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Buches zu widmen: In Kapitel 2 steht Paulus selbst mit seinem Leben und Arbeiten im Mittelpunkt. Kapitel 3 widmet sich dem Römerbrief und zentralen Themen paulinischer Theologie. Kapitel 4 beleuchtet die Briefe nach Korinth und einige der brennenden Fragen der Lebensgestaltung im Kontext einer antiken Grossstadt. Kapitel 5 führt in die Briefe des Paulus an die Gemeinden in Galatien, Philippi, Thessaloniki und im Haus des Philemon ein.
Paulus war nicht der erste, der die Botschaft vom Messias Jesus verkündet und messianische Gemeinschaften initiiert hat. Schon bald nach Ostern sind in Galiläa erste Verkündigerinnen und Verkündiger aufgetreten, die die Jesusbotschaft von Ort zu Ort getragen und die radikale Lebensweise Jesu und seiner Jüngerinnen und Freunde weitergeführt haben. Spuren ihrer Verkündigung sind in der Spruchquelle Q erhalten. Von den Anfangszeiten in Jerusalem erzählt die Apostelgeschichte. |12| Sie spannt einen grossen erzählerischen Bogen von der Zeit nach Ostern bis hin zur Ankunft des Paulus in Rom. Zwar ist die Apostelgeschichte erst um das Jahr 90, also lange nach diesen Anfangszeiten verfasst worden; doch gibt ihre Darstellung Einblicke in jene Anfänge zwischen Jerusalem, Damaskus und Antiochia. Ihnen ist das erste Kapitel dieses Buches gewidmet.
Das ausgehende erste Jahrhundert ist aber nicht nur die Zeit der Entstehung der Apostelgeschichte. Eine Reihe weiterer Briefe des Neuen Testaments ist in das letzte Drittel des ersten Jahrhunderts, um die Jahrhundertwende oder zu Beginn des zweiten Jahrhunderts zu datieren. Ein Teil dieser Briefe stellt sich in die Tradition des Paulus und gibt den Gemeinden der zweiten und dritten Generation mit der von Paulus geliehenen Autorität Hinweise für eine christgläubige Lebensgestaltung unter sich verändernden Bedingungen. Diese Briefe, die in Kapitel 6 dieses Buches gewürdigt werden, spiegeln einerseits die Wertschätzung des Paulus zu dieser Zeit und dokumentieren, wie man in veränderten Kontexten seine Botschaft verstanden und weitergeschrieben hat. Anderseits sind sie Zeugnisse für sich entwickelnde Gemeinden, in denen manche Fragen neu und anders verhandelt wurden, in denen bisweilen aber auch – so viel sei bereits an dieser Stelle gesagt – restriktive Tendenzen die Oberhand gewannen und manche diffamierende Töne gegenüber Andersdenkenden zu hören sind.
In die Tradition anderer Autoritäten stellen sich die «katholischen Briefe». Unter diesem Begriff werden Schriften aus verschiedenen Traditionen und Kontexten zusammengefasst, die sich weniger an eine konkrete Gemeinde als vielmehr an eine Allgemeinheit von Christinnen und Christen richten. Zu den in Anspruch genommenen Autoritäten, in deren Namen geschrieben wird, gehören neben Petrus auch Jakobus und Judas, die Brüder Jesu. Dagegen behaupten die drei Johannesbriefe nicht, von Johannes geschrieben zu sein; doch führen sie die Leserinnen und Leser in die ganz andere Welt der johanneischen Gemeinden und ihrer Theologie. Eines der immer wiederkehrenden Themen dieser Briefe ist das Leben als kleine und oftmals bedrängte Minderheit von Christgläubigen inmitten einer Gesellschaft, die |13| nach ganz anderen Regeln funktioniert als den eigenen. Doch fallen die Ratschläge und Hinweise, die in den verschiedenen Schriften gegeben werden, keineswegs einheitlich aus. Diese Gruppe von Briefen erhält gemeinsam mit dem anonymen Hebräerbrief in Kapitel 7 ihren Raum.
Das letzte Kapitel des Buches ist der Offenbarung des Johannes gewidmet. In apokalyptischer Sprache ruft der Verfasser dieser Schrift seine Adressatinnen und Adressaten dazu auf, nicht den Verlockungen des römischen Imperiums zu verfallen und sich nicht von den Vorteilen einer Anpassung an die römische Gesellschaft verführen zu lassen, sondern sich klar für Christus zu entscheiden und aus dieser Position Widerstand gegen die totalitären Ansprüche des Systems und seine täglichen Anforderungen zu leisten. Es ist eine irritierend harte Botschaft, die das letzte Buch des Neuen Testaments transportiert; doch sie lehrt, die je eigene Gegenwart im Licht des Glaubens kritisch zu hinterfragen.
Wer sich auf die Suche nach den «Anfängen der Kirche» begibt, sucht mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht nur historische Information, sondern erwartet aus der Lektüre über die Anfänge auch Impulse für die Gestaltung von Glaube und Kirche heute. Daher wird unsere Darstellung an vielen Stellen explizit oder implizit transparent für Fragen und Herausforderungen, vor denen wir heute immer noch oder neu stehen.
