Montagsmeeting. Kai Preißler

Montagsmeeting - Kai Preißler


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drauf. Ich lad dich ein!“

      Wenn Armin auch etwas besorgt wirkt, so willigt er dennoch ein. Im Gegensatz zu mir merkt er offenbar sehr wohl, dass meine drei Bier eindeutige Rauschwirkung zeigen, nach einem so aufregenden Tag und wenig im Magen außer einem Teecocktail, der auch das Aussterben der Dinosaurier hätte verursacht haben können.

      Am Geldautomaten, der mich mit dem wirtschaftlichen Rüstzeug ausstatten soll, um den Abend zu gestalten, gelingt es mir erst im dritten und letzten Anlauf, mein Geburtsjahr als PIN einzutippen. Meinen Plan, zweihundert Euro abzuheben, lehnt der Automat kategorisch ab und schlägt mir als Alternative die Hälfte vor. Ich ärgere mich einen Moment über die Knauserigkeit der Maschine, gehe dann jedoch diplomatisch auf das Angebot ein.

      Wir betreten das Jekyll n’ Hyde, eine angesagte Mischung aus Klub, Cocktailbar und Diskothek, in der das Motto ‚sehen und gesehen werden‘ gilt. Eine bunte Mischung cooler Menschen verteilt sich bereits auf die diversen Bars. Zwar ist die Tanzfläche in der Regel gut besucht, jedoch nicht im Moment, da der DJ sein Publikum mit einer aufgepoppten Variante eines Udo-Jürgens-Schlagers in die Flucht getrieben hat. Ein einzelnes Paar tut dort etwas, das es selbst als Tanzen empfinden muss, und zeigt eine mutige Mischung aus Freestyle-Funky-Monkey und biederem Discofox. Während sie ihre Bewegungen hoch konzentriert mit todernster Miene abruft und den Takt der Musik immer recht präzise um genau einen halben Takt verschleppt, geht er voll aus sich heraus. Ein Polohemd der Marke Lacoste steckt in einer hellen Bundfaltenhose und umschmeichelt einen Körper, dem das Hüftgold lacht. Seine Grimassen deute ich als Ausdruck grenzenloser Leidenschaft. Als der DJ die Musik brutal abbricht und Lady Gaga spielt, verlassen die beiden enttäuscht das Parkett.

      Armin und ich steuern zielstrebig auf die Bar zu. Mit zwei Caipirinhas bewaffnet, stellen wir uns in die Nähe der inzwischen wieder ordentlich gefüllten Tanzfläche und beobachten eine Reihe herausgeputzter Tussen, die ihre tanzmuffeligen Kerle aufs Parkett zerren.

      Der Rohrzucker meines Cocktails knirscht herrlich zwischen meinen Zähnen und ich schlürfe mit dem Strohhalm die Reste des Alkohols zwischen den Eisstückchen hervor. Im Gegensatz zu Armin, der nicht mal ein Viertel seines Cocktails getrunken hat und mich erneut skeptisch mustert, überlege ich bereits, womit ich meinen Gaumen als Nächstes verwöhnen kann. Also begebe ich mich erneut zur Bar und kehre kurze Zeit später mit einem unaussprechlichen blauen Getränk in der Hand zurück, das intensiv nach Schlumpf riecht, aber fürchterlich nach Anis schmeckt und nicht wirklich mein Ding ist. Es sieht aber unsagbar cool aus und nach meinem Jasmin-Wildkirsche-Trip kann meine Geschmacksnerven nicht mehr viel schocken.

      Der Laden füllt sich zusehends und eine Gruppe von Neuankömmlingen macht es sich im eleganten, offenbar extra reservierten Loungebereich bequem.

      Ich atme meinen blauen Anisbecher weg und neutralisiere den Geschmack in meinem Mund mit zwei Gläsern Bier und einem Cocktail, den zu bestellen sich als problematisch erweist, da der Barkeeper mich erst im vierten Anlauf versteht. Ich empfehle ihm eine professionelle Ohrspülung und wundere mich, dass Armin mich ernsthaft fragt, ob wir nicht gehen wollen. Nachdem ich ihm eine hochnotpeinliche Szene gemacht und ihn als Spaßbremse beschimpft habe, suche ich mein Glück auf der Tanzfläche, wo ich mich ungeniert der Musik hingebe. Die meisten Frauen weichen mir instinktiv aus und mir wird nach einem kurzen Moment der Entrüstung erst allmählich klar, dass dies eine nicht nur typische, sondern vollkommen natürliche und nachvollziehbare weibliche Reaktion ist. Wenn ein männliches Alphatier die traditionelle Balz bestreitet, muss das grundsätzlich paarungswillige Weibchen erst einmal weichen, um wenigstens einen Hauch keuschen Anstands vorzutäuschen. Ihre Begleiter, die potenziell unterlegenen Rivalen, wirken heute eher genervt und schieben sich immer wieder zwischen mich und meine unzähligen Tanzpartnerinnen – eine Spielart der Balz, die lästig ist.

      Das grundsätzliche Problem von Alkohol liegt darin, dass sich die allgemeine Wahrnehmung stark zugunsten eines allzu schmeichelhaften Selbstbilds verlagert. Wie auch immer man sich fühlt, es bedeutet nicht, dass die Allgemeinheit diese Selbsteinschätzung teilt.

