Montagsmeeting. Kai Preißler

Montagsmeeting - Kai Preißler


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überlege und nicke dabei anerkennend, als sei seine vollkommen bescheuerte Argumentation bewundernswert schlüssig.

      Pinella Dahlke wittert ihre Chance, Tempo in den Vorgang zu bringen und sagt: „Wie gesagt, andere Verträge haben wir hier fast kaum.“

      Fast kaum! Ich könnte diese Frau für ihre Blödheit küssen und frage: „Also beinahe selten?“

      Sie sagt nichts und blickt mich irritiert an. Ich merke, wie sich ihr Hirn gerade erhängt und aus der Konversation verabschiedet. Könnte sie jetzt Strg, Alt und Entf drücken, sie täte es garantiert. Ich rechne fest mit der typischen Microsoft-Fehlermeldung. Gleich wird sie mich sicher fragen, ob sie den unvermeidlichen Fehlerbericht senden soll.

      Ich blicke auf meinen Vertrag und überfliege alles erneut. Soll ich das wirklich unterschreiben? Diese Frechheit auf Papier? Andererseits: Wenn dieser Job auch kein Knaller wird, so bietet sich vielleicht wenigstens eine Perspektive. Bestimmt muss ich nur erst mal reinkommen und kann dann weitersehen. Am liebsten würde ich natürlich aufstehen und wortlos gehen, doch die Alternative sind ein klammer Overall und ein Job, dessen definitiv einzige Perspektive der Aufstieg ins Innenpflegeteam ist. An Sauger, Polsterschaum und Cockpitspray wird bei Wash & Go nämlich noch lange nicht jeder gelassen.

      Mit dem verwegenen Mut eines Großstadtabenteurers greife ich zum Stift und schreibe unter den triumphierenden Blicken von Pinella Dahlke und Danny Hahn grimmig entschlossen meinen Namen. Als ich den Kugelschreiber auf den Tisch lege, wird mir klar, dass mir hier wohl kein Cappuccino gereicht wird und seufze. Ich habe mit fünfunddreißig Jahren gerade einen Vertrag unterschrieben und mich an fünf Tagen in der Woche von neun bis achtzehn Uhr an diese Agentur verkauft, um im Gegenzug das fürstliche Gehalt von eintausend Euro im Monat zu kassieren. Brutto wohlgemerkt! Trost spendet mir in diesem Moment der Gedanke, dass ich mich ja immer noch bei der Kocharena bewerben kann oder besser noch in der Pizzeria bei mir um die Ecke – als Spezialist für die kleinen Brötchen.

      Der Arschlutscher

      Der Konferenzsaal wird beherrscht von einem riesigen Tisch, der in der Form eines Os locker fünfundzwanzig Menschen Platz bietet. Exakt so viele Stühle sind um den Tisch platziert und warten auf ihre Herrchen. Vierundzwanzig, um genau zu sein, denn auf einem Stuhl sitze bereits ich.

      „Warten Sie doch einfach schon mal hier“, hatte Pinella Dahlke gesagt, nachdem sie mich schweigend und mit noch immer offenem Reißverschluss am Rock hierher geführt hatte, „die Kollegen werden gleich alle kommen.“

      So so, sie werden gleich alle kommen. Ich hatte den schwanzgesteuerten Danny Hahn vor Augen und stellte mir vor, wie die gesamte Belegschaft kollektiv aufstöhnen würde, sagte aber nichts und nickte. Seither sitze ich hier und warte.

      Mein Blick ruht abwechselnd auf vier großen Bildern, die jeweils locker als Matratzen französischer Doppelbetten durchgehen könnten. Der Künstler hat die weiß angestrichenen Leinwände mit Hunderten bunter Federn beklebt – einmal mit roten, dann mit blauen, gelben und schließlich, auf dem vierten Bild, mit allen zusammen. Wenngleich den Bildern ein gewisser dekorativer Pfiff nicht abzusprechen ist, erinnern sie erschreckend an das, was an der Volkshochschule entstehen könnte, in Kursen wie „Kreatives Basteln für Unbegabte“, „Grundkurs Farbenlehre – wahrnehmen und gestalten“ oder „Raus aus dem Alltag – ein bunter Workshop für Hausfrauen in den Wechseljahren“.

      Ich bin so fasziniert von den albernen Bildern, die bei jedem sensiblen Menschen eine üble Migräne auslösen könnten, dass ich fast meinen jungen Kollegen übersehen hätte, der soeben den Raum betritt und mich mit einem vitalen „Moschen“ begrüßt, der lässigen Version des „Morgen“.

      Ich antworte höflich mit „Guten Morgen“, womit die zart sprießende Konversation jedoch schon wieder abreißt, da mein Kollege sich bereits mit seinem Notebook beschäftigt und sich über irgendwas Lustiges, das er dort vorfindet, demonstrativ beömmelt. Okay, noch ein Idiot. Ein paar Versuche hat LIVE COMMUNICATION ja noch.

