Die Mistel. Annette Bopp

Die Mistel - Annette Bopp


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Aktionismus. Da wird zum Beispiel noch eine Chemotherapie gemacht, obwohl absehbar ist, daß sie nicht mehr viel bewirken wird. Das ist unwürdig und für viele auch sehr qualvoll. Ziellos gegen die Krankheit zu kämpfen, macht ja keinen Sinn. Aber für das Gute zu kämpfen, für die eigene Identität, dafür, dem Sinn des eigenen Lebens zu folgen, den eigenen Zielen, das macht Sinn! Wenn ich dafür kämpfe, habe ich davon auch einen Gewinn, ganz egal, wie lange ich noch lebe.

      Warum gibt es so wenig Fortschritt in der Behandlung von Krebs?

      JS: Weil das Wesen der Krankheit, die Isolation, der Egoismus in unserer Zeit noch nicht bearbeitet ist. Ich denke, daß Krankheiten, die geradezu epidemisch auftreten, einen gesellschaftlichen Sinn haben – Pocken, Kinderlähmung, sogar die Pest. Weil sie die Verhaltensweisen der Menschen verändern, und weil die Menschen etwas lernen, was sie ohne diese Not nicht gelernt hätten. Die mit diesen Seuchen verbundenen Lektionen haben wir offensichtlich gelernt. Die Bedingungen haben sich so geändert, daß diese Epidemien nicht mehr auftreten können, aber auch nicht mehr auftreten müssen. Statt dessen »brauchen« wir offenbar andere: AIDS, BSE, Vogelgrippe – um nur einige Beispiele zu nennen. Und Krebs, der früher vergleichsweise selten vorkam, ist nahezu zu einer Volkskrankheit geworden.

      Welche Lektionen sind es denn, die wir durch die Krankheit Krebs lernen müssen?

      JS: Wir müssen lernen, frei zu werden und uns dabei gleichzeitig für das Ganze zu interessieren, nicht nur für uns selbst. Freisein, die menschliche Freiheit als höchstes Gut, ist das zentrale Thema unserer Kulturepoche. Die Individualisierung als Ausdruck dieser Freiheit ist notwendig, um in unserer Zeit ein wirklich selbst bestimmender Mensch zu werden. Sie ist eine Voraussetzung für menschliche Reife und als solche durchaus positiv. Diese Individualisierung kann und darf man nicht in Frage stellen! Aber sie ist nur dann gesund und entwickelt sich nur dann in die richtige Richtung, wenn sie die Verbindung zum großen Ganzen, die Wechselbeziehung zur sozialen Gemeinschaft nicht verliert. In der Krebskrankheit ziehe ich mich unbewußt seelisch und geistig mit den integrierenden und differenzierenden Kräften aus dem Körper zurück. Die Aufgabe wäre, mich bewußt mehr der Welt zuzuwenden als meinem Körper und meinen egoistisch geprägten Belangen. In diesem Sinn zeigt uns Krebs im Zerrbild der Krankheit, worauf es ankommt: vom Leiblichen und somit auch vom Egoismus unabhängiger zu werden. Solange wir unserem Körper die meiste Aufmerksamkeit schenken und ständig auf ihn orientiert sind, bleiben wir unfrei. Wir können uns nur weiterentwickeln, wenn seelische Entwicklung und Sozialkompetenz unsere Ziele werden. Sie machen uns auch von unserem momentanen körperlichen Zustand unabhängiger. In dem Maße, wie es uns gelingt, uns von der »Herrschaft des Körpers« zu befreien, überwinden wir auch den Egoismus. Letztlich ist es auch die Aufgabe, durch mehr Geistesleben den Materialismus, dem wir viel zu verdanken haben, der unser Leben heute aber zu einseitig bestimmt, kulturell zu verwandeln. Materialismus muß es geben, wie es auch den Körper geben muß. Aber da der Mensch mehr ist als sein Körper, muß er, um frei zu werden, erst zu sich selbst, zu seinem geistigen Kern kommen. Dann kann er auch dem Materialismus und Egoismus die Dominanz nehmen. Auf diese Menschheitsaufgabe weist uns Krebs hin.

      Die Mistel für Körper, Geist und Seele

      Die Mistel hat spürbare Auswirkungen auf allen drei Ebenen: körperlich, seelisch und geistig. Sie kann sowohl dazu beitragen, die Integrationskraft des Körpers zu stärken als auch die eigene Identität zu finden. Die körperlichen Auswirkungen sind mit klassischen Meßmethoden gut zu erfassen. Etwas schwieriger ist es hingegen, die Effekte auf der seelisch-geistigen Ebene darzustellen – sie sind nicht in Kilos oder Zentimetern, Litern oder Tagen, Wochen oder Monaten zu messen. Die Antwort ist immer subjektiv und heißt in der Regel: Ich fühle mich besser, ich habe wieder mehr Kraft und weniger Angst, ich friere nicht mehr so, ich nehme wieder zu, es geht mir gut. Alles – das Meßbare und das Empfundene – ist gleich viel wert.