      Diese Tanzfläche fühlt sich an wie etwas, das man gerne ,sein Wohnzimmer‘ nennt. Was für Boris Becker der No. 1 Court in Wimbledon war, ist für mich heute Abend dieses Etablissement. Alles fühlt sich seltsam vertraut an, wenngleich ich mir sicher bin, mich nie zuvor auf dieser Tanzfläche zum Affen gemacht zu haben. Ich bin mir dessen deshalb so sicher, weil ich eigentlich nie tanze und auch immer davon überzeugt war, nicht mal ansatzweise tanzen zu können. Imke jedenfalls vertrat diesen Standpunkt vehement. Heute fühle ich mich jedoch wie John Travolta und mache Bewegungen, von denen mir Armin später allerdings erzählen wird, dass sie eher ausgesehen haben wie die von Audrey Landers in ,A Chorus Line‘. Cool jedenfalls ist anders. Nicht nur mein Terrain erscheint mir seltsam vertraut, auch die genervten Leute um mich herum tun es. Irgendwo scheine ich einen Teil dieser Menschen schon einmal gesehen zu haben, nur weiß ich spontan nicht, wo. Während ich in jenem kleinen Teil meines Hirns, der mir den Zugriff noch nicht gänzlich verweigert, nach einer Erklärung suche, beginne ich Madonnas ,Like a Prayer‘ mit einer touretteartigen Samba zu interpretieren – unkonventionell kombiniert mit Schrittfolgen aus afrikanischen Fruchtbarkeitsritualen und Elementen von Limbo ohne Stange.

      Urplötzlich schlägt mir jemand mit aller Wucht gegen den Hinterkopf und drückt meinen ganzen Körper flach gegen die Wand. Empört, aber auch mit Erstaunen, stelle ich fest, dass ausnahmslos alle anderen nun jeglicher Schwerkraft trotzen und sich wundersam leichtfüßig die Wand hinaufbewegen, beziehungsweise darauf umhertanzen. Faszinierend. Dann steht plötzlich Armin vor mir und fragt mit unangemessen panischem Blick, ob alles in Ordnung sei und weist mich an, ruhig liegen zu bleiben. Ich lasse meinen Blick umherwandern und muss meine Einschätzung der Situation revidieren. Ich stehe nicht an der Wand, sondern liege auf dem Boden. Dann wird es zum zweiten Mal an diesem Tag um mich herum dunkel und dumpfe, wohltuende Stille umfängt mich. Als ich nach gefühlt nicht mal fünf Sekunden die Augen wieder öffne, kniet Ellas persischer Arzt vor mir und mustert mich mit der Erfahrung aus tausendundeins Nächten als Vertrauensarzt im Harem des Prinzen von Persepolis.

      „Herr Doktor Akadschai“, sage ich, „wie kommen Sie denn hierher?“

      „Isch wurde gerufen.“

      Irgendwie erinnert er mich zunehmend an einen Flaschengeist.

      „Chaben Si widda diese Tinktur von der Bekloppten getrunken?“

      „Was hat er gesagt?“, fragt Armin etwas belämmert einen jungen Mann, der neben ihm steht. Der zuckt nur mit den Achseln und tritt einen Schritt zur Seite, um Dr. Akadschai besser über die Schultern sehen zu können. Sein Blick ist sensationslüstern und fast fürchte ich, dass er ein Foto von mir machen will. Ginge es nach ihm, begänne der Perser nun damit, die Umrisse meines Körpers auf dem Boden mit weißen Klebestreifen abzukleben. Ich hebe meine Hand, um ihm einen Vogel zu zeigen und erstarre. Vogel! Mein doofer Kollege aus der Agentur! Aus meiner Geste der Abneigung wird ein lächerlich jovialer Gruß.

      „Moschen“, murmele ich unsouverän und binnen weniger Augenblicke fügen sich Vermutungen nahtlos aneinander und verfestigen sich zu der Tatsache, dass mich dieser arme Typ ohne Freunde offenbar nach bereits einem gemeinsamen Tag in der Agentur stalkt.

      Ich will mich aufrichten, werde von meinem Arzt jedoch gleich ermahnt, liegen zu bleiben.

      Ein anderer junger Mann neben Armin beugt sich zu mir herunter.

      „Hirni, alles gut?“

      Sein Gesicht erkenne ich für meinen derzeitigen Zustand erstaunlich klar. „Ben“, brabbele ich, „du bist auch hier?“

      Mein ebenfalls neuer Agenturkollege nickt und deutet auf die anderen Gestalten, die längst aufgehört haben, zu tanzen.

      „Wir haben vergessen, dir Bescheid zu sagen. Fast die ganze Agentur ist hier.“

      Ich blicke ihn so debil an, als hätte mein Verstand das geistige Niveau eines Stutenkerls erreicht. Ich nicke langsam und vorsichtig. Mein Kopf schmerzt höllisch und ich ahne, dass die Schmerzen unerheblich sein werden, verglichen mit dem Kater, der an gleicher Stelle heranwächst.

      „Sag mal, kennst du diese Leute?“

      „Armin,


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