Elton John. Mark Bego

Elton John - Mark  Bego


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Donegan.

      Elton erinnerte sich später: „All die Künstler, die ich verehrte, waren Amerikaner. Überhaupt kopierte jeder in Großbritannien die amerikanischen Vorbilder. Allerdings gab es auch eine Engländerin, die ich bewunderte – eine schwarze Lady namens Winifred Atwell. Sie war unglaublich dick und spielte Flügel und Klavier, und ich gab mir viel Mühe, sie nachzuahmen.“(10)

      Natürlich war es Elvis, der dem Rock’n’Roll ein Gesicht gab, aber es waren vor allem jene Rocker, die mit Leidenschaft und großen Gesten das Klavier bearbeiteten, die Reggie sofort begeisterten. Jerry Lee Lewis und Little Richard spielten ihr Instrument mit Tornadogeschwindigkeit und Extravaganz, und vor allem Little Richard sollte Reggie zwölf Jahre später, als seine Karriere richtig in Schwung kam, als Vorbild dienen.

      Dass Reggie sich derart für den Rock’n’Roll begeisterte, war ganz und gar auf Sheila zurückzuführen. „Ich erinnere mich, dass sie diese Schallplatten mit nach Hause brachte und sagte, sie seien ganz anders als alles, was wir bisher gehört hätten“, sagte Elton. „Sie glaubte, dass sie mir gefallen würden. Und tatsächlich, ich konnte beinahe gar nicht fassen, wie gut sie waren. Von diesem Augenblick an hatte mich der Rock’n’Roll erobert. Die Sachen von Jerry Lee Lewis und Little Richard spielte ich für mich selbst auf dem Klavier, haute sie einfach raus.“(11)

      In den späten Fünfzigern verblichen in England wie auch im übrigen Europa allmählich die Erinnerungen an den Schmerz und die Verluste, die der Zweite Weltkrieg mit sich gebracht hatte. Als der Rock’n’Roll nach Großbritannien kam, wurde er wie eine frische Brise mit offenen Armen begrüßt. „Wir waren in England dafür bereit“, erinnert sich Elton. „Bis dahin waren die Lieder, die wir hörten, alle sehr brav und anständig. Und dann kamen plötzlich Sachen wie ‚All Shook Up‘, die völlig anders waren als Guy Mitchell, wenn er ‚Singing The Blues‘ brachte. Plötzlich sang Bill Haley ‚Rock Around The Clock‘ und Little Richard schrie ‚Tutti Frutti‘ – gerade vom Text her war das eine ganz neue Richtung. Alles lag vor uns, als sei gerade irgendetwas explodiert. Vorher gab es, vor allem in England, nichts, womit sich Jugendliche hätten identifizieren können. Nun tauchten völlig neue Leute auf, die anders aussahen und auch ganz anders sangen – und plötzlich war die Gitarre das angesagte Instrument. Es war einfach die richtige Zeit.“(12)

      Beinahe über Nacht hatte die Rockmusik den kleinen Reggie Dwight überwältigt. Er hatte emotionsgeladene Pianisten entdeckt, die er nachahmen und bewundern konnte. „Jerry Lee Lewis hatte stets sehr großen Einfluss auf mich“, bekannte er. „Er ist der beste Rockpianist aller Zeiten. Niemand kommt an ihn heran. Ich könnte nicht so spielen wie er, er ist einfach zu schnell. Für einen Pianisten habe ich schreckliche Hände – leider habe ich richtige Winzlingfinger. Ich spiele eher wie Little Richard. Einmal sah ich mir Little Richard im Harrod’s Granada an. Er sprang aufs Klavier, und ich dachte nur: Ich wünschte, ich wäre an seiner Stelle.“(13)

      Der junge Reginald war bald ebenso fasziniert von den Fernsehauftritten des extravaganten amerikanischen Pianisten Liberace, der für ein breites Publikum bearbeitete Klassikstücke auf einem Flügel spielte, auf dem ein überladener Kandelaber stand. Reggie war begeistert von dem homosexuellen Showstar, der seine Neigung jedoch vor der Öffentlichkeit verbarg.

      1957 erwarb Reggie die ersten Schallplatten, die den Grundstock zu seiner eigenen Sammlung legten. „Die ersten Singles, die ich mir kaufte“, berichtete er, „waren ‚Reet Petite‘ von Jackie Wilson und ‚At The Hop‘ von Danny & The Juniors.“(14)

      Mit der Fußballsaison 1957/58 hatte Reggie allen Grund, auf seine Familie stolz zu sein: Sein Cousin Roy Dwight wurde der Star der örtlichen Sportszene. Roy hatte den FC Fulton bis ins Halbfinale des FA Cup geführt und war anschließend zum Erstligisten Nottingham Forest gewechselt. Er hatte die damals astronomische Summe von 15.500 Pfund erhalten.

      In der folgenden Saison schien Roy eine strahlende Zukunft als Fußballer vor sich zu haben. Er erwies sich als echter Star und führte Nottingham Forest bis ins Finale des FA Cup. Selbst die Königin und der Herzog von Edinburgh saßen bei diesem Schlagerspiel auf den Rängen. Doch in der 33. Minute des Spiels verletzte sich Roy; er erlitt einen komplizierten Wadenbeinbruch.

