Stollentod. Anett Steiner

Stollentod - Anett Steiner


Скачать книгу
zu konzentrieren. Nur verschwommen nahm er die vertrauten feuchten Steinwände wahr, an denen seine Finger sich Halt suchend entlangtasteten. Was war nur los mit ihm?

      Da endlich war der Felsspalt, in dem er seinen in ein Leinentüchlein eingeschlagenen Fund versteckt hatte. Er wusste, es gab noch viel mehr davon, aber heute würde es ihm schon Mühe bereiten, dieses eine zu bergen. Doch schon wenn er seine bisherige Ausbeute zu barer Münze umwandelte, würde er ein reicher Mann sein, reicher als jeder andere im Dorf, reicher als jemals ein Bergmann in Ehrenfriedersdorf vor ihm. Dann konnte er die Grube kaufen, sie zu seinem Eigen machen und andere an seiner Statt schuften lassen.

      Inzwischen fiel ihm das Atmen schwer. Der junge Mann kroch keuchend und stöhnend durch die engen Tunnel zurück, bemerkte erst im letzten Moment, dass er beinahe sein blutbeflecktes und damit verräterisches Grubenbeil verloren hätte. Seine Kraft reichte kaum noch aus, um sich die hölzernen Sprossen emporzuquälen, dem Tageslicht entgegen. Jetzt begann das Fieber ihn zu schütteln. Oder waren es die Berggeister, die mit eisigen Klauenfingern versuchten, ihn an seinen Grubenhosen zurück in die Tiefe zu zerren? Ein Schrei entwich seinen ausgetrockneten, rissigen Lippen. Ereilte ihn Gottes Strafe so bald?

      Das Grubenlicht erlosch, mit letzter Kraft schob sich Balthasar an die Oberfläche, das Leinenbündel entglitt seinen Fingern und versank mit einem schmatzenden Geräusch im Schlamm. Trockener Husten schüttelte ihn – war es Blut, das er zwischen seinen Zähnen hervorwürgte? Fahrig tasteten seine Hände nach dem Bündel mit dem Schatz, den das morastige Erdreich verschluckt hatte. Da spürte er sie, die Finger einer anderen Hand, groß, grob und stark! Sie berührten die seinen beim Wühlen nach dem Leinensäckchen.

      Erschrocken hob der junge Bergmann den Kopf und blickte in das dämonenhaft verzerrte Gesicht des Obersteigers. Er lebte, Balthasars Schlag mit dem Beil hatte ihm wenig anhaben können. Blut schimmerte feucht auf des Reitzners Stirn und Wange, oder war es der Regen? Balthasar spürte, dass ihm die Kraft für eine neuerliche Tätlichkeit fehlte. Schlaff hing er in Reitzners Armen, ließ sich willenlos zur Grubenöffnung schleppen. Sein Geist schrie, er solle sich wehren, sein Körper verweigerte jede Bewegung, bestand nur noch aus dem Affekt von Fieber und Schmerz.

      Ihm wurde bewusst, dass er jetzt sterben würde. Zwar umklammerten seine Finger den Griff der Grubenaxt, doch jegliche Kraft hatte seinen Körper verlassen. Beim Fall in die Tiefe der Grube, gestoßen von der Hand des Obersteigers, würden seine Knochen zersplittern wie morsches Holz. Woher wusste der andere von Balthasars Schatz? War er auf dem Weg nach Freiberg zu unvorsichtig gewesen und hatte Begehrlichkeiten geweckt? Oder war es dem Zufall geschuldet, dass er dem Obersteiger am Tag der Grubenruhe hier in die Arme gelaufen war? War es am Ende Gottes Wille, wie alles, was auf der Welt geschah?

      Blitze jagten über den Himmel. Ein Unwetter entlud sich. Der Regen verwischte jede Spur.

      2

      Die Stirn in Falten gezogen, war Richard tief in Gedanken versunken, seine Zähne nagten rechts an der Unterlippe und die Finger seiner beiden Hände umkreisten sich gegenseitig. Dazu tippte er rhythmisch mit dem rechten Fuß auf den knarrenden Boden und ärgerte sich unterschwellig über das Geräusch, das dabei von dem schlampig verlegten Laminat in seiner überteuerten Mietwohnung verursacht wurde. Ihn beschäftigte folgender Sachverhalt: Das Unternehmen Sächsische Mineralienförderung AG – kurz SMF – war nach einschlägigen Fachinformationen auf erhebliche Mengen von werthaltigem Wolfram- und Fluoriterz gestoßen und suchte für die Erweiterung eines Bergwerks im erzgebirgischen Pöhla Fachleute für unter Tage.

