Montagsmeeting. Kai Preißler

Montagsmeeting - Kai Preißler


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und eine Frauenstimme, der es gelingt, durchgängig in einer Tonhöhe zu sprechen, räuspert sich.

      „Guten Morgen Herr Krallmann, Pinella Dahlke von LIVE COMMUNICATION. Sie waren vor einigen Wochen zum Gespräch bei uns und wir würden uns über einen Rückruf freuen …“

      Ein weiterer Piepston und mein Anrufbeantworter lässt mich mit ähnlich gleichgültiger Stimme wissen, dass der Speicher voll ist und die Restspeicherzeit noch null Minuten beträgt. Bingo!

      Für einen Moment bin ich geneigt, meine durch Frau Rieke angestaute Wut an diesem verdammten Gerät auszulassen, besinne mich jedoch eines Besseren. Im heillosen Durcheinander meines Schreibtisches finde ich die Telefonnummer von Frau Dahlke. Auf ihrer Visitenkarte wird sie als ,Assistance Hospitality and Promotions‘ ausgewiesen, was beeindruckend klingt und auf eine bedeutende Tätigkeit in einer der kreativsten Eventagenturen des Landes hinweist. Bei LIVE COMMUNICATION hatte ich vor Wochen ein Vorstellungsgespräch und den Laden ehrlich gesagt schon fast vergessen. Nervös und etwas zu hastig wähle ich die Nummer. An irgendeiner Stelle muss ich gepatzt haben, denn statt der Dortmunder Agentur meldet sich die Duisburger Fettschmelze. Da ich mir gar nicht vorstellen mag, was das ist, lege ich kommentarlos auf und wähle erneut. Nach mehrmaligem Tuten habe ich auch tatsächlich die Frau am Apparat, deren Stimme so aufregend klingt wie eine Homöopathiebehandlung gegen Nagelpilz.

      „Pinella Dahlke von LIVE COMMUNICATION?“, meldet sich Frau Dahlke beeindruckend emotionslos, jedoch mit fragendem Singsang in der letzten Silbe. Ich will spontan mit ‚ja‘ antworten, beschließe dann jedoch, mich einfach nur vorzustellen, da Frau Dahlke den Mördergag sicher nicht verstehen würde.

      „Guten Tag Frau Dahlke, Thomas Krallmann hier – Sie baten um einen Rückruf.“

      „Ach, das ging ja schnell. Ich hatte schon befürchtet, Sie seien bereits unterwegs.“ Den Satz hatte sie ohne die geringste Satzmelodie geschafft – stark!

      „War ich im Prinzip auch schon. Bin aber noch mal kurz reingekommen“, lüge ich und mache mich so wichtig wie möglich.

      „Wir wollten fragen, ob Sie noch Interesse an der Stelle haben. Bei uns haben sich kurzfristig ein paar neue Projekte ergeben und wir wollen das Team erweitern. Müsste aber schnell gehen.“

      „Wow“, sage ich. „Dann habe ich Sie also tatsächlich überzeugt?“

      „Ich habe hier eine Liste mit zwanzig Personen. Durch Zufall sind Sie der Erste. Wenn Sie sagen, Sie kommen, kann ich mir die weiteren Telefonate sparen, ansonsten wird’s halt der Nächste.“

      Frau Dahlke ist ein richtiger Schatz mit ihrer wunderbaren Art, dass man sich gleich willkommen fühlt.

      Ich überlege einen Moment, der für Frau Dahlke offenbar zu lang ist, denn sie bellt in den Hörer: „Hallo, hör’n Sie? Sind Sie noch da?“

      „Ja, sicher. Ab wann brauchen Sie mich denn?“

      „Na, sofort!“, antwortet sie, was aber eher wie eine empörte Frage klingt.

      „Heute schon?“, frage ich offenbar einen Tick zu ungläubig.

      „Dann müssen wir uns jetzt nach einer Alternative umschauen. Wir haben hier wirklich ’ne Menge zu tun.“

      Das ist zwar keine Antwort auf meine Frage, sagt aber dennoch alles über Pinella Dahlke aus. Ihr Tonfall, den in dieser Form fast nur Frauen drauf haben, klingt unangenehm genervt.

      „Sagen Sie mir einfach, wann ich da sein soll“, beruhige ich sie.

      Die Antwort, die ich erhalte, könnte blöder nicht sein: „Vor ’ner halben Stunde.“

      Wie ätzend ist DAS denn? Auf die Art von Terror stehe ich ja nun gar nicht. Wahrscheinlich wird man bei denen auch mit ‚Mahlzeit‘ begrüßt, wenn man fünf Minuten zu spät im Büro erscheint. Wochenlang melden die sich gar nicht und dann machen die den totalen Alarm.

