Paulus und die Anfänge der Kirche. Sabine Bieberstein

Paulus und die Anfänge der Kirche - Sabine Bieberstein


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des leeren Grabes sowie über die Erscheinungen des Auferstandenen. In diesen Erzählungen spielen, dies sei wenigstens kurz erwähnt, die Frauen aus der Nachfolgegemeinschaft Jesu eine prominente Rolle. Bemerkenswerterweise verweist die markinische Erzählung von der Auffindung des leeren Grabes die Jüngerinnen und Jünger nach Galiläa (Mk 16,7). Damit kommt auch in dieser Traditionslinie die Reich-Gottes-Praxis Jesu, die in Galiläa begonnen hatte, wieder ins Spiel, und die Erzählung lädt (auch) dazu ein, auf dem von Jesus begonnenen Weg der Reich-Gottes-Praxis weiterzugehen.4

      Die frühe Überlieferung zeigt zum einen, dass die Nachfolgerinnen und Jünger Jesu – entsprechend der engen Verknüpfung der Auferweckungsbotschaft mit der Reich-Gottes-Praxis Jesu – die Sache Jesu weitertrugen und seine Botschaft weiter verkündigten. Dazu sind vor allem die Traditionen der Spruchquelle Q zu nennen (vgl. Lk 10,9). Zum anderen ist eine bedeutsame inhaltliche Verschiebung zu beobachten: Ins Zentrum der Verkündigung rückt die Person Jesu selbst sowie die Tat Gottes an ihm. Verkündigt wird nun der Gekreuzigte und von Gott Auferweckte, und das heisst: die Rehabilitation des als König der Juden Hingerichteten durch Gott selbst.5 Verbunden damit sind beginnende bekenntnishafte Aussagen zur Einsetzung Jesu in himmlische Herrschaftspositionen: als «Sohn Gottes» und «Herr» (vgl. Röm 1,3–4), als «Menschensohn», der zur Rechten Gottes seinen Platz erhält (vgl. Dan 7,13; Mk 14,62) und natürlich als «Christus» bzw. «Messias», womit Jesus in die messianische Tradition Israels gestellt wurde.6

       |21| Frühe Jesusboten in Galiläa

      Ein Teil der frühen nachösterlichen Verkündigung ist dabei zunächst in Galiläa angesiedelt. Vor allem die Trägergruppen der Spruchquelle Q müssen schon relativ bald nach dem Tod Jesu in Galiläa und in angrenzenden Gebieten Palästinas und Syriens zu wirken begonnen haben.

      Exkurs

      Als Spruch- oder Redequelle Q bezeichnet man eine frühe Sammlung von Reden und Aussprüchen Jesu. Nach der Zweiquellentheorie, die die Entstehung der Evangelien erklärt, schöpften das Matthäus- und das Lukasevangelium unabhängig voneinander einerseits aus dem Markusevangelium und anderseits aus dieser Spruchquelle Q. Daneben hatten sie noch je eigene Traditionen, das Sondergut, zur Verfügung.

      Die Spruchquelle Q ist nicht als Dokument erhalten. Aber man kann ihren Inhalt aus denjenigen Partien des Matthäus- und des Lukasevangeliums rekonstruieren, in denen diese beiden Evangelien übereinstimmen, aber für die es keine Vorlage im Markusevangelium gibt.7

      Es waren wohl zunächst Wanderprediger, die die Jesusbotschaft von Ort zu Ort trugen und dabei dem radikalen jesuanischen Ethos noch sehr nahestanden, das durch Heimatlosigkeit (Q/Lk 9,58), Familiendistanz (Q/Lk 9,60 f.), Besitzkritik (Q/Lk 6,20 f.) und Gewaltlosigkeit bzw. Feindesliebe (Q/Lk 6,27 f.35c–d) geprägt war. Im Zentrum dieser Verkündigung stand bei ihnen allerdings weniger der von Gott Auferweckte. Dies zeigt sich auch darin, dass die Spruchquelle Q völlig ohne eine Passions- und Auferstehungserzählung auskommt. Im Zentrum standen vielmehr die Worte Jesu, der vor allem mit prophetischen, aber auch mit weisheitlichen Zügen gezeichnet ist und der eines gewaltsamen Todes gestorben war wie zahlreiche Propheten vor ihm. Dabei wusste sich die Q-Trägergruppe mit ihrer Botschaft zwar zu Israel gesandt, stiess damit jedoch keineswegs überall auf offene Ohren und reagierte im Gegenzug mit heftiger Polemik gegen «diese Generation» (vgl. Q/Lk 11,47–51). Auch gegen Jerusalem werden harte Worte gesprochen:

      |22| «Jerusalem, Jerusalem, die die Propheten tötet und die zu ihr Gesandten steinigt! Wie oft wollte ich deine Kinder sammeln, wie eine Henne ihre Küken unter die Flügel sammelt, und ihr habt nicht gewollt. Siehe, euer Haus wird euch verlassen [werden].. Ich sage euch, ihr werdet mich nicht mehr sehen, bis [‹der Tag› kommen wird, da] ihr sagt: Gesegnet, der im Namen des Herrn kommt!» (Q 13,34 f.)8

