Montagsmeeting. Kai Preißler
wäre fällig. Das undankbare Publikum jedoch schweigt und wendet sich nach einer kurzen Phase des Fremdschämens wieder den eigenen Gesprächen zu. Comedy kann so unbarmherzig sein.
Ohne jede Würde beginnt Whitney jedoch auf allen Vieren das Trümmerfeld zu ordnen. Dabei wimmert sie leise Flüche, was wie ein orientalisches Gebetsritual wirkt. Ihre aufreizend enge Hüfthose offenbart eklatante Schwächen und gibt den Blick nicht nur auf ein kapitales Arschgeweih frei, sondern gleichwohl dorthin, wo nie die Sonne scheint. Knapp zwei Meter vor mir krabbeln zwei halbentblößte Arschbacken über den Vorwerkteppich, ohne dass Whitney auch nur ansatzweise ahnt, welchen Anblick sie den Anwesenden zumutet. Männer mögen in der Regel zwar Popos, aber nicht das, was sich in der Tiefe dazwischen verbirgt.
Ben blickt zur Decke und lächelt mir dann entschuldigend zu. Fast wirkt es, als sei ihm die Situation peinlich.
Die anderen Männer glotzen mit offenen Mündern und selbst Vogel hat für den Moment den Sendebetrieb eingestellt.
Allein die granatenscharfe Kathrin scheint Whitneys Selbstdemontage richtig zu genießen und lutscht voller Hingabe einen der vom Himmel geregneten Chupa-Chups-Lutscher. Dann kommt sie auf die sensationelle Idee, sich über den Tisch zu beugen und den klebrigen Lutscher am langen Arm in den verrutschten Hosenbund von Whitney fallen zu lassen, wo er präzise zwischen den Pobacken in der Tiefe des Raumes verschwindet.
Whitney stöhnt qiekend auf, wobei sich nicht eindeutig sagen lässt, ob sie wirklich erschrocken ist oder ihr der Lutscher im Arsch nicht doch ganz gut gefällt.
Kathrin grinst und erntet huldigendes Gelächter – interessanterweise ausschließlich von den männlichen Kollegen. Bens Warnung und Verweis auf den nicht ganz astreinen Charakter der Dame gewinnt zunehmend an Glaubwürdigkeit.
Während Whitney, noch immer auf Knien, verzweifelt versucht, sich vom Lutscher zu befreien und mit der Hand von hinten in die Hose greift, lässt Kathrin den Blick triumphierend durch die Reihen wandern. Ich verfolge ungläubig, wie Whitneys Hand bis zur Mitte des Unterarms in der Hose verschwindet und dort verzweifelt herumfingert. ,Das wird hier kein Meeting‘, schießt es mir durch den Kopf, ,das ist die Vorrunde vom ,Supertalent‘!‘ Fast nebensächlich nehme ich angesichts dieses würdelosen Schauspiels wahr, dass Kathrin mich inzwischen ansieht. Ich reiße mich von Whitneys Rektal-Performance los und meine Augen geraten in den Bannstrahl von Kathrins Blick. Fast unmerklich fährt sie sich mit der Zunge über die Lippen und ich spüre, wie sämtliches Blut meinem Kopf entweicht und sich in den Füßen sammelt. Wer mich jetzt nach meinem Namen fragt, wird keine vernünftige Antwort erhalten. Kathrin reduziert mich mit einem einzigen Blick zu einem sabbernden Volltrottel. Alles, was ich in diesem Moment weiß, ist, dass Kathrin die mit Abstand aufregendste Frau der Welt ist. Mein Wissen von charakterlichen Defiziten ist wie weggeblasen, was leider offenbar auch für mein Gehirn gilt. Ich muss aussehen wie ein Idiot im Wachkoma und nehme vollkommen handlungsunfähig zur Kenntnis, wie Kathrin abfällig lächelt und mich so im Gleitflug aufkommender Glückseeligkeit eiskalt abschießt.
„Was ist denn hier passiert? Ist jemand verletzt?“ In der Tür steht eine junge Frau, die schätzungsweise in meinem Alter sein dürfte und ungläubig das Chaos auf dem Boden begutachtet.
„Mir ist das Tablett hingefallen“, untertreibt Whitney.
„Und was um alles in der Welt machst du da?“, fragt die Frau mit kurzem, blondem Pferdeschwanz fassungslos und mustert Whitney, deren Arm noch immer in der Hose wühlt. Für einen Moment herrscht betretene Stille, dann endlich zieht Whitney den feuchten Lutscher hervor und hält ihn, wie einen Beweis ihrer Unschuld, in die Luft.
Die Frau blickt fragend in die Runde, entschließt sich jedoch offenbar, keine weiteren Fragen zu stellen, deren Antworten sie nur verstören würden.
