Montagsmeeting. Kai Preißler
„Cola aber auch, ups, aber auch nicht. Also pö-prösterchen!“, sprach ich verwaschen wie Harald Juhnke nachts um halb drei an der Hotelbar und führte das Glas weltmännisch zum Mund, wie es vor mir und Harald allenfalls Dean Martin auf der Bühne in Las Vegas gelungen sein mochte.
„Hirni, isch bitte disch.“ Blick und Tonfall waren nun flehend, was ich bei einer knackigen Neunzehnjährigen vermutlich ziemlich aufregend gefunden hätte – nicht jedoch bei einer Fünfundvierzigjährigen vom Fuße des Erzgebirges, die zudem noch den gleichen Namen hat wie das Pflegepferd meiner Cousine Lisa. Seither kann ich Peggy, also das Pferd, nicht mehr am Hals tätscheln, ohne den Geschmack von Jack Daniels, Cola und Erbrochenem auf der Zunge zu haben.
Höre ich seit jenem Abend Namen ostdeutscher Postmoderne, wie Peggy, Mandy oder Doreen, tauchen sie auf, wie von Geisterhand hingezaubert, diese unverkennbaren Symptome eines neunschwänzigen Katers – von leichtem Schwindel kaum zu unterscheiden, für mich, als an Seele und Körper versehrtem RTL-Veteran, jedoch eindeutig spürbar.
Mit exakt diesen Symptomen, nur ungleich intensiver ausgeprägt, hatte ich mich damals im Hotelbett wiedergefunden. Zu gern wüsste ich, wie sich der Dialog zwischen mir und dem Taxifahrer abgespielt haben muss, an den ich mich jedoch partout nicht erinnern kann. Als ich am Morgen erwachte, lag ich, komplett bekleidet, im komfortablen Doppelbett. Meine Jacke fand ich schließlich in der Minibar und die Schuhe fein säuberlich im Schrank, kunstvoll auf zwei Kleiderbügeln arrangiert. Weniger überzeugend war der Anblick des Badezimmers. Nach meiner nächtlichen Ankunft hatte ich offenbar die vielen Gläser Cola mit Schuss noch loswerden wollen und mich, da ich prinzipiell nicht im Stehen uriniere, auf die Toilette begeben. Nie wieder, so viel steht nach meinem Kölnausflug fest, werde ich in einer Quizshow am Joker und damit am falschen Ende sparen und noch viel weniger werde ich jemals wieder vergessen, einen Klodeckel aufzuklappen.
James Bond
Auf dem Parkplatz von LIVE COMMUNICATION finde ich eine kleine Parklücke zwischen zwei schicken Kombis, die offenkundig Teil des firmeneigenen Fahrzeugpools sind und ahne, dass mein Polo von seinen großen Kollegen schon jetzt gemobbt wird.
Es ist genau 8.59 Uhr. Ich beginne meine Karriere als Eventprofi mit einer Punktlandung und bin mir sicher, dass ich sogar Pinella Dahlke vor Begeisterung aus den Frotteesocken hauen werde.
„Herr Krallmann ist jetzt da“, informiert eine junge, dunkelhaarige Dame am Empfang, von der ich erfahre, dass sie Praktikantin ist, eine Kollegin am Telefon. Dann legt sie auf und weist auf eine moderne Ledercouch am Fenster.
„Frau Dahlke ist gleich bei Ihnen. Warten Sie doch am besten da. Möchten Sie vielleicht ein Wasser?“
Ich lehne in Vorfreude auf einen mahlfrischen Cappuccino dankend ab und bewege mich fünf Schritte nach rechts zur Couch, wo bereits ein gewisser Benjamin Ficus auf seinen Termin wartet, dem aber offensichtlich kein Wasser angeboten wurde.
Ich nicke ihm freundlich zu und setze mich. Während ich meinen Blick durch den Empfangsbereich der Agentur schweifen lasse, kommt mir der beklemmende Gedanke, dass Benjamin bereits tot sein könnte. Im Film gerät der, der die Leiche entdeckt, immer gleich in den Kreis der Verdächtigen. Da ich meinen ersten Arbeitstag nicht mit faden Rechtfertigungen und der Suche nach einem Alibi beginnen will, beschließe ich, meinen Verdacht unerwähnt zu lassen.
Auf einem Glastisch vor mir liegen verschiedene Fachzeitschriften rund um die Themen Event, Gastronomie und Marketing, aber auch Society- und Lifestylemagazine, wie Bunte, Vogue oder Cosmopolitan. Ich vermisse Sport- und Auto-BILD und suche instinktiv die Kinderecke mit den Wimmelbilderbüchern sowie den unvermeidlichen Hinweis auf die nächste Grippeimpfung und die Praxisgebühr.
„Sind Sie schon lange hier?“, beginne ich mit der Praktikantin ein möglichst unverfängliches Gespräch.
„Seit acht“, lässt sie mich wissen. Ich schlucke. Entweder steckt ein Plan dahinter oder bei LIVE COMMUNICATION arbeiten vorwiegend Idioten. Nach Darwin überleben nur die Angepassten. Ich will hier überleben, also passe ich mich an.