      Ich atme tief durch und sage: „Lassen Sie mich schnell ein paar Dinge erledigen und ich komme so bald ich kann. Wäre neun Uhr denn noch okay?“

      „Prima, dann bereiten wir schon mal alles vor für den Arbeitsvertrag. Um zehn ist dann unser Montagsmeeting. Da lernen Sie alle kennen.“

      ,Geht doch‘, denke ich, ,das klingt doch schon viel netter.‘

      Nach dem Telefonat sinke ich in meinen professionellen Regieklappstuhl aus dem Video-Planet, meiner ehemaligen Lieblingsvideothek. Als die vor fünf Jahren Insolvenz anmelden musste, war ich als Erster zur Stelle, um mir die Deko unter den Nagel zu reißen. So finden sich seither in meiner Wohnung nicht nur der Stuhl, sondern als riesige Pappkameraden auch Spiderman, Rocky Balboa und Mike Glotzkowski, das laufende Auge aus der Monster AG.

      Ich versuche meine Gedanken zu sortieren und erinnere dabei ein wenig an Woody Allen, dem man gerade offenbart hat, dass sein Lebenswerk für die Goldene Himbeere nominiert wurde.

      Um neun Uhr! Aber um zehn muss ich doch zur Waschstraße!

      „Scheiß auf die Waschstraße“, sagt mir eine innere Stimme, „wenn ich bei LIVE COMMUNICATION erst mal durchgestartet bin, brauche ich den Job ohnehin nicht mehr.“

      Oh Gott, was ziehe ich bloß an? Ich hätte nie geglaubt, dass es Situationen gibt, in denen sich auch Männer diese Frage stellen. Ich ermahne mich aber sogleich zur Ruhe und entwerfe einen Schlachtplan für die nächsten achtundfünfzig Minuten. Ich stehe unschlüssig vor meinem überschaubaren Kleiderschrank und entscheide mich für eine legere Kombination aus T-Shirt und Anzug. Von meinen vier Anzügen entschließe ich mich für den einzigen, der nicht zur Gattung der Schlafanzüge gehört, und kombiniere diesen mutig mit einem T-Shirt von P&C. In Ermangelung passender Schuhe wähle ich die sportliche Variante und schlüpfe in meine Sneaker, Modell ,Beckenbauer Allround‘. Die neigen zwar dazu, nach einem halben Tag Tragezeit ein wenig unangenehm zu riechen, jedoch gehe ich nicht davon aus, meine Schuhe ausziehen zu müssen, schließlich gehe ich zur Arbeit und nicht zu einem Rückbildungskurs für junge Mütter. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass für einen Kaffee die Zeit fehlt. Auf meinem Weg zum angehenden Kreativchef werde ich zukünftig allerdings mehr Kaffee konsumieren, als meinen Herzklappen langfristig guttun wird. Mit etwas Glück wird man mir sogar meinen eigenen Vollautomaten ins Büro stellen – da kommt es auf diese letzte Tasse wohl nicht mehr an.

      Ich bin fertig und liege alles in allem verdammt gut in der Zeit. Mit einem tiefen Atemzug trete ich hinaus auf die Straße in die klare Luft dieses Morgens, wo ich heute schon einmal war. Ich bin bereit für meinen Weg in eine erfolgreichere Zukunft.

      Sechzehntausend

      Eine erfolgreichere Zukunft? Ja, richtig – erfolgreicher. Die ersten fünfunddreißig Jahre meines Lebens entsprachen nicht gerade dem, was man sich unter einer Bilderbuchkarriere vorstellt, zumindest findet man nicht viel Verwertbares, wenn man meinen Namen bei Google eingibt. Jedenfalls nichts, das wirklich mich betrifft. Noch vor wenigen Wochen befand ich mich, mit fünfunddreißig Jahren, in der heißen Endphase meiner Ausbildung zum Vollakademiker und gehörte so zu einer Gruppe von Menschen, deren Alltag meist vollkommen falsch eingeschätzt wird.

      Mein Leben als Student war nämlich weit weniger lustig, als oftmals angenommen wird, und Ferien hatte ich prinzipiell nie. Lediglich zweimal drei Monate vorlesungsfreie Zeit ließen mir kurze Atempausen zur Erholung. Mein Germanistikstudium absolvierte ich dank meines enormen Eifers knapp unter der dreifachen Regelstudienzeit in schlappen dreiundzwanzig Semestern. Ja, von den nackten Zahlen bin auch ich selbst immer wieder sehr beeindruckt, aber die Zeit vergeht einfach viel zu schnell, wenn man nur genug Interessen abseits der Uni hat.

      Ein Praktikum hier, ein anderes dort und dazwischen eine ganze Reihe bedeutungsloser Auftritte als Gitarrist einer vollkommen unbekannten Band namens ‚Narcotic Mushrooms‘, deren Name mein Kumpel Armin verbrochen hat – Sänger und Frontmann der Mushrooms, in der neben uns noch ein Bassist, ein Keyboarder und ein Schlagzeuger mitwirkten. Gemeinsam träumten wir von Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll.

      In meinem persönlichen Fall war das Angebot an Sex überschaubar


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