Montagsmeeting. Kai Preißler

Montagsmeeting - Kai Preißler


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das allgemeine Gemurmel schlagartig betretenem Schweigen gewichen. Eine bekannte Frauenstimme, die sich mir Stunden zuvor als Pia vorgestellt hat, durchbricht die peinliche Stille als Erste. „Du nennst ihn Hirni?“

      „Ist wohl ’ne lange Geschichte“, höre ich Ben sagen. „Die erzählt er uns vielleicht mal in Ruhe, wenn er wieder flüssig sprechen kann.“

      „Also ich kenne das.“

      Whitney! Nicht auch noch die! Jetzt ein blöder Kommentar von ihr und ich bitte Dr. Akadschai um aktive Sterbehilfe.

      „Was kennst du?“, fragt Pia irritiert.

      „Wenn jemand genau so auf dem Boden liegt. Mein Opa hatte die gleichen Syndrome.“

      Hä?

      „Als der seinen ersten Schlaganfall hatte.“

      Schlaganfall?!

      „Der hat nie mehr richtig sprechen können.“

      Ich schlage meine Augen auf und sehe sie schockiert an. Whitney ist doch noch blöder, als der vergangene Tag es auch nur ansatzweise hat vermuten lassen.

      „Was redest du da?“, fragt Pia. „Der Thomas hat doch keinen Schlaganfall! Der hat allenfalls ’ne Beule.“

      „Ruhe jetzt!“, brüllt mein Arzt. „Dasch is ja nicht zum Aushalten!“

      Unter den Anwesenden herrscht schlagartig Stille, da vermutlich jeder Angst hat, bei grobem Ungehorsam vom Arzt des Sultans persönlich gesteinigt zu werden.

      „Wo chabbe Si die Schmerzen?“, fragt er im sachlichen Tonfall des aus tausendundeins Blaulichtfahrten abgeklärten Notfallarztes.

      „Eigentlich nur im Kopf“, murmele ich.

      „Sin Si gestürzt?“

      Als ich nicht antworte und Armin fragend ansehe, ergreift der für mich das Wort.

      „Auf den Hinterkopf. Er wollte gerade einen Kasatschok tanzen.“

      Mein Arzt blickt mich fast ungerührt an und scheint zu überlegen, ob ich ein Fall für die Klinik bin und wenn ja, welche wohl möglichst große Mengen schwerer Psychopharmaka auf Lager hat. Ehe er meine Einlieferung in eine geschlossene Anstalt in Betracht zieht, will ich mich flugs zu dem Sachverhalt äußern.

      „Ich tanze sehr gut Kasatschok. Wirklich gut“, rechtfertige ich mich.

      „Isch nemme Si mit inni Krankenhaus zum Kopfröntgen und Beobachtung“, beschließt Herr Dr. Akadschai, ohne mir die Chance zu lassen, ein überzeugendes Gegenargument zu finden.

      „Ist doch nichts“, protestiere ich halbherzig und stoße auf. Eine Fahne aus Bier, Anis und Schlumpf liegt in der Luft.

      „Chabbe Si getrunken? Nicht die Tee von bekloppte Frau, sondern Alkohol?“

      Ich verneine entschieden, wie man es bekanntlich auch in jeder polizeilichen Alkoholkontrolle tun sollte.

      Im Augenwinkel sehe ich den Sanitäter, der Armin mein leeres Cocktailglas aus der Hand nimmt und zur Nase führt. Zum zweiten Mal riecht er so an diesem Abend an einem olfaktorischen Abgrund.

      „Oh Gott!“, entfährt es ihm und seine an Dr. Akadschai gerichtete Geste, die einen Schnitt durch die Kehle andeutet, drückt mehr aus als tausend Worte.

      Hätte der Barkeeper in dem Moment herübergesehen, wäre das Schicksal des Sanitäters garantiert kurzerhand im Eiscrusher besiegelt worden.

      „Alles klar“, sagt mein Arzt, „Si sinne besoffen!“

      Das, fürchte ich, beschreibt den Sachverhalt recht präzise.

      Unter den Augen der nahezu ausnahmslos kompletten LIVECOMMUNCATIONS-Belegschaft, wird mir auf die wackeligen Beine geholfen. Mein Gangbild gehört eindeutig in eine Naturdokumentation über Pferde, nur dass ich weder kurz zuvor trockengeleckt noch soeben geboren wurde.

      Als ich mit meinem Leibarzt die Tanzfläche verlasse, werde ich von Armin gestützt, wie es sonst nur Frédéric Prinz von Anhalt mit Zsa Zsa Gabor macht und wünsche mir erstmals, nicht Besitzer eines alten VW Polo, sondern eines Rollators zu sein. Ich blicke mich um und fange den Blick einer Frau auf, die zu erobern vor Stunden noch als hochambitioniertes, fast unerreichbares Ziel erschien. Nun sieht alles anders aus. Mein Vorhaben ist nämlich purer Utopie gewichen. Kathrins Blick beinhaltet alles, was man als Mann nicht braucht – Fremdschämen, Schadenfreude und Mitleid, die heilige Dreifaltigkeit aller armen Schweine. Und ich bin das Größte unter ihnen und wanke von dannen mit brummendem Schädel und geringeltem Schwanz.

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