In Schlucken-zwei-Spechte. Harry Rowohlt

In Schlucken-zwei-Spechte - Harry Rowohlt


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gezogen. Viel, viel spä­ter habe ich mal in Pardon ein Foto von einem bärtigen langhaarigen Mann gesehen, der ziem­lich wüst aussah und die Zunge herausstreckte, und ich dachte, der sieht aus wie mein Freund Timmi Belwe. Der hatte übrigens keine eigene Schultüte, deshalb halten auf dem offiziel­len Foto »Mein erster Schultag« Timmi und ich zusam­men dieselbe Schultüte, nämlich meine. Aber er hält sie so, als wäre es seine, während mir nur das dünne Ende blieb.

      Und? War er es denn auf dem Foto in Pardon?

      Es stellte sich heraus, daß Timmi inzwischen Front­mann der Gruppe »Soul Caravan« war. Die kamen, wie damals alle, gerade aus Indien zurück, hatten einen Gig in Wiesbaden und wurden an der Grenze festgehalten, weil sie Preßtee dabei hatten. Der sah aus wie Shit, dabei sieht Preßtee sehr schön aus, mit reingepreßten Mustern. Kein Dealer würde so schön gepreßten Shit verkaufen. Die Jungs von »Soul Caravan« sagten zu den Grenzern: »Wir haben morgen einen Gig und müssen weiter. Könnt ihr nicht einfach was von diesem Tee abhacken und versuchen, das entweder in der Pfeife zu rauchen, oder Tee davon zu brühen, dann merkt man doch, ob das Shit ist oder nicht.« Sie haben den Gig dann doch noch gekriegt. Damals haben sie schwer politische Texte gemacht, so daß ihnen die politische Polizei auf diesem Konzert den Strom abgedreht hat, wodurch aber nicht nur die Verstärker ausfielen, sondern auch das Licht. Also hat die politische Polizei das Licht wieder angemacht, und da hatten die Mitglieder der Kapelle »Soul Ca­ra­van« die Hosen heruntergelassen und zeigten ihre Ärsche. Daraufhin bekamen sie einen Prozeß wegen Er­regung öffentlichen Ärgernisses. Den haben sie aber ge­wonnen, weil der Richter sagte, sie konnten nicht damit rechnen, daß plötzlich das Licht wieder angehen würde, und wenn jemand im Dunkeln die Hose runter­läßt, ist das kein öffentliches Ärgernis, sondern streng privat. Timmi ist zwar älter als ich, aber wir sind den­noch zu­sammen eingeschult worden. Das lag daran, daß meine zweite Verlobte Katharina eineinhalb Jahre älter war als ich. Die ging nun in die Schule, konnte plötzlich lesen und schreiben, und ich war kein Umgang mehr für sie. Da hab ich meine Mut­ter so lange angemault, bis ich auch in die Schule durfte, ein Jahr zu früh. Das war später ganz günstig, weil ich immer noch der Jüngste in der Klasse war, als ich mit siebzehn sitzenblieb.

      Damals machte man ja mit achtzehn Abitur und wurde mit einundzwanzig mündig. Inzwischen ist es umge­kehrt. Was ist denn aus deiner Verlobten geworden?

      Katharinas Mutter war auch Schauspielerin und Tim­mis Mutter war Sopranistin. Als Timmi im Kindergar­ten meiner zweiten Verlobten Katharina dreimal hinter­einander die Bauklötze umgeschmissen hatte, sagte Katharina zu mir: »Harry, unternimm was!« Da haben wir uns geprügelt, und ich habe ihm ein großes Stück Frisur samt Kopfhaut abgerissen. Das war mir sehr unangenehm, und eine Zeitlang habe ich mich aus Scham geweigert, in den Kindergarten zu gehen. Ein paar Tage später trafen meine Mutter und ich zufällig Timmi und seine Mutter beim Spazierengehen. Die Müt­ter keiften heftig aufeinander ein, was sich wirklich eindrucksvoll anhörte – Timmis Mutter, der Koloratur­sopran, und meine Mutter mit Atemstütze, die inzwi­schen nicht mehr die jugendliche Sentimentale war, sondern Hauptrollen spielte! Die konnte also auch ganz gut brüllen. Timmi und ich sind auf eine Kiefer geklet­tert und haben die beiden keifenden Mütter mit Kiefern­zapfen beworfen, weil Timmi es völlig in Ordnung fand, daß ich ihm den Haarbüschel aus dem Kopf gerissen hatte. Es ist inzwischen alles prima nachgewachsen. Ich habe das überprüft.

      Was war dein erstes Buch?

      Meine Mutter hat mir immer »Pu der Bär« vorgelesen. Als ich drei war, hat sie damit angefangen, und das war ein Grund, weshalb ich endlich selber lesen können wollte: damit ich das unbehelligt von der mütterlichen Betonung lesen konnte. Aber davon abgesehen war es sehr angenehm, vorgelesen zu bekommen. Deshalb habe ich auch heute noch kein schlechtes Gewissen, wenn ich über die Käffer tingele und den Leuten etwas vorlese.

      Wer kam nach Tante Renate und Katharina?