Ich nicke ihr daher debil zu und sage stolz: „Ich bin seit neun hier.“
„Ich weiß“, sagt sie fröhlich und lächelt etwas schüchtern. Sie fühlt sich nicht einmal ansatzweise verarscht und am liebsten würde ich ihr noch erzählen, dass ich gerade hier auf der Couch sitze, will es am ersten Tag aber nicht gleich übertreiben.
In mir keimt der beklemmende Verdacht, dass in dieser Agentur Benjamin zu Lebzeiten der interessanteste Gesprächspartner gewesen sein könnte, und für einen kurzen Moment kommt mir der Gedanke, dass ich es sogar noch rechtzeitig zur Waschstraße schaffen könnte.
Ich verwerfe diesen absurden Gedanken unverzüglich und wage einen zweiten Anlauf, da ich der Auffassung bin, dass Führungskräfte alle Mitarbeiter genau kennen sollten und ohnehin jeder eine zweite Chance verdient.
„Wie heißen Sie denn?“, frage ich und ertappe mich dabei, wie ich eine Handvoll passender Namen bereits im Kopf habe.
„Whitney.“
Stille!
Okay, ich gebe zu, ich hatte eine Michele oder Chantal auf der Liste, aber Whitney übertrifft meine Erwartungen bei Weitem. Innerlich balle ich eine Becker-Faust und würde mir am liebsten mein P&C-Shirt vom Körper reißen, um es in die Fankurve zu schleudern.
„Und Sie?“
„Immer noch Thomas.“ Ich spüre, wie es mich innerlich fast zerreißt und platze regelrecht vor Vorfreude auf die anderen Kollegen. Wenn Pinella Dahlke und Whitney schon solche Konversationskracher sind, mag ich mir die Geschäftsleitung kaum vorstellen. Prinzipiell könnte ich Whitney jetzt erklären, dass mich die meisten Leute ,Hirni‘ nennen, lasse es aber, um sie nicht neidisch zu machen, da sie diesen Namen sicher binnen kürzester Zeit auch für sich beanspruchen würde.
Für Whitney ist das Gespräch an dieser Stelle offenbar vorerst beendet, denn sie beginnt, ihr Mobiltelefon zu streicheln. Das sieht von meinem Platz aus extrem bescheuert aus, sodass ich aufstehe, um etwas besser sehen zu können. Ich erkenne, dass sie sich offenbar durch die Apps ihres iPhones navigiert. Ihre aufwendig lackierten Fingernagelattrappen machen dabei höchst unschöne Geräusche und ich höre das Display förmlich um Hilfe schreien.
Inzwischen sind dreißig Minuten vergangen, ohne dass Whitney und ich ein weiteres Wort miteinander gewechselt haben. Ich frage mich, wofür Frau Dahlke einen solchen Stress gemacht hat und fürchte, ebenso in Vergessenheit geraten zu können wie Benjamin. Hätte ich doch jetzt nur das Wasser!
Noch ist zwar genug Zeit, um bis zu meinem ersten Meeting um zehn die Verträge zu unterzeichnen, doch hätte ich mich, bevor ich erstmals mein Wort an die Belegschaft richte, gerne noch ein wenig mit den aktuellen Zahlen der Agentur auseinandergesetzt.
„Herr Krallmann“, schreckt es mich aus meinen Gedanken und ich blicke auf. Exakt um 9.42 Uhr erscheint Pinella Dahlke am oberen Absatz einer großzügigen Wendeltreppe und schreitet diese hinab wie Krystle Carrington aus dem Denver-Clan in ihren besten Zeiten. Vor ihrem Bauch trägt sie eine schwarze Mappe und das unvermeidliche Smartphone. Ihr todlangweiliges Businesskostüm wirkt irgendwie unpassend knitterig und während sie die Treppe hinunterstakst, stelle ich bestürzt fest, dass der Reißverschluss ihres Rockes definitiv offen ist. Bloß nicht hingucken! Immer ganz entspannt das Gesicht fixieren! Ich sehe, dass ihre Wangen glühen und ich verwette meinen Arsch darauf, zu wissen, was die gerade getrieben hat. Nur nicht, mit wem. Meine Vorfreude auf den Job wächst mit jeder Stufe der Wendeltreppe, die sie hinabsteigt, wenngleich Frau Dahlke nicht wirklich mein Fall ist. Aber, was soll’s? Ich bin seit über drei Jahren Single und für den Einstieg ist sie allemal in Ordnung.
Ich erhebe mich langsam von der Couch in dem mir inzwischen vertraut gewordenen Wartezimmer und rechne fest mit den Worten ,Der Nächste, bitte‘, bekomme stattdessen aber eine nasskalte, frisch gewaschene Hand entgegengestreckt mit den Worten: „Dann kommen Sie mal mit.“
„Zu dir oder zu mir“, will ich spontan fragen, trotte dann aber nur hinter ihr her, die Wendeltreppe hinauf in ein großzügiges Büro. Vor