Montagsmeeting. Kai Preißler

Montagsmeeting - Kai Preißler


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Hirni! Das ist ja ein Ding.“ Wir nehmen uns kurz herzlich in den Arm und er drückt mich fest. „Jetzt erzähl mal, was passiert ist.“

      Armin hat sein Rockerimage der Narcotic Mushrooms längst hinter sich gelassen, trägt eine Halbglatze sowie Anzüge mit Weste und stellt das optische Gegenteil von Ella Kunterbunt dar. Er arbeitet als Patentanwalt in einer Zwanzig-Personen-Kanzlei. In der Hierarchie dort steht er recht präzise an Stelle zwanzig. Verglichen mit mir hat er aber richtig Karriere gemacht und wahrscheinlich ahnen weder Kollegen noch Mandanten, in welche Orientkulisse er allabendlich steigt.

      Während ich ihm erzähle, was passiert ist, spüre ich, wie mir immer heißer wird. Schweiß bildet sich auf meiner Stirn und Armins Gesicht verschwimmt zusehends. Fühlt sich so ein kommender Nervenzusammenbruch an? Ein Burn-out-Inferno? Brauche ich nach einem einzigen Arbeitstag bereits meinen ersten Urlaub oder gar einen Kuraufenthalt?

      Das Letzte, was ich höre, ist Ellas Stimme, die fragt: „Was hat er denn?“ Dann macht jemand das Licht aus und ich schlafe ein.

      Als ich von einer grellen Taschenlampe geweckt werde, blicke ich in ein finsteres Gesicht mit stoppeligem Bart und stechendem Blick. Da ich mir Petrus oder gar den lieben Gott definitiv anders vorstelle, bin ich, wie es aussieht, in einem Prince-of-Persia-Computerspiel erwacht.

      „Challo, könne Si mischören?“, fragt der orientalische Mann und leuchtet abwechselnd mal in das linke und dann in das rechte Auge.

      Ich nicke zaghaft und versuche mit Rollbewegungen meiner Augäpfel dem grellen Licht auszuweichen.

      „Isch bi Dotor Akadschai“, stellt sich der Mann vor. Hinter ihm kommt Ellas Kopf in mein Blickfeld.

      „Hirni, bist du okay? Wir haben den Notarzt gerufen. Du warst fast zehn Minuten weg.“

      „Wo war ich denn?“, frage ich kraftlos und matt.

      Ellas Blick verklärt sich und es gelingt ihr, mit einem Anflug rühriger Glückstrunkenheit allen Ernstes zu sagen „im Nirvana, Hirni“, ehe Armin sie beiseite zieht und ihr den ersten Vogel ihrer Beziehung zeigt.

      Mit gebrochener Stimme antworte ich: „Und dafür ruft ihr einen Arzt aus Persien? Wie originell.“

      Mein offenkundig persischer Arzt findet mich nicht besonders witzig und ignoriert mein Gelaber. Offenbar hat er schon blödere Sprüche von Erwachenden gehört. Ella huscht wieder in mein Blickfeld und wirkt total aufgeregt, jedoch lässt sich nicht eindeutig zuordnen, ob aus Sorge um mich oder aus Begeisterung über den finster dreinblickenden Medizinmann, den sie intuitiv über ihren asiatisch-orientalischen Kamm schert.

      „Wi chet es Inen?“, fragt er und leuchtet mir erneut erbarmungslos in die Augen.

      „Ich bin in Ordnung. Wenn nur dieser helle Schein nicht wäre …“

      Dann verdrehe ich die Augen und schließe sie wieder. Panik unter den Anwesenden kommt auf. Mein Arzt ruft: „Bringe ihn hie chaus. Isch rufe in dea Nottaufnamme an.“

      Schlagartig reiße ich die Augen wieder auf. „War nur ein Witz, schon gut. Emergency Room.“

      Ella fällt fast alles aus dem Gesicht und diesmal zeigt mein Doktor einen Vogel, allerdings mir. Ich richte mich auf. „Es ist wirklich alles in Ordnung“, beruhige ich.

      Ein Sanitäter riecht an der Kanne mit Tee. „Was ist denn das?“

      „Jasmin Wildkirsche“, erklärt Ella. „Meine eigene Mischung.“ Der Stolz in ihrer Stimme ist offenkundig. Sie blickt den Arzt an, als erwarte sie einen nach oben gereckten Daumen.

      „Das riecht wie Weihnachten.“

      „Ich habe noch ein wenig Zimt reingemacht. Und Nelken und Kardamom und etwas Koriander.“

      „Aber wie Weihnachten in der Hölle“, stellt der Sanitäter befremdet fest.