      Meine Mutter verkrachte sich ständig mit ihren Dienst­mädchen. Wenn sie das alleine nicht schaffte, kam mei­ne Oma und hat auch noch mitgemischt. Das war ziem­lich lästig. Sobald man sich an eine gewöhnt hatte, war sie auch schon wieder gefeuert. Meine absolute Lieb­lingsfrau hieß Ingeborg. Da hatte ich mich von Tante Renate schon emanzipiert. Ingeborg war mit lauter Binnenschiffern verwandt, und wenn die in Wiesba­den festgemacht haben, waren Krach und Wonne ange­sagt. Das konnte nicht lange gutgehen. Meine Oma fand das entsetzlich. Danach mußte ich weg, weil meine Mut­ter am Zürcher Schauspielhaus ein Engagement bekam. Ich wurde allerdings nicht nach Zürich, sondern nach Herr­li­berg in der Nähe von Zürich in eine Kleinkin­der­be­wahr­anstalt gesteckt. Meine Mutter wohnte mö­bliert bei Herrn und Frau Huber, und ich war in dieser klei­nen Anstalt, ein entsetzliches Haus. Aus Deutsch­land und immer noch leicht unterernährt, kam ich in die reiche Schweiz und wurde erstmal gezielt und systema­tisch ausgehungert. Außer mir gab es noch zwei weitere Kin­der. Das eine war ein zurückgebliebenes kleines Mäd­chen, welches von Frau Bopp, der Leiterin, iso­liert wur­de. Ich habe mich ein paar Mal zu ihr geschli­chen und ihr das Wort Tasse beigebracht. Die konnte über­haupt nicht sprechen. Und dann gab es noch ein Baby. Bei dem hat Frau Bopp eine Art Scheinschwan­gerschaft entwic­kelt. Sie prozessierte gegen die Mutter dieses Babys und wollte sie für unzurechnungsfähig erklären lassen, da­mit sie das Baby behalten konnte. Eine sehr unerfreuli­che Geschichte. Das ganze wurde angeblich nach Mon­tessori-Gesichtspunkten geführt. Noch heute, wenn ich das Wort Montessori höre, denke ich an die Kapelle »KISS«, mit dem SS-Logo in der Mit­te: Mon­teS­Sori.

      Hast du nur schaurige Erinnerungen an Herrli­berg?

      Nein, glücklicherweise habe ich Alfred Polgar kennenge­lernt, der damals in Zürich im Hotel Urban wohnte. Wir haben uns angefreundet, soweit sich so ein wunder­bares Jahrhundertgenie wie Alfred Polgar mit einem Sechs­jährigen überhaupt anfreunden kann. In der Bio­graphie von Ulrich Weinzierl steht, so beißend er gegen­über Männern sein konnte, so charmant war er gegen­über Frauen und Kindern. Weinzierl führt dann ganz viele Frauen als Beispiel auf, aber kein einziges Kind. Ich habe Weinzierl geschrieben, ich wäre ein Kind, das er hätte erwähnen können.

      Du gibst ja gerne mit deinem Brief von Alfred Polgar an.

      Ja. Ich besitze einen Brief von Alfred Polgar, und wie jeder, der einen Brief von Alfred Polgar besitzt, gebe ich entsprechend damit an. Bei Robert Gernhardt scheine ich es irgendwann mal übertrieben zu haben, weil er genervt sagte: »Ja, ja, du hast einen Brief von Alfred Polgar.« Und ich hab gesagt: »Ja allerdings, ich hab einen Brief von Alfred Polgar. Du hast keinen Brief von Alfred Polgar.« Robert machte den geballten Balten und sagte: »Meine hat alle der Russe.« Wir haben ihn mal in seiner albernen Toscana besucht, wo der PCI, der Parti­to Comunista Italiano, bei den Kommunalwahlen drei­undsiebzig Prozent abgestaubt hatte, und Robert sagte: »Da ist man nun dreimal vorm Russen abgehauen und dann das.«

      Als Schauspielerin ist deine Mutter doch sicher viel her­umgekommen. Mußtest du immer im Schlepptau mit?

      Ich war insgesamt auf sechzehn oder achtzehn verschie­denen Schulen, weil meine Mutter von Engagement zu Engagement eilte. Und als meine Eltern geheiratet hat­ten, war mein Vater auf der Flucht vor dem Rowohlt Verlag. Er mußte angeblich im Allgäu wohnen, wegen der Höhenluft. Alles Quatsch. Er hat sich im neuen Rowohlt Verlag in Reinbek bei Hamburg nicht zurecht­gefunden. Aber er hat da ohnehin nichts getan, weil der Laden inzwischen von meinem Brüderchen, Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, geschmissen wur­de, der das sehr viel besser konnte.

      Wie hast du dich denn mit deinem Brüderchen verstan­den?

      Ich war völlig durch den Wind, als er gestorben ist. Sei­ne letzten Worte waren: »Na, jetzt langt es aber auch allmählich.« Während der Buchmesse im Café Laumer, was zur Buchmessenzeit Café Rowohlt heißt und wo man Gutscheine trinken kann, hab ich zu meinem Brü­derchen gesagt: »Ich gehe jetzt ins Café Rowohlt und gebe mich als junger Herr Laumer zu erkennen.« Wir sind zusammen vom »Hessischen Hof« zu Fuß hingegan­gen. Damals war mir noch nicht klar, daß es ihm sehr viel schlechter ging, als man ihm anmerkte. Das waren vielleicht hundertachtzig Meter, da hat er schon geklagt, und danach hat er den Weg vom »Hessischen Hof« ins Café Laumer immer »unsere ge­meinsame Nachtübung« genannt. Da haben wir unab­hängig voneinander »Mat­jes Hausfrauenart« bestellt und


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