Die Mistel. Annette Bopp

Die Mistel - Annette Bopp


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      Hamburg, im Oktober 2006

       Annette Bopp

      1.

       Diagnose Krebs: und jetzt?

      Jeder Mensch, der mit der Diagnose Krebs konfrontiert wird, befindet sich erst einmal in einem schockartigen Zustand. Von einem Moment zum anderen hat sich das Leben komplett verändert. Krebs – da denken viele nur noch: Jetzt geht es zu Ende. Plötzlich steht der Tod mitten im Leben und erschüttert es in seinen Grundfesten. Deshalb dominiert bei Krebs vor allem eines: die Angst. Vor dem Sterben. Vor dem Leiden. Vor Schmerzen. Vor der Zerstörung. Und vor der Reaktion von Freunden, Angehörigen, Verwandten, denn mit Krebs können viele nicht umgehen. Nicht selten haben sie sogar mehr Angst als die Krebskranken selbst. Sie fühlen sich hilflos, und – leider wahr – immer noch glauben einige, Krebs sei ansteckend.

      Die Diagnose Krebs bedeutet aber auch, in kürzester Zeit weitreichende Entscheidungen treffen zu müssen: Welche Untersuchungen sind notwendig, wann und wo? Muß operiert werden, und wenn ja, welche Operationsmethode ist die richtige, welcher Chirurg beherrscht sie am besten? Ist eine Chemotherapie unverzichtbar? Machen Bestrahlungen Sinn? Sind weitere Medikamente nötig, um das Tumorwachstum zu hemmen? Nahezu jeder ist mit all diesen Fragen heillos überfordert. Die meisten ertrinken in einem Wust an Informationen, die aus dem Internet oder via Freunde, Bekannte und Ärzte über sie hereinbrechen. Und so fallen Entscheidungen häufig unter einem völlig unnötigen Zeitdruck – denn der Tumor ist ja auch nicht von heute auf morgen gewachsen.

      Noch in dieser Phase, spätestens aber nach der Akuttherapie, wenn der Tumor entfernt und die Krankheit nach den üblichen Methoden konventioneller Medizin behandelt worden ist, taucht unweigerlich die Frage auf: Was kann ich selbst für mich tun? Gibt es nicht noch mehr als Stahl, Strahl und Chemie?

      Doch, es gibt noch mehr. Es gibt eine Vielzahl komplementärer Therapieverfahren, die zusätzlich zu den konventionellen eingesetzt werden können: Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, Enzyme, Thymusextrakte, chinesische Kräutermixturen, ayurvedische Ölmassagen, homöopathische Kügelchen, Sport, Entspannung, künstlerische Therapien. Am häufigsten aber fragen Krebspatienten nach einer Misteltherapie. Unter all diesen Verfahren rangiert sie mit großem Abstand auf Platz 1. In Deutschland gehören Mistelpräparate sogar zu den meist verordneten Medikamenten in der Krebsmedizin überhaupt.

      Misteltherapie: Vorbehalte und Vorurteile

      Aber wenn Patienten ihre Ärzte nach der Misteltherapie fragen, bekommen sie häufig zu hören: »Dann können Sie auch gleich den Putz von der Wand kratzen.« Oder: »Lassen Sie das mal lieber, da ist nichts bewiesen.« Oder: »Das ist doch esoterischer Blödsinn.« Oder: »Mistel? Das ist gefährlich – die kann das Tumorwachstum sogar noch fördern!« Oder: »Alle seriösen Studien haben gezeigt, daß die Misteltherapie nichts nützt, das ist pure Geldverschwendung.«

      Fast immer sind die Argumente wenig sachlich und von einer diffusen Ablehnung geprägt. Und bei insistierendem Nachfragen zeigt sich meist, daß diejenigen, die am lautesten davon abraten, am wenigsten über diese Therapieform wissen. Sie lehnen sie pauschal ab, weil nicht sein darf, was nicht sein kann: Krebs, so glauben sie, ist eine Krankheit auf körperlicher Ebene, der nur mit »harten« Methoden beizukommen ist. Alles andere gilt als unwissenschaftlich, denn Wissenschaft wird in der Schulmedizin auf Naturwissenschaft und die evidenzbasierte Medizin reduziert. Und ganzheitliche Methoden, ob Naturheilkunde, Homöopathie, Anthroposophische Medizin, Traditionelle Chinesische Medizin oder Ayurveda, gelten per se als Außenseitermedizin.

