Stollentod. Anett Steiner

Stollentod - Anett Steiner


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      Anett Steiner

      Stollentod

      Ein Erzgebirgs-Krimi

      Bild und Heimat

      eISBN 978-3-95958-808-9

      1. Auflage

      © 2021 by BEBUG mbH / Bild und Heimat, Berlin

      Umschlaggestaltung: fuxbux, Berlin

      Umschlagabbildung: SLUB / Deutsche Fotothek / Schulz, Paul

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      BEBUG mbH / Verlag Bild und Heimat

      Axel-Springer-Straße 52

      10969 Berlin

      Tel. 030 / 206 109 – 0

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      Seit Jahrhunderten lag der Tote im Berg. Der Fels bedeckte ihn, eisig kaltes Grubenwasser umschloss ihn, unter taubem Gestein war er begraben. Nur noch bleiche Gebeine zeugten von seiner unglücklichen Existenz. Vergessen war er längst von den Lebenden, doch noch immer gefangen in der Welt der Ruhelosen. Für Rache war es seit Jahrhunderten zu spät, allein sein Geist sucht bis in die kalte Gegenwart rastlos nach Erlösung, sein verhängnisvolles Geheimnis verlangte endlich nach Offenbarung.

      1

      Balthasar Hauwalds eiskalte Hand zitterte. Der junge Bergmann mit den blonden Haaren und den blauen Augen hatte Mühe, Ruhe zu bewahren, es gelang ihm nicht, sein Grubenlicht anzuzünden, obwohl dies doch eine alltägliche und vertraute, tausendfach geübte Routine hätte sein müssen. Nicht nur die letzten Stunden, auch die vergangenen Tage, die zurückliegenden Wochen und sogar Monate waren zu nervenaufreibend gewesen. Seit langem strapazierten die blinde Euphorie wie auch die steife Geheimnistuerei sein schlichtes, argloses und gottesfürchtig erzogenes Gemüt über die Maßen. Außerdem fehlte es dem jungen Mann an Schlaf, seine Augen lagen tief und nun fiebrig glänzend in den Höhlen, die veilchenfarbenen Ringe darunter dominierten sein schönes, beinahe knabenhaftes Antlitz, das ihn zu besseren Zeiten bei den Mädchen beliebt gemacht hatte. Mit seiner sonst robusten Gesundheit stand es seit einigen Tagen schon nicht zum Besten. Er fühlte, dass ein Fieber in seinem Blut nur auf den rechten Moment lauerte, hochzukochen und ihn wehrlos ans Bett zu fesseln, doch davon konnte er sich jetzt nicht aufhalten lassen. Schließlich hatte es ihn seine letzten hart verdienten und schmerzhaft vermissten Groschen gekostet, Wilhelm am Vorabend so betrunken zu machen, dass der Freund ihm heute nicht in die Quere kommen würde. Das zu Alkohol vergärende Gebräu, das absolut scheußlich schmeckte, zu diesem Zwecke aber nötig war, hatte er in einem kräftezehrenden Zweitagesmarsch aus dem Kloster in Grünhain geholt, und die Insassen hatten es sich gut bezahlen lassen, fand er. Die Blasen an seinen Füßen, mit denen der Gewaltmarsch seinen Tribut gefordert hatte, würden eine Weile schmerzen, bis sie heilten. Aber die Strapazen waren es Balthasar wert gewesen, unter keinen Umständen wollte er seinen Kameraden mit in die unselige Sache hineinziehen. Wilhelm war nämlich rechtschaffen und sollte schließlich bald Helene heiraten, Balthasars jüngere Schwester. Dieses Glück und viele gesunde Kinder seien ihm gegönnt, wünschte Balthasar, der noch immer zitternd versuchte, das Grubenlicht zu entzünden, während ein kalter, in geraden Fäden fallender Regen ihn mehr und mehr durchnässte.

      Alles in ihm bebte beim Gedanken an Reitzner, seinen Obersteiger, der reglos und mit blutiger Schläfe vor ihm auf der feuchten Erde lag. Den wenig gelittenen Mann hatte er soeben niederschlagen müssen, Balthasar war nicht sicher, ob der andere den kräftigen Hieb, der ihm im Affekt überaus heftig geraten war, überlebt hatte, denn Haare und Blut klebten nun an Bal­thasars Grubenbeil, das wieder in seinem Gürtel steckte. Aber sei es drum, beruhigte er sich, um den brutalen Obersteiger war es wirklich nicht schade. Allerhand Gerüchte um dessen Boshaftigkeiten machten die Runde, Frauen, Kinder und Tiere würde er zu seinem Spaße quälen, so hieß es, auch wenn Balthasar keinen Beweis dafür hatte. Doch in der Tat, dem Mann mit den schattigen Augen und den verkniffenen Lippen würde er Derartiges durchaus zutrauen, überhaupt beherrschte seit längerem der Argwohn Balthasars Inneres.