      Nur zufällig war Richard auf die Stellenausschreibung im Internet gestoßen, eigentlich hatte er nur nach Weihnachtsgeschenken in Form zweier kleiner Lichterengel für die Mädchen gesucht und sich durch ein paar Webseiten mit erzgebirgischer Volkskunst geklickt. Der Kohleausstieg hatte ihn den Job gekostet, und er war es leid, sich von seiner Frau Manja mehr schlecht als recht aushalten zu lassen. Zwar hatte es sich so ergeben, dass er sich aktuell in Elternzeit mit der jüngsten Tochter befand, während Manja arbeitete. Aber sobald die Kleine endlich den Kindergarten besuchen konnte, wollte er vor allem eins: wieder arbeiten. Und das nicht nur, um in Lohn und Brot zu stehen, wie es so schön hieß. Er hatte überdies dringend Bestätigung nötig, er vermisste das Gefühl, ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein. Er genoss es sehr, Zeit für das Kind zu haben, und hatte auch kein Problem damit, Windeln zu wechseln und den von Manja vorbereiteten Brei in die Mikrowelle zu stellen, aber das ersetzte auf Dauer nicht die Kontakte zu den Kumpels. Er vermisste den gemeinsamen Start mit Kollegen in den Feierabend bei einem kühlen Bier und nicht zuletzt, an den Wochenenden abends mal einen trinken zu gehen. All das, was zum Leben außer der Vaterrolle, die er gut ausfüllen wollte, seiner Meinung nach eben dazugehörte.

      Er konnte die Nachrichten über den Kohleausstieg nicht mehr hören und hatte schon erwogen, seine berufliche Zukunft als Quereinsteiger in Angriff zu nehmen, als Hausmeister vielleicht. Dann stieß er auf das Angebot von SMF und musste sich einfach bewerben.

      Als die Einladung zum Vorstellungsgespräch ins Erzgebirge kam, war er zuerst ziemlich kopflos, gerechnet hatte er damit eigentlich nicht. Wenn es ihm hier in der brandenburgischen Lausitz monatelang nicht gelungen war, einen Job zu finden, wieso sollte es im Erzgebirge funktionieren? Doch manchmal stellte sich der größte Erfolg tatsächlich ein, wenn man die geringste Energie investierte. Er hatte nicht einmal besonders an seinem Bewerbungsanschreiben gefeilt, sondern einen Standardtext gemailt. Nun musste er sich schleunigst auf das Gespräch vorbereiten und sein Bestes geben. Schließlich würde es ihm wohl kaum gelingen, heimlich nach Sachsen zu fahren, schon deshalb nicht, weil Manja Urlaub nehmen und die Kleine beaufsichtigen musste.

      Als er das Thema eines Abends endlich auf den Tisch legte, hörte Manja ihm kaum zu. Seine Frau war aufgekratzt, unruhig, unkonzentriert. Gern hätte Richard diesen Zustand vorüberziehen lassen, aber dafür blieb keine Zeit. Er hatte den Termin in Sachsen bereits zugesagt und rieb sich leicht verzweifelt die Stirn, als ihm klar wurde, dass er Manja im Moment nur schlecht erreichte. Was immer er sagte, sie würde einfach nicken und doch nicht wahrnehmen, was er mit ihr besprechen wollte. Sie hatte wieder eine ihrer Phasen …

      Richard war lange genug mit ihr verheiratet, um zu wissen, wie damit umzugehen, und dass dieser Zustand nicht von Dauer war. Aber gerade jetzt kam ihm Manjas Stimmungslage alles andere als recht. Phasen nannte er den von Zeit zu Zeit wiederkehrenden Zustand seiner Frau, der sich am ehesten als eine Mischung aus Hysterie und Pragmatismus beschreiben ließ. Dann war sie für eine Weile unerreichbar für ihn, nur die Kinder drangen zu ihr durch, als Mutter funktionierte sie immer. Wie ein Jo-Jo schwankte dann ihre Stimmung von hoch nach tief, eigentlich wartete Richard nur darauf, dass ihr Arzt diesbezüglich erneut das Wort »Depression« ins Gespräch bringen würde. Jedenfalls hatte der Doktor ihr für diese Zustände Medikamente verschrieben, die verhindern sollten, dass sie nach der Arbeit antriebslos auf dem Sofa lag und Löcher in die Luft starrte.

      Und so interessierte es seine Frau nicht ernsthaft, als er an einem frühen Samstagmorgen in den Bus stieg, zum Bahnhof fuhr, bekleidet mit seinem zerknitterten Hochzeitsanzug, bei dem der Hosenknopf nicht mehr zuging. Während des Babysittens hatte er von all dem süßen Brei zugenommen, den die Kleine nicht aufessen wollte. Unter Richards Arm klemmte eine billige Aktentasche aus dem Restpostenmarkt, die nicht mehr beinhaltete als eine Kopie seiner Bewerbungsunterlagen und einen Bahnfahrplan. Seit langem war er wieder einmal allein unterwegs und wunderte sich, wie ungewohnt sich das anfühlte, wie unausgefüllt er sich vorkam ohne die Kinder.

      Der Sitz der Sächsischen Mineralienförderung AG befand sich in Halsbrücke, natürlich hatte er das recherchiert, um wenigstens ein bisschen vorbereitet zu sein. Das Gespräch fand allerdings in Pöhla statt, direkt im neuen Bergwerk Pöhla-Globenstein. Als er in Schwarzenberg aus der Bahn stieg und sich ein Taxi rief, überkam ihn mit einem Male Nervosität.

      Richards Hände wurden zuerst feucht, dann kalt, und sein Mund fühlte sich ziemlich trocken an, als er wie ein Traumtänzer gegenüber einer sehr attraktiven Frau Platz nahm. Seine Konzentration war eh schon beeinträchtigt und er wollte sich von der Umgebung nicht auch noch ablenken lassen, es handelte sich wohl um einen Pausenraum für die Arbeiter, vermutete er.

      »Was wissen Sie über unser Unternehmen?«, fragte die Frau, die in seinem Alter sein mochte


Скачать книгу