Eigensinn und Bindung. Daniel Hoffmann G.

Eigensinn und Bindung - Daniel Hoffmann G.


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und Schwestern“ begleitet war (D 29). Übertönt werden sie indes durch wenig schmeichelhafte Einblicke in das Milieu eines aristokratischen Katholizismus mit seinem Kampf gegen die infolge der Ideen von liberté, egalité und fraternité entstandenen „Verirrungen“. Verbindungslinien zwischen autoritär verfasstem Staat und autoritär verfasster Kirche scheinen auf. Politisch und religiös sind die frommen Legitimisten rückwärtsgewandt: „Der Marquis witterte Morgenluft, Restauration“ (D 31), heißt es einmal, und an anderer Stelle ist vom „Fanatismus“ in diesen Kreisen die Rede (D 31).

      Das Thema der Trennung von Kirche und Staat in Frankreich spielt eine wichtige Rolle auch im „Versuch über Briand“, Annette Kolbs knapp 25 Jahre später erschienenem Buch über den damals zuständigen Minister. Selbst schon als Heranwachsende Anhängerin von Lamennais’ frühen Plädoyers für ein Miteinander von Christentum und moderner Freiheitsgeschichte, tadelt sie hier offen jene Mentalitäten, bei denen es „zum guten Ton, vorwiegend auch zur religiösen Erziehung“, gehört habe, „daß man antirepublikanisch war“.23 Politische Prediger seien für die Konfrontation in hohem Maße mit verantwortlich: „Also ein wenig wie bei uns, nur daß in Frankreich auch der gesamte Klerus geschlossen die Regierung befehdete und ihr täglich Waffen in die Hand lieferte, um einer unleidlichen Situation ein Ende zu machen.“ (BR 36)

      Aristide Briand habe seinerzeit mit Recht „das hohe moralische Interesse“ hervorgehoben, „welches für die katholische Kirche selbst in einer Trennung vom Staate bestand – und große Katholiken wie Montalembert hatten sie schon in den vierziger Jahren befürwortet“ (BR 33). Zugleich lobt Annette Kolb ihn seiner Kunst der Vermittlung wegen, der es gelungen sei, dem von dieser ausgehenden „Bruch mit der Kurie die letzte Schroffheit zu nehmen“ (BR 37).

      Eine machtgeschützte, gesellschaftlich bevorzugte oder auch nur vom Staat geförderte Kirche, erst recht eine, die sich durch eigene Machtinteressen kompromittiert, hält Annette Kolb deren spiritueller Gestalt für abträglich. Durch den Verlauf der Geschichte fühlt sie sich bis ins hohe Alter hinein bestätigt. Tatsächlich habe „das religiöse Leben in Frankreich (...) an Ernst, Geist und innerem Wachstum gewonnen, seitdem es die Rolle des öffentlichen Angreifers einbüßte, seinen Anteil an den Geschäften des Staates verlor“ (B 38). Dem Vorzug, dass „der Klerus (...) dort“ nun „geziemendere Sorgen als die der Tagespolitik“ habe, steht freilich die vielfältige Störung der Messen durch die Kollekten gegenüber, gegen die sie die Erhebung einer Art von „Eintrittsgeldern“ vorschlägt.24

      Nationalsozialismus und Nachkriegszeit

      Nicht nur ihre freiheitlichen Ansichten sind es, die Annette Kolb schon während der Endphase der Weimarer Republik in Widerspruch zur Ideologie der Nazis bringen. Unter der Überschrift „Analphabeten“ lautet eine sarkastische Notiz ihres „Beschwerdebuchs“ (1932): „Im ,Völkischen Beobachter‘ steht, daß die Evangelien kein Wort enthalten, das im pazifistischen Sinne auszulegen sei.“ (B 120)25 Mit den faschistischen Strömungen sieht sie eine gegenchristliche Welt unter dem Vorzeichen den Schwächeren vorenthaltener Gerechtigkeit aufsteigen. Auch den Bolschewisten gilt ihre Kritik. Beim Sozialismus hingegen nimmt sie „ein in die Praxis gesetztes Agens des Christentums, ohne dessen Theorie“, wahr (B 120). Später spitzt sie diesen Satz selbstkritisch zu: „Hätten wir seiner bedurft, wären wir minder schlechte Christen gewesen?“ (SB 144)

      Die Haltung des Heiligen Stuhls der nationalsozialistischen Regierung gegenüber ist ihr ein Ärgernis: „Viele Leute sind aus der Kirche heraus wegen der Haltung des Centrums“, schreibt sie am 27. April 1933 aus Basel an René Schickele: „Ermächtigungsgesetz. Die Priester sollen vielfach dagegen gewesen sein, diesem infamen Papst hätten sie nicht gehorchen sollen.“ (BW 55) Aufgrund der Verhandlungsbereitschaft Pius’ XI. mit den Nationalsozialisten hatten die deutschen Bischöfe in einer Erklärung vom 28. März 1933 frühere Warnungen vor der NSDAP „nicht mehr als notwendig betrachtet“.26 Am 16. August des gleichen Jahres kehrt im Briefwechsel mit dem Freund die Wendung von „diesem entsetzlichen Papst“ wieder (BW 71): Pius XI. hatte am 20. Juli mit Deutschland das so genannte Reichskonkordat geschlossen und damit zum Prestigegewinn wie zur Stabilisierung der NS-Diktatur beigetragen.

