Montagsmeeting. Kai Preißler

Montagsmeeting - Kai Preißler


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mich meine Nachbarin Frau Rieke bereits mit einer Torte im Hausflur. Zumindest sieht das, was sie in der Hand hält, auf den ersten Blick danach aus. Im Näherkommen sehe ich, dass es sich nicht um eine Torte handelt, sondern erkenne eine braune Keramikfliese, wie ich sie aus meinem knapp vier Quadratmeter großen, fensterlosen Wellnessbadezimmer kenne. Die vermeintliche Sahne entpuppt sich beim genauen Hinschauen als eine Mischung aus feuchtem Mörtel und Fugenkitt.

      Erst jetzt wird mir bewusst, dass die offene Wohnungstür, vor der sie steht, meine eigene ist und die Männer in blauen Arbeitshosen nicht die Gäste einer Überraschungsparty, sondern Handwerker bei der Arbeit sind.

      Ehe ich ein Wort sagen kann, hält mir Frau Rieke die Fliese entgegen und genießt den Moment sichtlich. „Alles unter Wasser, die ganze Wohnung. Ich hoffe, Sie sind gut versichert, junger Mann.“

      Ich bin. Aber das geht sie einen Dreck an, der so feucht ist wie der Mörtel auf der Fliese.

      Ich stürme in meine Wohnung und patsche über den nassen Teppich. Schnell erkenne ich das Badezimmer als Epizentrum der Überschwemmung. Einer der Männer dort, ein magerer Typ im Blaumann mit fliehendem Kinn, Schnurrbart und Überbiss sagt: „Welcher Idiot vergisst denn, die Badewanne auszumachen?“

      „Einer wie ich“, entfährt es mir. Die Wanne ist inzwischen leer und eine Pumpe saugt leise brummend Wasser vom Boden über einen Schlauch in den Abfluss.

      „Super“, murmele ich, während ich aus dem Bad in mein Wohnzimmer taper. Als ich stehen bleibe, rempelt mich Frau Rieke an. Sie ist mir offenbar dicht gefolgt und grunzt, als sie aufläuft.

      „Also hier können Sie erst mal nicht wohnen“, stellt sie scharfsinnig fest. Alles in Bodennähe ist patschnass. Meine Billyregale sind unten dunkel verfärbt und Rocky Balboa hängt in den Seilen. Die Nässe hat sich in der Pappe hochgefressen, sodass er tatsächlich in die Knie gegangen ist und halb auf meinem Schreibtisch liegt. Zum ersten Mal ist Rocky k.o. Was Apollo Creed nie gelungen ist, hat meine Badewanne geschafft und fast spüre ich einen Anflug von Stolz auf deren Leistung, stünde da nicht Elvira Rieke hinter mir, die mich mit ihrer Sensationslust ein wenig an Hans Meiser zu besten Notrufzeiten erinnert.

      „Frau Rieke“, sage ich etwas gepresst durch meine Zähne, aber immerhin so freundlich ich kann, „Sie können davon ausgehen, dass ich erstens gut versichert bin und zweitens nicht beabsichtige, in dieser Grotte zu übernachten, bis alles getrocknet ist. Und drittens darf ich Sie bitten, zukünftig Ihre Schuhe an der Haustür auszuziehen, da Sie mir garantiert Flecken auf meinen Veloursteppich machen. Sie sehen doch, dass ich hier feucht durchgewischt habe!“

      Ich schiebe sie genervt zur Seite und eile durch die Nässe in die angrenzende Küche. Es platscht unter meinen Schuhen und das Wasser kriecht langsam meine Hosenbeine zu den Waden hinauf.

      „Nun werden Sie mal nicht frech“, bellt sie hinter mir her und fasst mein Badewannenmalheur knapp, aber inhaltlich unbestreitbar korrekt zusammen: „Sie haben wohl das laufende Wasser vergessen! Recht nachlässig, junger Mann!“

      Ich bugsiere sie aus der Wohnung und bin kurz vorm Platzen. „Warten Sie mal ab, was Sie alles vergessen, wenn Alzheimer ein Jahr weiter ist.“

      Ich drehe mich um und warte ihre Reaktion erst gar nicht ab. Vor Empörung laut nach Luft schnappend, rauscht sie ab.

      Die Handwerker erklären mir, dass sie noch ein paar Heiz­lüfter aufstellen werden, um die Feuchtigkeit möglichst schnell aus den Böden zu bekommen. Einer von ihnen, ein Typ, für den die Begriffe ‚Gas, Wasser, Scheiße‘ hätten erfunden sein können, blickt sich fachmännisch um und blickt mir schließlich entschlossen in die Augen. Ich spüre, dass dieser Mann Klartext sprechen wird, unbequem und mit der Entschlossenheit einer BILD-Zeitungsschlagzeile. „Die Teppiche reißen Sie besser gleich raus – die sind im Arsch.“

      Ich danke ihm für seine ehrlichen Worte, so wie man einem Arzt dankt, der keinen Hehl aus dem Sensenmann vor der Tür macht, versichere ihm aber, dass die Teppiche allenfalls nass sind, da ich seit heute weiß, was es heißt, wenn etwas tatsächlich ‚im Arsch‘ ist, und unterzeichne seinen Stundenzettel mit der gleichen Geschäftsmäßigkeit, wie wenige Stunden zuvor meinen Praktikantenvertrag.

