Montagsmeeting. Kai Preißler

Montagsmeeting - Kai Preißler


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nehme ich die Ankunft eines graumelierten Herrn zur Kenntnis.

      Ben stupst mich an. „Dietmar Döbel. Dein neuer Chef.“

      „Der Typ?“

      Ben nickt. „Eigentlich ganz nett, hat aber ein leichtes Autoritätsproblem.“

      „Dietmar Döbel?“, frage ich ungläubig nach.

      „Genau so! Leider auch fachlich eine echte Null.“

      Der untersetzte Mann, der den Raum betritt, hat eine borstige Glatze, einen ziemlich deplaziert wirkenden Schnurrbart und geht schätzungsweise stramm auf die Sechzig zu. Er sieht aus wie eine Karikatur und könnte nicht nur namentlich, sondern auch optisch einem Benjamin-Blümchen-Hörspiel entsprungen sein. Ich kämpfe einen aufkommenden Lachanfall herunter und gerate fast in Panik, da ich ahne, dass ich hier heute noch unangenehm auffallen werde.

      Als Dietmar Döbel zu sprechen beginnt und die Belegschaft mit einem offensiven „So, alle da?“ begrüßt, brechen bei mir sämtliche Dämme und ich lache laut auf. Dietmar Döbel hat eine Stimme ohne jeglichen Bass und krächzt zudem noch heiser wie ein korrupter Mafia-Pate. Etwa zwanzig Augenpaare sehen mich irritiert an und Dietmar Döbel fragt gepresst: „Junger Mann, Sie scheinen hier neu zu sein. Was bitte ist so lustig?“

      Ich breche erneut in Lachen aus und könnte gleichzeitig im Boden versinken. Ein schlechterer Einstand am ersten Tag ist wohl kaum denkbar, aber dieser ganze Laden ist einfach zu viel für mich. Richtig normal ist hier keiner. Das ist keine Eventagentur, sondern eine Freakshow! Ich bekomme einen ausgewachsenen Lachkrampf und kann nichts dagegen tun.

      Trotz des Rauschens in meinem Kopf höre ich das leise, verkniffene „Gnihihihihi …“ von Kollege Vogel. Diesmal würde ich ihm gerne einen bösen Blick zuwerfen, kann es aber nicht.

      Während ich mein Gesicht, vom Lachen inzwischen puterrot, in meinen Handflächen verberge, nimmt Dietmar Döbel langsam Platz. Erst als Ben mich anstupst und mir zuzischelt, dass Döbel vor zwei Jahren Kehlkopfkrebs hatte, klingt mein Lachkrampf ab. Ich blicke in die Runde und in zumeist verständnislose Gesichter. Nur Kollege Vogel hat noch seinen Spaß.

      „Gnihihihihi.“

      Pia schmunzelt unmerklich. Kathrin dagegen grinst unverhohlen. Sie steht offenbar auf Geschmacklosigkeiten jeder Art. Alle anderen zeigen keine Regung und Pinella Dahlke schüttelt fast unmerklich missbilligend den Kopf. Ich fühle mich wie jemand, der als Einziger im roten Sakko zur Beerdigung erschienen ist und statt Blumen brennende Wunderkerzen auf den Sarg wirft.

      „Nun denn, wenn wir es dann haben?“ Dietmar Döbel krächzt in die Runde. Nach einigen gewürgt klingenden Einführungssätzen übergibt er das Wort an Pinella Dahlke, die monoton über die aktuelle Lage der Agentur referiert und mit den Namen illustrer Unternehmen um sich wirft. Nach einer Reihe, den Gesichtern der Versammelten nach zu urteilen, offenkundig sehr positiven Informationen, kommt sie, zumindest ihrer Mimik nach, zu den unerfreulicheren Themen des Tages und stellt mich als neuen Mitarbeiter vor. Sie erklärt, dass ich Pia Sieberts Team unterstützen werde, die mich mit großen Augen ansieht. Ich versuche, sie mit einem Lächeln zu überzeugen, bin aber nur mäßig erfolgreich und wirke offenbar eher hilflos. Sie nickt mir beruhigend zu.

      „Apropos, wie läuft’s denn bei dir?“, will Danny Hahn von Pia wissen und ich, aber auch alle anderen, zucken fast zusammen. Im direkten Kontrast zu Dietmar Döbels Mickerstimme und Pinella Dahlkes emotionslosem Vortrag, klingt Danny wie ein Megafon am Anschlag.

