Greifen und BeGreifen. Sally Goddard Blythe

Greifen und BeGreifen - Sally Goddard Blythe


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      Entstehung: 9. Schwangerschaftswoche.

      Bei der Geburt: Vollständig vorhanden.

      Hemmung: 2.–4. Lebensmonat.

      Auslöser des Moro-Reflexes

      • Plötzliche, unerwartete Reize jeglicher Art.

      • Stimulation des Labyrinthes (Gleichgewichtsorgan im Innenohr) bei Änderung der Kopfhaltung (vestibulär).

      • Geräusche (auditiv).

      • Plötzliche Bewegung oder plötzlicher Lichtwechsel im Gesichtsfeld (visuell.)

      • Schmerz, Temperaturänderungen oder unsanfte Berührung (taktil).

      Körperliche Reaktionen auf den Moro-Reflex

      1. Unmittelbare Erregung.

      2. Schnelles Einatmen, kurzes „Erstarren“ oder „Aufschrecken“, gefolgt von Ausatmen – oft begleitet von einem Schrei.

      3. Auslösen der Kampf-oder-Flucht-Reaktion, die automatisch das sympathische Nervensystem aktiviert und die folgenden Konsequenzen hat:

      – Freisetzung der Stresshormone Adrenalin und Cortisol

      – Anstieg der Atemfrequenz, besonders in den oberen Lungenflügeln (Hyperventilation).

      – Beschleunigung des Herzschlages.

      – Anstieg des Blutdrucks.

      – Rötung der Haut.

      4. Eventuell Gefühlsausbrüche, zum Beispiel Wut oder Tränen.

      Langzeitreaktionen: Schwach entwickelter CO2-Reflex

      Der CO2-Reflex verursacht die spontane Inhalation durch den oberen und unteren Teil der Lungen. Steigt der CO2-Wert im Blut zu sehr an, finden chemische Veränderungen in der Medulla statt, wodurch dann die Arterien geöffnet werden, um die Blutversorgung des Gehirns zu verstärken und gleichzeitig ein tiefes Atmen zu bewirken.

      Der Moro-Reflex umfasst eine Reihe von schnellen Bewegungen in Reaktion auf plötzliche Reize. Er besteht in einer plötzlichen symmetrischen Aufwärtsbewegung der Arme – weg vom Körper – mit einem Öffnen der Hände, kurzem Erstarren und einer schrittweisen Rückkehr zu einer Haltung, in der die Arme in einer Umklammerungshaltung um den Körper gelegt werden. Die Abduktion wird von einem plötzlichen Einatmen begleitet. Die Adduktion erleichtert das Ausatmen dieser Luft. Moro hat 1918 seine Meinung betont, nach der es sich hier im Wesentlichen um einen Greifreflex handelt, analog zu dem Reflex, den wir bei jungen Menschenaffen beobachten können, die sich instinktiv an ihre Mutter klammern. Er bezeichnete ihn als „Umklammerungsreflex“.

      Abduktion ist das Öffnen der Arme und Beine nach außen.

      Adduktion ist das Schließen der Arme und Beine wie zum Umarmen oder Greifen.

      Der Moro-Reflex ist eine unwillkürliche Reaktion auf eine Bedrohung. Das Baby ist noch nicht in der Lage, von außen kommende Sinneseindrücke zu analysieren, um dann feststellen zu können, ob sie wirklich eine Bedrohung darstellen oder nicht. Der Gehirnstamm löst eine unmittelbare Moro-Reaktion aus, so als wenn ein Notschalter automatisch ausgelöst worden wäre. Er fungiert als die früheste Form der Kampf- oder Fluchtreaktion und kann in Situationen extremer Gefahr gelegentlich auch noch später im Leben ausgelöst werden. Grundsätzlich sollte er in seiner Grobform jedoch im Alter von zwei bis vier Monaten gehemmt werden.

      Seine Rolle als Überlebensmechanismus in den ersten Lebensmonaten besteht darin, „Alarm zu schlagen“ und Hilfe herbeizuholen. Es wird auch angenommen, dass er einen beträchtlichen Anteil an der Entwicklung des kindlichen Atemmechanismus im Mutterleib hat – dieses trifft mit den frühesten atmungsähnlichen Bewegungen im Mutterleib zusammen, die sich bisher beobachten ließen. Er ermöglicht auch den ersten Atemzug gleich bei der Geburt (häufig ausgelöst vom Klaps der Hebamme auf den Po des Neugeborenen oder dadurch, dass sie das Baby an den Füßen kurz kopfüber hält) und hilft, die Luftröhre zu öffnen, falls Erstickung droht.