      Obwohl diese Verletzung Roys Karriere jäh beendete, machte sein Erfolg großen Eindruck auf Reginald. Wenn Roy plötzlich der Star der Familie werden konnte, welche Möglichkeiten hatte dann sein kleiner Cousin Reggie?

      1958 gewann Reginald Dwight ein Stipendium für eine ausgesprochen renommierte Musikschule: „Mit elf bestand ich die Prüfung für die Royal Academy of Music und wurde dort unterrichtet, bis ich 15 war.“(15)

      Die Kursleiterin an der Academy, Margaret Donington, entdeckte sehr schnell, dass sie in Reginald einen sehr viel versprechenden Schüler vor sich hatte. Eine der Lehrerinnen, Helen Piera, sollte herausfinden, wie gut der Junge nach Gehör spielen konnte. Sie setzte sich ans Klavier und spielte ein Stück von Händel, dessen Noten vier Seiten umfassten. Als sie Reggie das Instrument überließ, wiederholte er das Stück beinahe Note für Note.

      Ab diesem Zeitpunkt besuchte Reginald jeden Samstag die Royal Academy Of Music. Er war nicht nur für klassischen Klavierunterricht angenommen worden, sondern sang auch im Chor.

      Zunächst war Reggie von der Academy begeistert, aber es dauerte nicht lange, und es langweilte ihn, immer nur die Klassiker zu lernen und zu spielen. Ihm kam es so vor, als ob er noch einen sechsten Tag zur Schule musste, und für einen Elfjährigen war das keine besonders verlockende Aussicht. Schon bald schwänzte er die Stunden. „Ich hatte irgendwie keine Lust auf die Academy“, berichtete er. „Außerdem gehörte ich zu den Kindern, die sich immer irgendwie durchwurschteln konnten, ohne geübt zu haben, und dann trotzdem bestanden. Ich kam immer gerade so durch die Prüfungen. Manchmal, wenn ich nicht übte, ging ich zur Baker Street, wo sich die Academy befindet, setzte mich in eine U-Bahn der Circle Line und fuhr einfach nur durch die Gegend. Dann kam ich nach Hause und erzählte meiner Mutter, ich sei beim Unterricht gewesen. Ich war wirklich kein Musterschüler.“(16)

      Nachdem ihn der Rock’n’Roll gepackt hatte, schwand seine Begeisterung für Mozart noch stärker. „Als Kind hasste ich es, klassische Musik zu spielen, weil ich dazu gezwungen wurde“, erklärte er. „Ich wäre viel lieber draußen gewesen, hätte Fußball gespielt oder wäre ins Stadion gegangen. Ich habe nie mehr geübt, als unbedingt nötig war, um durch die Prüfungen zu kommen. Na ja, Chopin oder Bach haben mir manchmal schon gefallen, aber das war’s auch schon. Meist fand ich klassische Musik grässlich.“(17)

      Zwar hatte er wenig Lust auf die strenge Disziplin, mit der er zum Studium der Klassik angehalten wurde, aber der Unterricht war ihm später im Leben durchaus nützlich. „Rückblickend bin ich wirklich froh, dass ich diese Stunden bekam“, gab er zu. „Denn dort vermittelte man mir die Grundlagen der Musik, auch wenn ich keine Lust hatte, den Lehrern zuzuhören. Aber irgendwie habe ich wohl doch was mitbekommen, denn man merkt an der Art, wie ich die Melodien meiner Songs strukturiere, dass ich eine klassische Ausbildung habe.“(18)

      Elton hatte als Jugendlicher in der Schule durchaus Freunde, aber ihm blieb wenig Freizeit. „Von Montag bis Freitag hatte ich den normalen Schulunterricht“, erinnerte er sich. „Samstag war die Royal Academy Of Music dran. Sonntags musste ich dann zuhause hocken und meine Schularbeiten machen. Abgesehen von den Ferien hatte ich wirklich nichts zu lachen. Ich war ziemlich introvertiert und hatte schreckliche Minderwertigkeitskomplexe. Deswegen fing ich an, Brillen zu tragen – weil ich mich dahinter verstecken konnte. Ich brauchte eigentlich keine, aber als Buddy Holly kam, wollte ich unbedingt auch so eine Brille wie er! Schließlich trug ich sie den ganzen Tag, und das führte dann dazu, dass meine Augen wirklich schlechter wurden.“(19)

      Elton fühlte sich in seiner Kindheit ein wenig wie ein Ausgestoßener. „Als Kind stand ich bei allem immer am Rand“, erklärte er. „Ich gehörte nie zu den angesagten Cliquen. Wenn die anderen ins Kino gingen, wurde ich meist als letzter gefragt, ob ich auch mit wollte. Ich glaube, es hat meine Persönlichkeit geprägt, dass ich von Frauen erzogen wurde, denn ich verbrachte viel Zeit allein, saß in meinem Zimmer und hörte Platten. Ich wurde zum Einzelgänger und war im Umgang mit anderen Kindern ziemlich befangen. Ich schuf mir meine eigene Welt. Schon in diesen jungen Jahren


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