      Was hatte der Vorgesetzte heute auch am Stolleneingang zu suchen gehabt? Sonntags wurde nicht in den Berg eingefahren, das wusste jedes alte Weib. Deshalb hatte Balthasar sich allein gewähnt, die unerwartete Begegnung mit Oswald Reitzner hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht. So jedenfalls, mit all dem Blut oder gar einem Toten, war das nicht geplant gewesen, jetzt aber nicht mehr zu ändern. Die Frage, die blieb, war: Sollte er Reitzner liegenlassen oder sich seiner endgültig entledigen? Sollte er dessen zähen, gutgebauten Körper hinab ins eisige Grubenwasser werfen in der Hoffnung, man würde ihn erst später oder niemals finden? Er entschied sich für diesen Weg, ohne zu wissen, ob er stark genug dafür sein würde, die reglose Masse vom Gewicht mehrerer Kartoffelsäcke überhaupt irgendwohin zu bewegen. Die mit Dringlichkeit gepaarte Verzweiflung würde ihm die nötigen Kräfte verleihen, hoffte er. Allein – bis gestern hätte er sich niemals für einen Mörder gehalten. Doch die Gier war letztlich stärker gewesen als seine Frömmigkeit. Wenn Gott ihn dafür strafen wollte, dann würde er das gewiss tun.

      Balthasars Grubenhosen waren verschlissen, erst kürzlich hatte er eine neue Berghaube erwerben müssen, und beides zusammen konnte er sich nicht leisten. Möglicherweise würde sich das bald ändern. Das Jahr des Herren 1698 würde sein Glücksjahr werden, redete er sich selbst gut zu. Im Berg hatte er etwas gefunden, was ihn zuerst an funkelnden Skarn erinnerte. Erst bei genauerem Hinsehen wurde ihm klar, dass es etwas anderes sein musste. Um sich zu vergewissern, war Balthasar mit einem Stück seines Fundes in die große Bergstadt Freiberg gereist, was ihn viele Tage Fußmarsch gekostet hatte. Von den Entbehrungen dieser Reise hatte er sich noch immer nicht restlos erholt, fühlte sich geschwächt, aber er hatte keinen anderen Weg gewusst, als sich dort unter falschem Namen fachkundigen Rat einzuholen. Und bei Letzterem konnte man nicht vorsichtig genug sein. Denn das, was er in Freiberg über seinen Fund erfahren hatte, war, obwohl er es geahnt hatte, wirklich unglaublich. Man bestätigte ihm, dass er etwas weit Wertvolleres als Zinn oder Silber gefunden hatte. Durfte er bald einen wahren Schatz sein Eigen nennen, den er aus dem Gestein lösen, jedoch nicht teilen wollte?

      Dies war die erste Begegnung mit der dunklen Seite in ihm, Neid und Gier waren ihm bislang fremd gewesen … Und heute, so hatte Balthasar beschlossen, sollte der Tag gekommen sein, den ersten Teil des edlen Gesteins zu bergen.

      Endlich war es ihm gelungen, das Grubenlicht zu entzünden, die Hand zitterte inzwischen stärker. Balthasar fror erbärmlich, wohl der letzte Akt seines Körpers im aussichtslosen Kampf gegen das aufkeimende Fieber, seine Glieder versagten zusehends. Mutterseelenallein fuhr er dennoch in die Grube ein und störte deren Sonntagsruhe. Dunkelheit umfing ihn, vertraute Dunkelheit, die ihn unter Tage noch niemals geängstigt hatte. Doch diesmal war es, als würde hinter jedem Schatten, den das flackernde Licht in seiner bebenden Hand an den Wänden hinterließ, ein Berggeist lauern, einer von vielen, die auf Strafe sannen.

      Natürlich war sein Vorhaben nicht eben löblich, jedenfalls nach den Wertvorstellungen seines bisherigen Lebens. Aber was genau sollte daran unlöblich sein, Reichtum zu erstreben und das Leben zu verbessern? Sein Leben, das seiner Familie und seines Dorfes. Wäre es nicht vorteilhaft für alle, wenn immer genügend Silbermünzen da wären, um einen Arzt zu entlohnen?

      Dennoch hätte Balthasar niemals mit dem Beil auf den Obersteiger einschlagen dürfen. Er empfand Reue, aber kein Mitleid. Jedes Huhn, das er zu schlachten gezwungen war, berührte sein Herz mehr als das Schicksal von Obersteiger Reitzner. Balthasars im christlichen Glauben erzogenes Wesen begann erneut in Widerstreit zu treten mit der dämonischen Gier, die in ihm brannte und heftiger loderte als das Fieber. Und Dämonen, die spürte er plötzlich überall. Sie lauerten auf ihn in der Tiefe des Berges, ihm war, als wollten sie ihn bei sich behalten, ihn nicht zurückkriechen lassen ans Tageslicht, ihn opfern als Pfand für die gestörte Ruhe des Berges.

      Wann hatte er den Berggeistern das letzte Mal ein Talglicht oder einen Silbergroschen dargebracht, um sie milde zu stimmen, wie es der Brauch verlangte? Schließlich konnte man nicht einfach nehmen, was dem Berg gehörte, nicht wahr? Hitze und Kälte wechselten sich in Balthasars Körper ab, rangen miteinander auf Kosten seiner Kräfte. Er fror und schwitzte gleichermaßen, Schweiß rann ihm durch seine dichten Wimpern in die veilchenblauen Augen, mit denen er die


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