Ein solches Buch verdankt vieles den Forschungen jener, die sich vor uns mit diesen Dingen beschäftigt haben. Nur einen Teil davon konnten wir in den Fussnoten und im Literaturverzeichnis dokumentieren. Angesichts der Notwendigkeit, eine Auswahl aus der verfügbaren Literatur zu treffen, haben wir den Schwerpunkt auf gut zugängliche und auch für Nicht-Fachleute verständliche Veröffentlichungen gelegt. Am Ende jedes Kapitels gibt zudem die Rubrik «Zum Weiterlesen» ausgewählte Lesetipps zur Vertiefung.
Um die Lektüre zu erleichtern, haben wir oft markante biblische Texte zitiert. Soweit es nicht anders angegeben ist, geben wir die Texte nach der Einheitsübersetzung wieder. Allerdings haben wir den Wortlaut bisweilen leicht korrigiert, zum Teil, um in einem Detail präziser zu übersetzen, zum Teil, um Frauen und Männer explizit sichtbar zu machen oder vielfältigere Bilder für den Gottesnamen zu finden. An |14| manchen Stellen haben wir biblische Texte aber auch nach anderen Übersetzungen wie der Zürcher Bibel, der Bibel in gerechter Sprache, der Übersetzung von Fridolin Stier oder einer Kommentarübersetzung wiedergegeben und dies eigens vermerkt.
Dieses Buch geht zu einem Teil zurück auf ein Skript zu «Paulus», das Daniel Kosch für theologiekurse.ch verfasste. Für das vorliegende Buch hat Daniel Kosch (DK) einen Teil dieses Skripts zu einem umfassenden Kapitel zum Römerbrief ausgearbeitet (Kapitel 3). Alle anderen Kapitel dieses Buches wurden von Sabine Bieberstein (SB) neu geschrieben.
Das vorliegende Buch hätte nicht geschrieben werden können ohne die tatkräftige Unterstützung vieler. Monika Beil hat weite Teile des Manuskripts kritisch gegengelesen, viele kluge Hinweise gegeben und einige Literaturrecherchen übernommen. Prof. Dr. Klaus Bieberstein hat uns nicht nur einige Karten und Pläne, die er vor Jahren gezeichnet hatte, zur Verfügung gestellt, sondern stand uns darüber hinaus mit fachkundigem Blick auf das Manuskript zur Seite. Prof. Dr. Hermann Venetz war in allen Phasen der Manuskriptentstehung ein kompetenter Gesprächspartner, mit dem wir viele Fragen diskutieren konnten. Die Kollegen im Redaktionsteam der Reihe, Prof. Dr. Stephan Leimgruber und Dr. Felix Senn, haben mit grosser Sorgfalt und Sachkenntnis das Manuskript gelesen und zahlreiche weiterführende Hinweise gegeben. Felix Senn hat darüber hinaus als unermüdlicher Mahner und fachkundiger Gesprächspartner dazu beigetragen, dass das Manuskript den vorgegebenen Rahmen nicht noch mehr sprengt. Schliesslich haben wir dem Lektorat der Edition NZN bei TVZ für die sorgfältige Begleitung der letzten Phase der Buchentstehung zu danken.
Nun wünschen wir den Leserinnen und Lesern dieses Buches viele unerwartete Entdeckungen bei der Suche nach den «Anfängen der Kirche».
Bamberg und Zürich, im April 2012
Sabine Bieberstein und Daniel Kosch
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|15| Von Jerusalem nach Antiochia – Die Zeit des Anfangs (SB)
1.1
Die Katastrophe des Karfreitags
Der Tod Jesu am Kreuz hätte das Ende der Jesusbewegung sein können. Sowohl in römischer wie auch in jüdischer Perspektive musste Jesus als desavouiert, sein Anliegen als gescheitert gelten. Denn sein Tod war in römischer Perspektive der Tod eines Aufständischen, ein entwürdigender Sklaventod. Und in jüdischer Perspektive galt ein Gekreuzigter als von Gott verflucht (vgl. Dtn 21,22–23) – wenn er nicht als Märtyrer angesehen wurde, der wegen seines jüdischen Glaubens einen solchen Tod erlitten hatte,1 was die Mehrheit der zeitgenössischen Jüdinnen und Juden bei Jesus nicht so sah. Alles andere lag also näher, als ausgerechnet Jesus, der auf diese Weise ums Leben gebracht worden war, als Messias Gottes zu interpretieren und an seiner Botschaft festzuhalten.
Entsprechend gibt es in den neutestamentlichen Texten Anzeichen für einige Auflösungserscheinungen unter der Anhängerschaft Jesu nach dessen Kreuzestod. So spricht Mk 14,50–52 in drastischer Weise von der Flucht «aller» anlässlich der Verhaftung Jesu. Am Kreuz stehen nach dem Zeugnis des Markus- und Matthäusevangeliums weder die Zwölf noch andere herausragende Figuren der Anhängerschaft Jesu, sondern übrig geblieben ist allein eine Gruppe von Frauen, die zur Nachfolgegemeinschaft gehörte, unter ihnen an erster Stelle Maria aus Magdala (Mk 15,40 f.). Nach Lukas gibt es daneben noch eine