      „Und einen Hauch Cayenne.“ Ella blickt, als habe sie leise Zweifel an der Werthaltigkeit ihrer Teemischung.

      „Pfeffer?“, fragt mein Doktor irritiert.

      „Für die Schärfe.“

      Mir wird bei der Aufzählung der Zutaten klar, dass Ella mir eine Art Hardcore-Glühwein ohne Wein gereicht hat. In Kombination mit der Hitze und der benebelnden Wirkung des Raumduftes hat mich das zweifelsohne umgehauen.

      „Und nach was stinkt es hier so penetrant?“, fragt der Sanitäter, dessen ehrliche Art etwas Erfrischendes hat und so kaum in die Szenerie passt.

      „Meditationsstäbchen. So Räucherstäbchen“, erklärt Armin, dem die Sache tendenziell peinlich zu sein scheint.

      „Auch meine eigene Mischung“, sagt Ella trotzig. „Patchouli und Panchavati.“

      Verblüffend, denke ich. Es riecht tatsächlich exakt so, wie es klingt.

      Der Sanitäter rollt mit den Augen und mein Doktor deutet mit der Hand auf mich: „Chat er etwa nur meditiert?“

      Nun wird mir die Sache allmählich zu blöd. „Nein, habe ich nicht!“, sage ich laut und richte mich auf. „Es geht mir blendend und ich hätte gerne ein Wasser oder besser ein Bier.“ Mein Blick fällt auf die Kanne Tee. „Aber bitte, Ella, nicht noch mal diesen Orienttee. Der ist außerdem scharf wie Chili!“

      Mein Arzt blickt mir mit tiefschwarzen Augen ins Gesicht. „Sinne Si sischa?“

      Ich nicke so glaubwürdig, wie ich kann.

      Er schüttelt mir die Hand und verschwindet mitsamt dem Sanitäter im Treppenhaus, wo sein fliegender Teppich sicher bereits auf ihn wartet.

      „Hirni?“, fragt Ella schließlich, „bist du mir böse?“

      Ich schüttele den Kopf. „Quatsch.“

      „War wohl etwas zu viel Pfeffer“, gibt sie zähneknirschend zu. „Habe gerade mal einen Schluck probiert. Ging gar nicht.“

      „Wie viel habe ich denn getrunken?“

      „Einen ganzen Becher.“

      Armin lacht. „Oha, der Morgen danach. Ella, wo genau war die Penatencreme noch mal?“ Witzbold! Er haut mir auf die Schulter. „Bier haben wir zwar keines im Haus, aber Lust auf eine kleine Runde durch die Kneipen?“

      „Perfekt“, murmele ich.

      „Geht nur. Da könnt ihr mal in Ruhe reden.“

      Ich drücke Ella und verlasse mit Armin das Haus.

      In der Kohlenpinte spendiert mir Armin ein kühles Pils, das aber bereits in der Hitze meines Halses verdampft, bevor es meinen Magen erreicht. Ich revanchiere mich mit der nächsten Runde und kann erst mein zweites Bier richtig genießen.

      Nach und nach lockert sich meine Zunge und ich erzähle Armin mit viel Liebe zum Detail von meinem ersten Tag im Job.

      „Sensationell“, schlägt er mir auf die Schulter, „dass das so schnell ging. Bist ja doch keine Graupe und gehaltsmäßig hast du uns bald alle im Sack, was?“

      Ich schäme mich ein wenig dafür, ihm im Hinblick auf meinen Praktikantenstatus nur die halbe Wahrheit erzählt zu haben. Da ich jedoch überzeugt bin, die Firma von hinten aufzurollen und schon in wenigen Wochen weit oben in der Hierarchie zu stehen, halte ich mein Vorgehen für vertretbar. Etwas genauer berichte ich ihm von Kathrin und offeriere ihm beim dritten Bier meinen Plan, mich in ihr Team einzuschleusen, sobald ich mir mit diesem Restaurantquatsch die Sporen verdient habe.

      „Konzentrier dich doch erst mal bloß auf den Job“, gibt er mir skeptisch zu bedenken, „anstatt gleich diese Tussi im Kopf zu haben.“

      „Du hast gut Reden“, protestiere ich, „du hast ja eine Frau. Aber ich bin voll auf Entzug!“

      Ein Typ am Nebentisch dreht sich zu mir um und grinst. Ich grinse zurück. Danach grinse ich auch die Leute an den anderen Tischen an. Ich fühle mich herrlich beschwingt und bin voller Tatendrang. Dass mein Vorhaben kein Selbstläufer


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