      Wird der Moro-Reflex nicht im Alter von zwei bis vier Monaten gehemmt, wird sich dies durch Hypersensitivität des Kindes in einem oder in mehreren sensorischen Kanälen auswirken; es wird dann auf bestimmte Reize überreagieren. Plötzliche Geräusche, Licht, Bewegungen oder Veränderungen von Haltung oder Balance – jeder dieser Reize kann den Reflex in unerwarteten Momenten auslösen, so dass sich das Kind ununterbrochen in „Alarmbereitschaft“ und in einem Stadium erhöhter Aufmerksamkeit befindet.

      Während des größten Teiles seiner wachen Zeit befindet sich das Morogeleitete Kind immer an der Schwelle der Kampf- oder Fluchtbereitschaft, gefangen in einem Teufelskreis: Die Reflexaktivität regt die Produktion von Adrenalin und Cortisol (Stresshormone) an. Eben diese Hormone erhöhen die Sensibilität und das Reaktionsvermögen, so dass sowohl der Auslöser als auch die Reaktion innerhalb desselben Systems vorhanden sind – sie sind quasi beide „eingebaut“. Ein solches Kind mag uns als ein Paradox erscheinen: einerseits außerordentlich sensibel, aufnahmefähig, fantasievoll und einfallsreich, andererseits unreif und zu Überreaktionen neigend. Diesen Zustand wird es auf eine von zwei Weisen bewältigen: Entweder wird aus ihm ein ängstliches Kind, das oft mit Rückzug reagiert, das Schwierigkeiten hat, Kontakte zu finden, und Zuneigung weder mit Leichtigkeit zeigen noch annehmen kann; oder aus ihm kann auch ein überaktives, aggressives Kind werden, das sich leicht aufregt, unfähig ist, Körpersprache zu verstehen, und Situationen gern dominiert. Jedes der beiden Kindertypen wird dazu neigen Situationen manipulieren zu wollen, da es versucht Strategien zu finden, die ihm ein gewisses Maß an Kontrolle über seine eigenen emotionalen Reaktionen gewähren.

      Adrenalin und Cortisol gehören zu den Hauptabwehrstoffen des Körpers gegen Allergien und Infektionen. Wenn beide im Leben des Kindes ständig sozusagen als „Leitmotiv“ aktiv sind, werden sie von ihrer primären Funktion abgelenkt, so dass eventuell unzureichende Vorräte beider Stoffe im Körper vorhanden sind und ausreichende Immunität und eine ausgewogene Reaktion auf mögliche Allergene eventuell nicht mehr gewährleistet ist. Solch ein Kind gehört dann vielleicht zu jenen, die sich jeden Husten und jede Erkältung einfangen, die gerade im Umlauf sind, und die auf bestimmte Medikamente besonders heftig reagieren. Ein solches Kind reagiert vielleicht überempfindlich auf bestimmte Lebensmittel oder Lebensmittelzusätze, was sich wiederum auf sein Verhalten und seine Konzentration auswirken wird. Es wird auch dazu neigen, Blutzucker schneller als andere Kinder zu verbrennen, was Stimmungs- und Leistungsschwankungen weiterhin verstärken wird.

      Ein Kind, das nach wie vor über einen Moro-Reflex verfügt, wird die Welt als zu sehr mit hellen, lauten und aggressiven sensorischen Reizen angefüllt erleben. Seine Augen werden von jedem Lichtwechsel und jeder Bewegung innerhalb des Gesichtsfelds angezogen werden. Seine Ohren werden vielleicht eine zu große Masse akustischer Information empfangen. Es kann irrelevante Reize nicht ausfiltern oder „außen vor lassen„und neigt so dazu, sich sehr schnell mit Reizen überladen zu lassen. Als Ergebnis wird es „stimulusgebunden“.

      In den ersten zwei bis vier Lebensmonaten, wenn der Moro-Reflex aktiv ist, ist die visuelle Aufmerksamkeit des Kindes auf die äußeren Umrisse von Gegenständen und Personen sowie auf plötzliche Bewegungen und Lichtveränderungen in der Peripherie seiner visuellen Wahrnehmung gerichtet. Wenn dies so bleibt, hat das Kind Schwierigkeiten periphere visuelle Stimuli zu ignorieren und die visuelle Aufmerksamkeit auf das Zentrum gerichtet zu halten. Dies kann dann beim älteren Kind zu leichter Ablenkbarkeit führen.

      Arnheim (1969) bemerkte dazu:

      „Zu viele Eindrücke aus verschiedenen sensorischen Quellen, die gleichzeitig auf einen Verstand einstürmen, der diese Reize bisher nicht einzeln erlebt hat, verschmelzen für diesen Verstand zu einem einzigen ungeteilten Objekt.“

      Welches also sind die Symptome, die Eltern oder Lehrer


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