      Die Wirkung im Körper

      Mistelextrakt besteht aus einer Vielzahl verschiedener Inhaltsstoffe. Welcher davon für die beobachteten Wirkungen verantwortlich ist, auf welche Weise er wirkt und welche Wechselwirkungen die verschiedenen Anteile miteinander haben, ist bis heute nicht eindeutig geklärt und nach wie vor Gegenstand experimenteller Forschung.

      Folgende Wirkungen von Mistelextrakt auf den Organismus sind inzwischen wissenschaftlich belegt und anerkannt:

      →Die Mistel kann den »programmierten Zelltod« (Apoptose) in der Zelle wieder anregen. Diese Fähigkeit ist die Basis für die Regenerationskraft des Organismus und somit für seine Gesundheit. Grundsätzlich gibt es zweierlei Arten von Zelluntergang: zum einen die Nekrose, wobei Zellen unwiderruflich absterben und auch nicht neu entstehen. Und zum anderen eben die Apoptose, die aus Tod und Auferstehung gleichzeitig besteht: Eine Zelle stirbt, um eine andere nachrücken zu lassen. Etwas Altes geht zugrunde, damit Neues entstehen kann – der ewige Kreislauf des Lebendigen, eine Gesetzmäßigkeit, ohne die kein Leben denkbar ist. Die Fähigkeit zur Apoptose ist also eine Voraussetzung dafür, daß Gewebe und Organe gesund sind und ihre Aufgaben erfüllen können. Bei einer Krebserkrankung ist den Zellen diese Fähigkeit verlorengegangen – sie können nicht mehr sterben. Sie wuchern wie verrückt vor sich hin. Daß die Mistel dazu beitragen kann, diese Fähigkeit zur Apoptose wieder anzuregen, ist deshalb eine besonders erwünschte und wichtige Wirkung.

      →Mistelextrakt stimuliert das körpereigene Immunsystem. Durch die Krebserkrankung zahlenmäßig verringerte Immunzellen vermehren sich wieder. Außerdem erhöht sich die Aktivität dieser Zellen.

      →Die Mistel bewirkt eine entzündliche Reaktion und leichtes Fieber. Dabei wird der gesamte Organismus angenehm durchwärmt. Tumorkranke haben ja meist eine eher niedrige Körpertemperatur und sind oft nicht mehr in der Lage zu fiebern. Diese Fähigkeit wird durch die Mistel gefördert. Gut durchwärmt zu sein, ist auch eine wichtige Voraussetzung für alle Lebensvorgänge und für ein funktionierendes Immunsystem.

      →Mistelextrakt schützt die Erbsubstanz (DNA) der gesunden Zellen vor den schädlichen Einwirkungen, zum Beispiel von Zellgiften (Zytostatika). Chemotherapie und Bestrahlung werden somit besser verträglich und richten unter den gesunden Zellen weniger Schaden an. Dieser Effekt wurde nur beim Mistelgesamtextrakt beobachtet, nicht bei der Gabe von isoliertem Mistellektin oder von Viscotoxinen. Über welchen Mechanismus dieser Schutzeffekt zustande kommt, ist noch offen.

      Unklar ist ebenso, wie wichtig das Zusammenspiel der verschiedenen Inhaltsstoffe ist. Teilweise lassen sich die Wirkungen bei den einzelnen Substanzen nachweisen, teilweise nicht, teilweise wirkt nur der Gesamtextrakt, nicht aber die Einzelsubstanz. Die Forschung konzentriert sich zwar heute vielfach auf die Mistellektine, es ist aber mittlerweile erwiesen, daß auch lektinarme Mistelextrakte (z. B. aus der Kiefernmistel) diese Wirkungen zeigen. Unstrittig ist, daß die isolierten Inhaltsstoffe einseitiger und nicht so umfassend wirken wie der Gesamtextrakt.

      Viele Krebskranke finden mit der Misteltherapie einen neuen Zugang zu ihrem Körper. Sie lernen, besser auf ihn zu hören, seine Zeichen wahrzunehmen, ihn zu beachten. Das ist um so wichtiger, als Operation, Bestrahlung und Chemotherapie das Gefühl für den eigenen Körper nachhaltig stören.

      Die Wirkung auf Seele und Geist

      Die Polarität auf der zellulären Ebene läßt sich auch auf das Seelisch-Geistige übertragen. Auf der zellulären Ebene wirkt die Mistel einerseits giftig, andererseits stimuliert sie das Immunsystem. Auf die Psyche übertragen kann die Giftwirkung mobilisieren und herausfordern: »Wach auf! Schau hin, was da mit dir passiert!« Sie weckt die Lebensgeister, befreit aus Lethargie und Gleichgültigkeit. Die immunmodulierende Wirkung dagegen entspricht auf der seelischen Ebene eher einer wärmenden, umhüllenden Komponente. Schon allein die Steigerung der Körpertemperatur im Sinne eines leichten Fiebers zeigt diese Durchwärmung an, die bis in die Seele hineinreichen kann. Krebskranke haben vor Ausbruch oder Entdeckung der Krankheit oft keine normale Temperaturregulation mehr. Das heißt, ihre Körpertemperatur schwankt nicht – wie sonst üblich und gesund – im Tagesverlauf, ihr innerer Thermostat steht vorwiegend auf »kalt«. Auch


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