      In diesen Worten klingt das gewaltsame Prophetenschicksal Jesu an. Sie sind aber auch ein Echo darauf, dass die Verkündigung der Q-Leute unter den Jüdinnen und Juden weitgehend nicht von Erfolg gekrönt war. Dabei deutet die Formulierung «siehe, euer Haus wird euch verlassen (werden)» bereits auf eine spätere Redaktionsphase des Spruchevangeliums Q während des jüdischen Krieges, als entweder das Ende des Jerusalemer Tempels unmittelbar bevorstand oder als bereits auf die Zerstörung Jerusalems und des Tempels im Jahr 70 n. Chr. zurück geblickt wurde.9

      Auch wenn sich einige Q-Sprüche also äusserst kritisch mit Israel auseinandersetzen, sind diese Sprüche doch keinesfalls antijüdisch zu lesen, sondern als Zeugnisse innerjüdischer Auseinandersetzungen um die Bedeutung des Propheten Jesus und den Ernst der Entscheidungssituation. Wohl soll Israel mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Umkehr gerufen werden; doch dürfen diese Texte noch nicht als Hinweise auf eine bereits erfolgte Trennung der in Q vertretenen Jesus-Nachfolger vom Judentum verstanden werden. Noch ist diese Jesusgruppe in die vielfältigen jüdischen Richtungen des ersten Jahrhunderts einzuordnen, auch wenn die Texte zeigen, dass sich eine eigene Identität der Jesusbewegung – zum Teil in Abgrenzung von anderen jüdischen Gruppierungen – herauszubilden beginnt.10

       |23| Anfänge in Jerusalem

      Eine etwas andere Perspektive auf die nachösterlichen Aufbrüche bietet die Apostelgeschichte des Lukas (Apg). Dieses Werk ist zwar erst um das Jahr 90 n. Chr. entstanden, doch stellt es als einziges uns zur Verfügung stehendes Werk einen erzählerischen Zusammenhang zwischen dem Wirken Jesu und der Zeit nach Ostern her.

      Wie andere historische Quellen muss dabei auch das lukanische Doppelwerk kritisch auf die historischen Ereignisse hin befragt werden. Denn der Verfasser des lukanischen Doppelwerkes – der hier mit der kirchlichen Tradition und exegetischen Konvention Lukas genannt wird – tritt nach seiner eigenen Selbstdarstellung als ein akribisch arbeitender Forscher auf, der vorliegende Quellen auswertet, um auf deren Grundlage eine eigene Darstellung der Jesusgeschichte und der Geschichte seiner «Apostel» zu schreiben (vgl. Lk 1,1–4; Apg 1,1 f.). Geschichte zu schreiben heisst nach den Konventionen der griechischen Antike, «die Kräfte zum Vorschein [zu] bringen, die geschichtliche Abläufe vorantreiben.»11 Diese bewegende Kraft ist nach Überzeugung des Lukas der Heilige Geist. Die Kraft dieses Heiligen Geistes war nach Lk 24,49 den in Jerusalem versammelten Jüngerinnen und Jüngern vom Auferstandenen zugesagt worden, und bereits von Beginn der Apostelgeschichte an wird die Bedeutung des Heiligen Geistes als die hinter all den Ereignissen stehende Kraft kenntlich gemacht (Apg 1,2). Der Auferstandene wiederholt nach Apg 1,8 gegenüber der Jüngergruppe die Verheissung der Geistausgiessung. Zugleich wird hier das erzählerische Programm der Apostelgeschichte deutlich:

      «Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde.» (Apg 1,8)

      In seinem zweiten Band will Lukas demnach erzählen, wie sich das Evangelium von Jerusalem über Judäa und Samaria «bis an die Grenzen der Erde» ausbreitet und wie dies von der |24| Kraft des Heiligen Geistes bewirkt und unterstützt wird. Dieses Programm ist zu bedenken, wenn wir uns im Folgenden der Darstellung der «Anfänge der Kirche» in der Apostelgeschichte zuwenden. Es gilt also, die Darstellung der Apostelgeschichte auf die Intentionen des Verfassers hin zu befragen und mit Hinweisen aus (den spärlichen) anderen Quellen kritisch zu kombinieren.

      1.5.1

       Die Rückkehr nach Jerusalem

      Nach der Darstellung der Apostelgeschichte (und schon des Lukasevangeliums) bleiben die Jüngerinnen und Jünger – gemäss der Anweisung des Auferstandenen in Lk 24,49 – während der Passions- und Osterereignisse in Jerusalem. Dem entsprechend werden nicht nur im Lukasevangelium, sondern auch in der Apostelgeschichte die Erscheinungen des Auferstandenen in und um Jerusalem angesiedelt, und auch die so genannte Himmelfahrt, die endgültige Aufnahme des auferstandenen Jesus in den Himmel, wird in Betanien bzw. auf dem Ölberg nahe der Stadt Jerusalem lokalisiert (Lk 24, 50–53; Apg 1,9–12). So entsteht das Bild einer ununterbrochenen Präsenz der Jesusgruppe in Jerusalem über Karfreitag und Ostern hinweg.

      Doch ist es demgegenüber historisch


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