Montagsmeeting. Kai Preißler

Montagsmeeting - Kai Preißler


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blicke ihn ratlos an und Ben zieht leicht resigniert die Schultern hoch.

      „Sag mal“, fragt Ben, nachdem er mich einige Momente nachdenklich gemustert hat, „habe ich dich schon mal irgendwo gesehen?“

      „Mich?“, frage ich ahnungslos. „Keine Ahnung, wüsste nicht, wo.“

      „Kommst mir irgendwie bekannt vor.“

      Ich zucke die Achseln und hoffe inständig, dass er mich nicht in einer der Quizshows gesehen hat.

      „Warst du vielleicht mal Kandidat bei ,Wetten dass …?‘?“

      Klarer Fall – er kennt mich wirklich aus einer Quizshow, wenngleich er mit ,Wetten dass …?‘ gehörig danebenliegt.

      „Muss dich leider enttäuschen.“

      Ben überlegt noch einen Moment, schüttelt dann aber ratlos den Kopf.

      „Wo hast du denn dein Büro?“, fragt er schließlich.

      „Hab ich noch nicht. Ich weiß eigentlich noch gar nichts. Weder, wo ich hin soll noch, was mich erwartet.“

      „So geht’s mir jeden Tag.“ Er lacht und ich habe den Eindruck, dass man den Laden hier nur lachend ertragen kann.

      „Habe nur mitbekommen, dass ich ins Team von irgendeiner Pia soll.“

      Ben reicht mir ein zweites Mal die Hand und sagt: „Partner, willkommen, wir sind in einer Band“, als hätte ich es in den Recall der zweiundsechzigsten PopStars-Staffel geschafft.

      Ich steige darauf ein und recke meine Faust, als hätte Dieter Bohlen mir einen Vertrag auf Lebenszeit gegeben.

      „Und“, frage ich, „wie ist diese Pia so?“

      „Super. Die ist echt super. Macht keine Riesenwelle und von den anderen hier kann der eigentlich keiner das Wasser reichen.“

      Ich nicke anerkennend.

      Dann betritt eine Frau den Raum und für einen Moment herrscht in meinem Kopf vollkommene Stille. Die kann noch keine dreißig sein und ist definitiv waffenscheinpflichtig. An ihr stimmt ausnahmslos alles und der Weg zu ihrem Platz bei den Douglas-Tussen wird augenblicklich zum Catwalk. Stünde sie vor Heidi Klum, wäre sie diejenige, die sagt: „Ich habe heute leider kein Foto für dich“ und Heidi verließe weinend den Raum.

      Ich tippe Ben an und frage: „Ist das Pia?“

      Ben schüttelt den Kopf und lacht. „Nee, Gott bewahre – das ist nicht Pia.“

      „Schade.“

      Ben schmunzelt und beugt sich zu mir rüber: „Vorsicht! Verpackung und Inhalt sind zwei Paar Schuhe. Wie immer in unserer Branche.“

      „Egal“, entfährt es mir.

      Ben sieht mich an, als hätte ich ihm anvertraut, dass ich Mike Tyson die Handtasche stehlen will.

      „Wer ist das denn?“, frage ich leise und Ben antwortet verschwörerisch: „Kathrin! Ein ganz heißer Knaller. Aber ein Charakter aus blanker Scheiße.“

      Ein schönes Bild, das ich nun vor meinen Augen habe! Ich will ihn fragen, ob die Konsistenz wenigstens formbeständig ist oder weich und breiig, doch Ben scheint meinen Gedanken erraten zu haben und flüstert: „Einer dieser Haufen, die man ganz lange unter den Schuhen hat, wenn man reingetreten ist. So tief in den Rillen, weißte?“

      Ich versuche mir diesen Traum von einer Frau aufrechtzuerhalten, indem ich mir eine plausible Erklärung für Bens Abneigung zusammenreime. Wahrscheinlich hat sie ihm den Korb seines Lebens gegeben und seitdem missgönnt er auch jedem anderen diesen Ferrari in engen Jeans.

      „Darf ich dich mal was fragen?“, frage ich nach einer Weile und senke meine Stimme so, dass bloß keiner mithören kann.

      Ben beugt sich zu mir.

      Ich räuspere mich. „Hast du hier einen richtigen Vertrag?“

      „Einen Vertrag? Ja klar habe ich einen Vertrag“, lacht er, wobei sein Lachen einen Hauch zu bitter klingt.

      Ich nicke und schaue resignierend auf den Tisch.