Sie schüttelt den Kopf. „Wie auch immer, die Dahlke und der Hahn sind im Anmarsch. Lasst uns den Saustall hier wegräumen.“
Sie legt ihr Mini-Notebook beiseite und kniet sich zu Whitney, die den Lutscher auf den nächtsbesten Tisch gelegt hat. Gemeinsam sammeln sie die Scherben ein. Die Douglas-Tussen, eigentlich prädestiniert für leichte Aufräumarbeiten, bewegen sich kein Stück und starren, noch immer von dem Schauspiel konsterniert, angeekelt auf den langsam antrocknenden Lutscher.
„Könnte vielleicht mal einer mit anpacken?“, fragt der blonde Pferdeschwanz nach einer Weile und sieht mich an. Ein wenig unschlüssig suche ich Rat bei Ben. Der zuckt die Schultern, steht auf und hilft. Ich folge ihm und vermeide, Kathrin meinen Hintern zuzudrehen.
Während wir so auf allen Vieren versuchen, die Spuren von Whitneys Malheur zu beseitigen, streckt mir die junge Frau die Hand entgegen.
„Neu?“
„Nee, mit Perwoll gewaschen“, erkläre ich und schüttele ihre Hand.
„Riesenwitz“, antwortet sie und wirkt leicht genervt. „Pia.“
„Pia“, wiederhole ich im gleichen Tonfall, als käme ich vom Ork und müsse mir den komplizierten Namen erst gewissenhaft einprägen. Mich selbst vorzustellen, vergesse ich dabei komplett.
„Ja, genau! P-I-A. Wie man’s spricht.“
Ich überlege, ob ich gerade verarscht werde und wiederhole den Namen erneut: „Pia“.
„So prima, jetzt kannst es ja. Und du?“, hakt sie nach. „Oder heißt du etwa auch Pia?“
Ich werde verarscht. Eindeutig.
„Thomas“, sage ich etwas unsouverän und begreife, dass sie diejenige sein muss, in deren Team ich arbeiten soll. Das fängt ja gut an. Im Augenwinkel sehe ich hinüber zu Kathrin, die unseren Reinigungstrupp mit aufreizender Lässigkeit beobachtet. Mein Gott, ist die scharf! In welchem Team die wohl arbeitet, frage ich mich. Ganz gleich, welche Veranstaltungen auch immer sie zu organisieren hat, dort will ich hin – und wenn es Tupper-Partys sind. Vielleicht sollte ich einen Karriereplan entwickeln und Pia nur als vorübergehende Station auf meinem Weg nach oben betrachten. Immerhin ist die mir aber immer noch wesentlich lieber als so hohle Fritten wie Whitney oder Pinella Dahlke.
Wie aufs Stichwort steht die Partykanone prompt in der Tür. Und neben ihr die schmierige James-Bond-Persiflage, der Mann mit den tausend Eiern.
„Was sucht ihr denn da?“, fragt er. „Den Sinn des Lebens?“
„Noch ein Superwitz“, zischt mir Pia zu, steht auf und geht zu ihrem Platz. Kollege Vogel findet den Witz offenbar klasse und beömmelt sich mal wieder, diesmal etwas leiser und verstohlener. Er gibt ein dämlich verkniffenes und peinlich gehemmtes „Gnihihihihi …“ von sich. Oh mein Gott, ist der doof.
Ben und ich, wir setzen uns ebenfalls und fühlen uns wie zwei blöde Schuljungs, die Hofdienst hatten.
Vom Platz aus beobachte ich Pia, die ihr Notebook hochfährt und sich eine Strähne aus der Stirn bläst.
,Eigentlich ganz hübsch‘, denke ich. ,Ihr Problem ist nur, dass sie mit einer Göttin den Raum teilt und da verblasst jeder zwangsläufig zum hässlichen Entlein.‘
„Also, was steht an?“, fragt Danny Hahn und gibt sich als unumschränkte Führungskraft.
„Wollen wir nicht auf den Chef warten?“, unterbricht ihn Pinella mit fast körperloser, gleichbleibend langweiliger Stimme, die garantiert jedes Hörbuch zum Ladenhüter machen würde.
Danny Hahn wirkt pikiert. Autsch, das hat gesessen. Fast glaube ich, er ist eine kleine Mimose, die sich hinter einem Nebel aus großzügig versprühtem Testosteron versteckt.
Ein vollkommen deplatziertes „Gnihihihihi …“ ist zu hören.
Agent 0,07 wirft Kollege Vogel einen bitterbösen Blick zu und nuschelt genervt: „Meinetwegen“. Dann greift er nach einem Lutscher auf seinem Tisch. Danny Hahn kommt offenbar nicht im Traum auf die Idee, dass diese Lutscher normalerweise in klare Folie gewickelt sind, und schiebt sich Whitneys Arschlutscher gelangweilt in den Mund. Jeder im Raum, außer Pinella Dahlke, verfolgt den Vorgang voller Entsetzen, aber keiner sagt ein Wort. Für einen kurzen Moment, der sich anfühlt