      So schreibt beispielsweise der Informationsdienst des Deutschen Krebsforschungsinstituts in Heidelberg in seinen Internet-Informationen: »Mistelpräparate spielen in keiner der wissenschaftlichen Leitlinien zur Krebsbehandlung eine Rolle, die zum Beispiel von der Deutschen Krebsgesellschaft und anderen Fachgesellschaften herausgegeben werden. (…) In den USA rät das nationale Krebsinstitut (NCI) sogar von einer Mistelgabe ab, sofern sie nicht im Rahmen einer sehr guten klinischen Studie erfolgt. Der Grund für diese kritische Einschätzung ist der fehlende objektive Wirksamkeitsnachweis als Krebsmittel nach heutigen wissenschaftlichen Standards. (…) Bis heute fehlen zweifelsfreie Beweise dafür, daß Mistelpräparate das Tumorwachstum hemmen oder gar Tumore heilen könnten.«1

      Für Krebspatienten sind solche pauschalen Ablehnungen jedoch wenig hilfreich. Sie wissen genau, daß der Mensch nicht nur aus materiellen, sondern auch aus seelisch-geistigen Anteilen besteht. Diese sind jedoch – zumindest derzeit – mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht zu bestimmen, und sie sind auch nicht zu objektivieren, denn das Seelisch-Geistige eines jeden Menschen ist individuell, es entzieht sich jeder Verallgemeinerung. Aber daß es vorhanden ist, daß es unser Leben in Krankheit und Gesundheit mit beeinflußt, das läßt sich nicht ernsthaft bestreiten.

      Deshalb greift es zu kurz, wenn die Misteltherapie einfach als »unwissenschaftlich« oder »unbewiesen« abgetan wird. Es gilt, sich sowohl auf die naturwissenschaftliche Ebene einzulassen als auch auf die seelisch-geistige. Und sich Fragen zu stellen, mit denen Krebs uns alle, nicht nur diejenigen, die daran erkranken, konfrontiert.

      Die Krankheit Krebs – ein Spiegel unserer Zeit

      Was ist Krebs? Und was hat die Mistel damit zu tun? Diese Frage beschäftigt nicht nur Wissenschaftler, sondern jeden, der an einem Tumorleiden erkrankt und sich mit dem Thema »Misteltherapie« auseinandersetzt. Krebs ist eine sehr vielschichtige Krankheit. Er wirkt auf der körperlichen Ebene auf Organe, Gewebe und Zellen, auf der geistigen Ebene auf das Denken und Handeln und auf der seelischen Ebene auf das Fühlen und Empfinden. Dementsprechend setzt die Misteltherapie auch auf verschiedenen Ebenen an.

      Mehr noch – Krebs wirft Fragen auf wie: Warum nehmen ausgerechnet heute, in unserer hochtechnisierten Welt, in der alles machbar und beherrschbar scheint, Krebserkrankungen stetig zu? Warum haben die Menschen viel mehr Angst vor Krebs als vor einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall – den Todesursachen Nummer 1 in der gesamten westlichen Welt? Warum sind trotz Milliarden von Euros und US-Dollars, die in die Forschung investiert wurden und werden, kaum greifbare Erfolge zu verzeichnen? Warum ist es immer noch nicht gelungen, diese Geißel der Menschheit zu besiegen?

      Das sind Fragen, die in der Öffentlichkeit bisher nur wenig beziehungsweise vorwiegend unter naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten erörtert worden sind. In einem ganz neuen Licht erscheint diese Problematik jedoch in einem Interview, das die Zeitschrift »medizin individuell« im Mai 2005 mit dem heute 73jährigen Internisten und ehemaligen Ärztlichen Leiter der Stuttgarter Filderklinik, Dr. Jürgen Schürholz, geführt hat. Er hat selbst jahrzehntelang Krebspatienten mit der Mistel behandelt und sich intensiv mit den Fragen beschäftigt, die die Krankheit Krebs aufwirft. Seine Antworten zeigen einen unmittelbaren Bezug zwischen Krebs und unserer Zeitepoche auf. Das Interview wird hier deshalb in voller Länge wiedergegeben 2:

      Was ist Krebs für eine Krankheit? Läßt sich ihr Erscheinungsbild mit Vorgängen unserer Zeit parallelisieren?

      Dr. Jürgen Schürholz: Krebs ist ein Isolationsphänomen. Er entsteht aus Zellen, die plötzlich ein Leben nach eigenen Gesetzmäßigkeiten beginnen, wodurch wucherndes, zerstörerisches Wachstum entsteht. Normalerweise veranlassen Signale aus der Umgebung eine Zelle, sich zu teilen. Und sie tut das nur dann, wenn es für die nächsthöhere Instanz – das Organ oder den Organismus – sinnvoll ist. Bei Krebs verselbständigt sich die Zelle. Sie selbst gibt das Signal für die Teilung. Sie hört nicht mehr auf die Umgebung. Sie tut, was sie will – um ihrer selbst willen. Sie lebt nicht mehr für, sondern vom Organismus. Ab einer bestimmten Größe des Tumors reichen die Nährstoffe in der ihn umspülenden Gewebeflüssigkeit nicht mehr aus. Er braucht mehr, um weiter zu wachsen. Deshalb schickt er Signale aus, die den Organismus dazu bringen, neue Blutgefäße in die Geschwulst einsprossen zu lassen. So ernährt der Organismus den Tumor, obwohl dieser ihn letztlich zerstört. Wenn man auf die Krankheit Krebs schaut, betrachtet man ein weltumspannendes Problem.


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