      „Ganz gut. Wenn nichts schiefgeht, sollten wir den Auftrag für Berlin haben“, antwortet Pia. Sie zupft ihre Ärmel gerade. „Um elf sind zwei Leute vom Konzern hier und dann werden wir ja sehen. Ich bin aber ganz optimistisch.“

      „Wen schicken die?“

      „Irgendeine Sabrina Monk. Und einen …“ Pia blättert in einer dünnen Projektmappe, „… einen Markus Lecknepper.“

      Ich atme schwer. Zwar verstehe ich keine Zusammenhänge, aber bei der Vorstellung, gleich in Pias Team einem Typen gegenüberzusitzen, der „Lecknepper“ heißt, macht mir jetzt schon Angst. Heute darf ich mir kein weiteres Fettnäpfchen mehr leisten.

      „Und habt ihr schon über das Budget gesprochen?“

      „Das Agenturhonorar liegt bei zwölftausend. Die Fremdkosten bestimmt noch mal bei acht. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die noch drücken wollen.“

      „Noch mehr drücken?“, fragt Dietmar Döbel mit panischem Unterton in der ohnehin schon kämpfenden Stimme. „Ich denke, die wollen die ganz große Nummer!“

      Pia zieht ratlos die Schultern hoch. „Klar! Am liebsten Oscarverleihung, aber es darf nichts kosten. Ist doch wie immer.“

      Dietmar Döbel prustet empört. „Dass Sie mir das nicht versaubeuteln!“

      Ich tippe Ben an und frage leise: „Was für eine Firma ist das denn?“

      „’ne Restaurantkette. PastaFigaro.“

      „Die?“, frage ich begeistert. „Die gibt’s doch hier in der Innenstadt auch.“

      „Die gibt es inzwischen schon fast überall“, antwortet er gelangweilt.

      „Und was macht ihr da?“

      „Eröffnungsveranstaltung. Mit Promis und so.“

      „Nicht schlecht.“ Ich nicke anerkennend.

      Wenn ich auch nicht weiß, wie so eine Eröffnung aussieht und was da genau gemacht werden muss, merke ich dennoch, wie in mir Begeisterung wächst. Das PastaFigaro ist eines der angesagtesten Restaurants in der Stadt und immer rappelvoll. Ich war zwar selbst noch nicht drin, weil alle, die hingehen, auf erfolgreich und busy machen, also keine klassischen ,Wash & Go‘-Mitarbeiter sind, aber die Vorstellung, bald auch so cool und lässig zu sein, fasziniert mich.

      Noch mehr fasziniert mich allerdings Kathrin.

      „Und was für Projekte betreut die?“, flüstere ich Ben zu und nicke in Kathrins Richtung.

      „Private Events.“

      Ich blicke ein wenig ratlos aus der Wäsche und Ben wird konkreter.

      „Meistens Hochzeiten. In manchen Fällen auch mal Geburtstage, wenn irgendein hohes Tier fünfzig wird oder so. Vorletzten Monat war sogar eine Beerdigung dazwischen.“

      „Jemand beauftragt für seine Beerdigung eine Eventagentur?“

      „Ne“, amüsiert sich Ben, „das haben die Mitarbeiter gemacht. Der Typ, der das Zeitliche gesegnet hatte, war Seniorchef von so ’nem Großunternehmen. Da waren sogar die großen Fernsehsender mit Kamerateams und dem ganzen Firlefanz.“

      „So was kann die alles?“

      „Ach, alles kein Hexenwerk. Und im Zweifelsfall rettet ihr dann wieder irgendjemand den Hintern. Meistens die Kerle natürlich.“

      Wen wundert’s. Ich jedenfalls würde ihr gerne mal den Hintern retten dürfen. Auch wenn mich Hochzeiten jetzt eher nicht so interessieren – der Hintern wäre es Wert, auf jede PastaFigaro-Eröffnung zu verzichten.

      „Braucht den Raum hier gleich jemand?“, fragt Pia. „Dann würde ich die PastaFigaros nämlich ganz gerne hier empfangen.“

      Keiner der Anwesenden hat Einwände, sodass Dietmar Döbel das erste Montagsmeeting meiner noch jungen Eventlaufbahn beendet und sich nach und nach jeder der Anwesenden aus dem Raum schleicht. Da Pia und Ben sitzen bleiben, tue ich es ihnen gleich und warte ab. Danny Hahn zwinkert mir zu und tippt sich unsagbar cool mit dem Zeigefinger zum Gruß an die Stirn. Dann entsorgt er den abgenagten Stiel seines Lutschers mit einem nachlässigen Wurf knapp neben den Abfallbehälter und greift sich die Tüte mit den restlichen Chupa-Chups-Lutschern. Er runzelt die Stirn und pfeffert die Tüte in den Müll.

      „Spinnst du?“ Pinella Dahlke blickt ihn verständnislos an. Seine Antwort kann ich nicht mehr ganz verstehen, da er bereits auf dem Flur ist; es sind nur Satzfetzen, die an mein Ohr dringen.


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