      Als nächstes betreten zwei junge Damen den Raum, die mich überhaupt nicht beachten und aussehen, als gehörten sie eigentlich zu Douglas. Also tue ich es ihnen gleich und verhalte mich so, als wären wir noch immer zu zweit – ich und Kollege Moschen, dessen Heiterkeit inzwischen zu einem miserabelst gespielten, aber wenigstens stillen Lachkrampf ausgewachsen ist. Nicht mal vor dem abgedroschenen Schenkelklopfer macht er halt. Ich kann seinen stummen Schrei nach Aufmerksamkeit regelrecht hören. Wenn ich jetzt jedoch darauf eingehe und ihn danach frage, was es denn dort Lustiges auf seinem Laptop gibt, habe ich den Typ bis zur Rente an der Backe. Wahrscheinlich ist er der, den schon in der Schule keiner mochte. Ich mag die arme Sau irgendwie auch nicht und schätze, dass die beiden Douglas-Tussen wenigstens da auf meiner Wellenlänge liegen.

      Nach und nach trudeln immer mehr Kollegen ein und nur die wenigsten nehmen mich wirklich wahr. Darunter sind eine ganze Reihe skurriler Gestalten – blutarme Computer-Nerds, glatzköpfige Kreative, die schwarze Rollis unter dem gleichfarbigen Armani-Anzug tragen und ständig an irgendwelchen Blackberrys rumfingern, und ab und an hübsche Partymäuse, von denen ich später erfahre, dass sie studentische Hilfskräfte sind und im Dienstrang theoretisch noch unter mir rangieren. Danny Hahn jedenfalls rangiert sicher ganz gerne mal über ihnen. Wahrscheinlich sind die rangierwilligen Hollister-Schnecken sogar noch leichter zu kündigen als ich.

      Dann betritt ein Typ den Raum, der irgendwie nicht so recht in die Szenerie passen will. Jeans, T-Shirt, Sneakers. Er blickt in die Runde und sagt „Morgen zusammen“, erhält aber nur vereinzelt eine Antwort. Ein unpassend offensives und viel zu lautes „Morgen Boss“ erhält er von dem Kollegen mit dem inzwischen abgeklungenen Lachkrampf, der auf einen freien Platz neben sich deutet.

      ,Boss?‘, frage ich mich. ,Der Typ? Wie ein Vorgesetzter sieht der nicht gerade aus und keiner nennt seinen Chef allen Ernstes Boss, zumal Danny Hahn hier doch der unangefochtene Leithengst sein muss.‘

      Der Typ jedenfalls winkt freundlich ab und ignoriert den freien Platz geflissentlich. Er mag den Affen scheinbar auch nicht. Mir fällt fast ein Stein vom Herzen, denn der Neuankömmling ist hier im Raum der Einzige, den ich spontan als sympathisch bezeichnen würde.

      Offenbar denkt er das auch über mich, kommt näher und fragt: „Ist der noch frei?“

      „Klar“, sage ich und mache eine einladende Geste.

      „Neu hier?“

      „Flatschneu“, antworte ich etwas unsicher und frage dann ziemlich dämlich: „Und Sie? Du?“

      „,Du‘ ist schon richtig. Gefühlte Ewigkeit. Ein Jahr.“

      Klingt ja schon mal super.

      „Ich bin Ben“, stellt er sich vor.

      „Thomas“, antworte ich. Nach einer kurzen rhetorischen Pause ergänze ich, warum auch immer: „Meine Freunde nennen mich Hirni.“

      „Ich glaube, dann nenne ich dich lieber Hirni. Thomas heißt der Vogel da drüben nämlich auch.“ Er deutet unauffällig auf Kollege Moschen. „Thomas Vogel.“

      Mir schießen spontan eine ganze Handvoll Mördergags zum Namen ,Vogel‘ durch den Kopf, behalte sie aber für mich und sage stattdessen: „Alles klar. Und warum nennt der dich Boss?“

      „Ach das. Ich habe mal den Fehler gemacht, dem Ochsen anzuvertrauen, dass ich gerne Bruce Springsteen höre. Seitdem glaubt der, wir wären so was wie Kumpel.“

      „Verstehe. Und was machst du hier so?“

      „Konzepte und Planung. So was halt in der Art.“

      „Klingt ziemlich interessant.“

      „Ja, ist ganz in Ordnung. Und du?“

      „Ich habe bisher Werbetexte gemacht“, strunze ich. „Hab Germanistik studiert. Bin mal gespannt, was mich hier so erwartet.“

      „Dem Himmel sei Dank! Ein Mann von Bildung. Dann kommt vielleicht doch mal so was wie Niveau in die Bude hier“, freut sich Ben und lacht.

      „So schlimm?“

      „Na,


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