      Nach dem Krieg tritt Annette Kolb gegen Tendenzen zur Verdrängung von Schuld und Verantwortung für die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland ein. Ganz in ihrem Sinne sind Reinhold Schneiders Aufrufe zur radikalen Gewissenserforschung, die allerdings auf taube Ohren stoßen: Dieser halte das „Unglück“ seiner Landsleute „mitnichten durch ein Hinwegsehen über dessen Ursachen [für] gelindert, oder wenn sie der Zeit (die nicht alle Wunden heilt) durch Vergessenheit vorbeugen wollten. Denn Vergessenheit wäre kein Weg“ (SB 127). Neben Charles de Gaulle erscheint ihr Konrad Adenauer, den sie geradezu hymnisch rühmt, als Bürge für eine europäische Friedensordnung. Gegenläufig dazu erscheint der alten Dame die Welt der 60er-Jahre im Zeichen funktionalistischer Modernisierungsprozesse zunehmend als „verhäßlicht“ und „seelisch verarmt“ (Z 204): „Wie nie zuvor sehen wir die Anbetung des Goldenen Kalbes so im vollen Schwung“ (Z 202). Verlust des Sinns für Schönheit aber ist ein Zeichen für den Verlust an Sinn überhaupt.

      Verteidigung der Messe

      In ihren späten Jahren unterhielt Annette Kolb engen Kontakt mit einigen profilierten Geistlichen wie dem Dominikaner Pierre Jean de Menasce, einem gelehrten Orientalisten, für den das Verhältnis des Christentums zu den Weltreligionen im Zentrum seines Interesses stand, oder dem „Sozialapostel Münchens“, Willibrod Braunmiller OSB, der für ein konfessionsübergreifendes „Tatchristentum“ eintrat und in der „Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ tätig war.27 Der namhafteste, mit dem sie sich trifft und korrespondiert, ist (seit 1953) Hans Urs von Balthasar, der sie in seinem Lebensrückblick von 1965 „meine verehrte Freundin“ nennt. Als „großartig und prachtvoll“ rühmt er ihre deutsche Version von Valéry Larbauds „Sankt Hieronymus. Schutzpatron der Übersetzer“.28 Umgekehrt schenkt sie ihm ein Buch von Duchesne und interessiert sich für Balthasars Aufsatz über die amtskirchlicherseits keineswegs wohlgelittene Spiritualität Pierre Teilhard de Chardins mit ihrem Ineinander von Evolution und christlichem Glauben.

      Nicht erst im Alter ist ihr die Form des Gottesdienstes wichtig. Am deutlichsten erhellt dies aus den Schilderungen liturgischer Eindrücke, von denen der Roman „Daphne Herbst“ durchsetzt ist. In einem Aufsatz von 1954 („Letztes Albumblatt. Gefährdung der Messe“) erinnert Annette Kolb, gegen das, was sie als deren Verunstaltung empfindet, vehement an den kulturellen und geistlichen Wert des überkommenen Messritus. Hässliche Kirchen und eine unschön verrichtete Liturgie erscheinen schon Daphne Herbst „wie eitel Ketzerei“ (D 146). Daran hat sich für Annette Kolb auch ein Vierteljahrhundert später nichts geändert: Jetzt benutzt sie das Wort „Häresie“ (SB 152).

      In ihrem Mozart-Buch spricht sie einmal von der „abgründigen Handlung der Messe“ (M 305 f. ). Diese Feier gilt es mit dem höchsten Anspruch zu gestalten. Ein „zweitausendjähriger Kult“ (SB 163) schmilzt für sie „Dekorum“, „Ästhetik“ und „Protokoll“ ineinander (SB 158). Zwischen äußerer Gestalt und innerer Wahrheit besteht eine Wechselbeziehung. Mit kunstseligem Schwelgen hat dies nicht unbedingt zu tun. Annette Kolb ist eine Freundin der Stillen Messe (mit ihren zurückgenommenen Zeremonien) ebenso wie der orchestralen. Was sie beanstandet, ist mangelndes Stilbewusstsein, Zerreden des Mysteriums oder Distanzlosigkeit der Gläubigen ihm gegenüber.

      „Sammlung“ und „Ergriffenheit“ ist der Habitus, in dem der Priester in der Münchner Nepomukskirche das „Messopfer“ feiert, an dem Daphne Herbst heimlich regelmäßig teilnimmt. (D 108). Bei der Feier der Kartage in Beuron schlägt eine nachgerade Entleerung des Zelebranten von jeglicher Subjektivität sie in ihren Bann, seine „Ent-Persönlichung“ (D 165) und „Weltabgewandtheit“ (D 151), von der auch die Liturgie selbst geprägt ist. Die „ewig selben Worte“ werden dort wiederholt: „Reichten sie vielleicht am weitesten, stürmten sie am ehesten die Himmel?“ (D 148 f.) Jedenfalls darf selbst „der Beschauer glauben, auch er fasse die Wahrheit bei einer ihrer Enden“ (D 146).

      Entsprechend


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