jetzt Bockbierzeit.« Also hat er noch ein Bockbier bekommen, und dann ist er abgekratzt.
Einfach so?
Er hatte früher schon mal einen Herzinfarkt. Unser Hausarzt in Hamburg, Professor Dr. Kurt Gröbe, der damalige Spitzenkandidat der Hamburger DFU, hat ihm einen Hund verschrieben, damit er jeden Tag zweimal spazieren gehen mußte.
Gibt’s den auf Krankenschein?
Nö. Aber sollte es. Der erste Hund war ein Polizeihund, dessen Hundeführer an die Polizeischule nach Eckernförde befördert worden war. Dort hat der Hund den ganzen Tag Bürodienst geschoben und wurde immer trübseliger, weil er Streife gehen wollte. Deshalb war er billig abzugeben. Vater, Mutter und ich sind hingefahren und kamen in das Büro, wo der Hund unter dem Schreibtisch saß. Er hat sich auf mich gestürzt und umgeschmissen, weil Boxer ja sehr kinderlieb sind. Boxer sind nach einem ziemlich komplizierten System gestrickt. Was größer ist als er selbst, wird bekämpft, was genau so groß ist, wird gevögelt, was kleiner ist, wird beschützt. Deshalb gucken Boxer so besorgt, weil sie jeden Tag etwa 80.000 Entscheidungen treffen müssen. Ich wurde also beschützt, weshalb er mich erstmal hingeschmissen hat. Die zwei Spaziergänge jeden Tag mit meinem Vater haben ihm überhaupt nicht genügt. Deshalb ist er immer auf eigene Faust auf dem Oberalsterwanderweg Streife gegangen, um nach dem Rechten zu sehen. Wir hatten ein Gatter, das in der Mitte etwas höher als links und rechts war, und er ist immer über die höchste Stelle gesprungen, um zu zeigen, was er kann. Sein Nachfolger Toxi ging auch auf dem Oberalsterwanderweg Streife, aber der hat sich ein Loch unter den Zaun hindurch gegraben. Er war von Beruf nicht Polizist, sondern Schauspieler, neigte also eher zur Bequemlichkeit. Eigentlich hieß er nicht Toxi, sondern »Erlo von der Kollau«. Er war ursprünglich für den König von Nepal gezüchtet worden, der dann jedoch starb. Der Thronfolger fragte sich, was soll ich hier mit so einem kurzhaarigen Hund, der friert doch den ganzen Tag – und hat ihn wieder abbestellt. Er mußte dann tingeln gehen, damit das Geld wieder reinkam. Er hat in diesem Rührstück »Toxi« mitgespielt. Der Film handelte von einem Besatzungskind, gespielt von einem kleinen, farbigen Mädchen, das nicht wesentlich älter war als er und vor den Kameras und dem Regisseur und den Maskenbildnern Angst hatte. Die haben ihr zum Trost Toxi, also Erlo, als Welpen beigesellt. Er selbst ist in dem Film nie zu sehen. Ich dachte immer, er hätte da mitgespielt. Hat er aber nicht, und wenn, dann ist er rausgeschnitten worden. Elke Heidenreich hat mir den Film mal im Fernsehen auf Video aufgenommen und mich furchtbar beschimpft. Sie hätte die ganze Zeit geguckt, ob ein Boxerwelpe vorkommt. Weit und breit kein Boxer. Zum Beweis hat sie mir die Kassette geschickt.
Vielleicht hat der Hund ja nur als Dialektcoach mitgewirkt.
Danach bekam ihn Hubert von Meyerinck. Beziehungsweise Hubsi von Meyerinck. Seit dieser Zeit hatte der Hund eine Abneigung gegen Schwule. Wenn jemand zu Besuch kam, von dem man nicht so richtig wußte, ob er schwul ist oder nicht, merkte man es spätestens an der Reaktion des Hundes. Er fing an zu knurren, sein Rükenfell sträubte sich, und er ging steifbeinig rückwärts aus dem Raum. Das war ihm selber peinlich, weil man doch zu Besuch nett sein muß, besonders als Boxer, die ja allgemein sehr freundlich sind. Es war schön anzusehen, wie er darunter litt, aber seine Abneigung war stärker als er selbst.
Er war ein ausgesprochener Charmebolzen. Meine Eltern und ich sind