      Irgendwann bin ich endlich allein in meinem feuchten Traum von einer Wohnung und greife zum Telefon. Tot. Ein Blick unter den Schreibtisch gibt Aufschluss. Die Anschlüsse und der Router haben ihren Frei- und Fahrtenschwimmer gemacht. Nichts zu machen – ich bin von der Außenwelt abgeschlossen. Wenn ich heute Nacht von Schimmel oder Hausschwamm gefressen werde, kann ich nicht mal einen Notruf absetzen. Ich ermahne mich zur Besonnenheit und dazu, nicht gleich den Teufel an die Wand zu malen, als mir mein Firmenhandy einfällt. Auch an Luxus muss man sich erst gewöhnen. Ich rufe meinen Kumpel Armin an und schildere in knappen Sätzen, was passiert ist.

      Und da Armin eben ein echter Kumpel ist, schlägt er vor, ich könne bei ihm wohnen, bis meine Wohnung wieder trocken ist.

      Mit den wichtigsten Habseligkeiten, wie meinem Kulturbeutel und ein paar trocken gebliebenen Klamotten, steige ich vor seiner Wohnung aus dem Auto. Ich schleppe mich das Treppenhaus eines Altbaus bis in die fünfte Etage hinauf und stehe schließlich vor einer weiß gestrichenen Holztür.

      Als ich die Schelle drücke, ertönt ein tibetischer Gong und Ella öffnet die Tür.

      „Mensch Hirni, hab schon gehört. Komm rein.“

      Ich drücke Ella und schaue mich um.

      „Wo ist Armin?“

      „Klo.“

      „Komme sofort“, schallt es hohl aus dem Bad und wenig später rauscht die Spülung.

      „Tee?“

      „Gern“, sage ich.

      „Magst du Jasmin Wildkirsche?“

      „Sagt mir nichts. Eine Freundin von dir?“

      Ella verdreht die Augen. „Hab ich gerade aufgesetzt, Hirni.“

      „Ach so. Klar.“

      Auch Ella nennt mich konsequent ‚Hirni‘. Spontan fiele ihr mein richtiger Name vermutlich gar nicht ein und auch Jack Bauer müsste für seine Verhältnisse pampig werden, um meinen wahren Namen aus ihr herauszupressen.

      Als Armin Ella vor Urzeiten kennenlernte, war sie ein ganz normales Mädel, wie die meisten anderen auch. Sie verkaufte Nachos mit Käsesoße im Dortmunder CineStar, wo Armin und ich ‚Titanic‘ gucken wollten – ich, wie ich behauptete, wegen der tollen Effekte und Kate Winslet, Armin wegen Ella. Dass wir beide den Film in Wirklichkeit sogar richtig geil fanden, behielten wir vor den anderen Mushrooms selbstverständlich für uns. Es gibt Dinge, die nimmt man als Mann besser mit ins Grab. Dazu gehört auch, wenn man auf Weihnachten und Tannenbäume steht oder auf Milchkaffee mit Haselnussaroma. Ella – und das machte Armin anfangs eine ganze Weile zu schaffen – fand Leonardo DiCaprio unglaublich süß, nicht jedoch so toll wie Richard Gere. Dann erfuhr sie, dass der Offizier und Gentleman praktizierender Buddhist ist und entschied sich, das Gleiche zu werden. An jenem Tag änderte sich ihr Leben grundlegend oder sagen wir besser, sie dekorierte es um.

      Sie hat vom wahren Buddhismus nämlich in etwa so viel Ahnung wie ich von der Quantenphysik und feiert nach wie vor Weihnachten und Ostern, ohne dass ihr daran irgendetwas merkwürdig vorkommt. Zudem trägt sie Klamotten, die wahlweise aus drittklassigen Bollywood-Filmen stammen könnten, was dem aufmerksamen Beobachter zeigt, dass für sie Buddhismus und Hinduismus ohnehin das Gleiche sind. Seit Jahren mutmaße ich heimlich, dass sie den ehemaligen Kostümfundus der Kelly Family aufträgt. Egal, Hauptsache alles wirkt alternativ und riecht nach immerwährend qualmenden Räucherstäbchen, die auch heute die Wohnung meines Kumpels in eine Opiumhöhle verwandeln.

      Armin und Ella sind seit drei Jahren verlobt und sparen auf eine Reise nach Tibet, wo sie rituell getraut werden wollen. Anschließend wünscht sich Ella allen Ernstes, mit Armin auf einem Elefanten zur Feier zu reiten und weder Armin noch ich haben es bisher übers Herz gebracht, ihr zu erklären, dass die Indischen Elefanten im Himalaja selten geworden sind und mit Ausnahme einer Handvoll tapferer Exemplare unter Haniballs


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