      „Fragt sich nur, was für einen Vertrag“, sagt er genüsslich. „Nämlich einen Scheißvertrag! Die meisten kriegen hier Praktikantenverträge und eine Bezahlung unter aller Sau.“

      „Du auch?“

      „Natürlich. Du etwa nicht? Wir sind hier doch nur die Deppen.“

      „Und ich hatte schon gedacht, ich bin der Einzige, der hier verarscht wird.“

      „Keine Sorge, Hirni. Richtige Verträge mit entsprechender Bezahlung haben hier nur die wenigsten. Außer dem Chef nur der Hahn, die Dahlke und ein paar Idioten aus der IT.“

      „Ist Danny Hahn denn nicht der Chef?“

      „Ach woher? Der leitet hier den Vertrieb und akquiriert die meisten Kunden. Sozusagen unser oberster Klinkenputzer. Aber wirklich zu sagen hat der nichts. Hätte er nur gerne.“

      Interessant! Fast so interessant wie der Auftritt von Whitney, mit der ich ja bereits ein anregendes Gespräch an Benjamins Grab hatte.

      Mit ihrem Hintern drückt sie die Tür auf, um einhändig ein Tablett mit zwei Thermoskannen und mehreren Tassen, Untertassen, Löffeln, Zucker und Milch zu balancieren. In der anderen Hand hält sie ein schnurloses Telefon, ihr iPhone und eine Tüte Chupa-Chups-Lutscher. Sie wirkt für ihre Verhältnisse hochkonzentriert, da sie der Balanceakt offensichtlich nicht nur motorisch, sondern auch kräftemäßig maximal auslastet.

      ,Jetzt bloß nicht auf die Uhr gucken, Whitney‘, denke ich beschwörend.

      Auch Ben verfolgt gespannt jede ihrer Bewegungen.

      „Ein Zuckerstick mehr und der Arm bricht ab“, flüstert er mir zu.

      Whitney ist inzwischen in leichter Not und das Tablett neigt sich merklich, aber keiner der Anwesenden greift ein und hilft. Als wäre das Schicksal ein Charakterschwein, beginnt nun zu allem Überfluss noch das Telefon zu piepen. In ihren Augen flackert die Panik und sie versucht tatsächlich, das Telefon in ihrer vollen Hand zu wenden, um den Anruf entgegenzunehmen. Wenn ihr das gelingt, ohne dass sie hier einen halben Polterabend vom Zaun bricht, ist sie definitiv reif für das Zirkusfestival von Monte Carlo oder wenigstens für ein Stipendium an der Artistenschule in Berlin. Warum nur kommt ihr denn keiner zu Hilfe? Sollte ich als Agentur-Novize etwa derjenige sein, der hier den Retter spielt?

      Erneut scheint Ben meine Gedanken zu erraten, hebt beschwichtigend die Hand und flüstert: „Nichts machen, nur genießen.“

      Wie aufs Stichwort erhebt sich Oberspacko Vogel und eilt Whitney entgegen. Anstatt ihr jedoch zu helfen und eventuell das Tablett oder wenigstens die blöden Lutscher abzunehmen, macht er das einzig Falsche und setzt eine Choreografie in Gang, die selbst Stan Laurel und Oliver Hardy als überzogen aus dem Drehbuch gestrichen hätten. Der Depp greift nach einer der Thermoskannen und bringt das gesamte Tablett vollkommen aus dem Gleichgewicht – der Alptraum jeder Kellnerin. Mit einem kehligen Schrei, der klingt wie ein gewürgter Frosch, reißt Whitney die Hand unnötigerweise hoch und bringt so erst richtig Schwung in das Desaster. Während die zweite Thermoskanne zu Boden stürzt, fliegen die restlichen Gegenstände bis unter die Decke, wo sie nicht nur selbst zu Bruch gehen, sondern zudem eine elegante Halogenkonstruktion zerschmettern. In Panik schnappt Whitney nach dem Tablett, das auf sie zurück stürzt, und katapultiert dabei das Mobiltelefon quer durch den Raum. Erst das gelbe Federbild stoppt den Flug, wobei vereinzelte Federn zu Boden gehen.

      Wo ein Telefon ist, da sind auch Lutscher, deren Tüte mit einem lauten Ratsch aufreißt, sodass gut drei Dutzend bunt gestreifter Projektile auf die Anwesenden herabregnen. Mit offenen Mündern und ungläubig staunend, ertragen sie den Beschuss. Unfassbar – es ist Karneval und keiner hat’s bisher gemerkt!

      Wie eine tragische Heldin steht Whitney in einem wahren Schlachtfeld, aber, Gott sei Dank, sie ist unverletzt und lebt. Mit zittriger Hand führt


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