Mein Leben - Meine Musik. John Fogerty
und andererseits Themen wie Wut, Angst oder Unsicherheit in zwei Sätzen abhandeln. Es gab einmal eine Zeit, in der ich die Konflikte und Kontroversen rund um meine Band heruntergespielt hätte. Schließlich wollte ich mich nicht wie ein Jammerlappen anhören, und schon gar nicht wollte ich das Andenken von Creedence beflecken – immerhin war das ja noch immer meine Band.
Und so habe ich letzten Endes sehr oberflächlich über all diese Dinge berichtet, ohne dabei Einblick in meine wahren Gefühle zu gewähren. Ich kam einfach nicht auf den Punkt. Dies ist nun meine Chance, endlich ein paar Dinge geradezurücken.
Ich werde nichts schönreden oder für irgendjemanden Entschuldigungen erfinden – schon gar nicht für mich selbst. Teufel noch eins, ich bin schließlich kein Präsidentschaftskandidat. Also muss ich auch nichts verstecken. Es ist eigentlich sogar recht befreiend, Dinge im Kopf aufzuarbeiten und alles herauslassen zu können. Sobald man einmal die eigenen Fehlschläge unter die Lupe genommen hat, gibt es nicht mehr viel, das einen erschüttern könnte.
Ich werde euch einfach meine Lebensgeschichte erzählen, so wie ich sie sehe. Es ist die Geschichte eines Jungen aus El Cerrito und seines musikalischen Traums. Zuerst wurde er wahr – und dann verwandelte er sich in einen Albtraum. Seine Plattenfirma zog ihn über den Tisch und dann verriet ihn auch noch seine Band. Am schlimmsten von allem war, dass ihm seine Musik entrissen wurde, jene Songs, die ihm bis heute alles bedeuten.
Lest euch dennoch alles bis zum Ende durch, denn anders als so viele andere Geschichten über das Musikbusiness hat diese ein ehrliches Happy End.
ICH FUHR MIT MEINER FRAU JULIE und unserer Tochter Kelsy unlängst nach einem langen Tag nach Hause. Es fühlte sich so richtig an – wir drei zusammen im warmen Auto, zufrieden damit, wie der Tag verlaufen war. Plötzlich holte mich die Erinnerung ein an etwas, woran ich seit sehr langer Zeit nicht mehr gedacht hatte. Ich erinnerte mich daran, wieso ich diese gewöhnlichen Momente mit meiner Familie so schätze. In Gedanken war ich wieder in der neunten oder zehnten Klasse. An jenem Tag musste ich meine Hausaufgaben bei meinem Freund Michael Still abholen, da ich aus irgendeinem Grund der St. Mary’s High School ferngeblieben war. Er und sein jüngerer Bruder öffneten mir die Tür; beide trugen sie schmucke Bademäntel und Pyjamas und sahen aus wie frisch gewaschen. Mein Freund entschuldigte sich dafür, dass sie im Pyjama waren, und sagte: „Meine Mom möchte, dass wir uns schon vor dem Abendessen baden, damit wir dann einfach entspannen können.“ Entspannen.
Ich weiß noch genau, wie ich da stand und all die Wärme und Glückseligkeit, die mir aus diesem Haus entgegenströmte, spüren konnte. Ich dachte daran, wie gut diese Jungs versorgt waren. Obwohl ich noch ein Kind war, war mir die Diskrepanz zwischen dem Leben meines Freundes und meinem eigenen nur allzu bewusst: Er durfte sich entspannen, während ich nun nach Hause ging, in ein kaltes, leeres Haus, in mein karges Kellerschlafzimmer, das öfters überflutet war. Es gab keine fixen Essenszeiten – meine Mom war auf der Arbeit und mein Dad lebte nicht mehr bei uns. Nein, ich würde mich ganz sicher nicht entspannen.
Ich kam am 28. Mai 1945 zur Welt. Aufgewachsen bin ich in El Cerrito, Kalifornien. Vor Jahren machte ich den Fehler, ein Formular auszufüllen, in dem nach meinem Geburtsort gefragt wurde. Da es in El Cerrito kein Krankenhaus gibt, trug ich korrekt „Berkeley“ ein. Aber ich lebte dort nicht, und nun wird jedes Mal, wenn es um meine Kindheit geht, ein Ort genannt, der gar nicht meine Heimat ist.
Ich bin nämlich stolz darauf, aus El Cerrito zu stammen. Warme Bäder vor dem Abendessen hin oder her, ich liebte meine Kindheit und würde mit niemandem tauschen wollen. El Cerrito vermittelte mir eine andere Perspektive als jene, über die ein Junge aus New York City oder ein Songwriter aus Nashville verfügen würden. Solche Leute sind weltgewandter. Aus El Cerrito kam im Grunde genommen rein gar nichts, obwohl immerhin die Baseballspieler Pumpsie Green und Ernie Broglio die El Cerrito High School besucht haben. Dennoch bin ich sehr glücklich darüber, in einer Kleinstadt aufgewachsen zu sein.
Hier ging es geruhsam zur Sache. Alles lag nah beieinander, alles war einem vertraut und wohlgesinnt – und nicht annähernd so beängstigend wie heute. In der Nähe unseres Hauses befand sich eine Reihe von Geschäften: Bert’s Barber Shop, ein Lebensmittelladen, ein Drugstore, ein Schönheitssalon und Ortman’s Ice Cream, wo man für einen Vierteldollar ein Slush ‒ ein halbgefrorenes Erfrischungsgetränk ‒ erhielt. Als ich mit dem Fahrrad die Zeitung austrug, holte ich mir täglich eines. Es waren andere Zeiten. Als ich aufwuchs, gab es noch nicht viel Verkehr. Ein Sechsjähriger konnte noch ganz allein herumstreunen, mit einem Fünfcentstück in der Tasche zum Markt schlendern und sich einen Apfel kaufen. Ich weiß etwa noch, wie ich zum Metzger spazierte, um ihm Knochen für meinen Hund abzuschwatzen. Auch zur Schule bin ich zu Fuß gegangen. Wahrscheinlich waren die Klassen ziemlich groß, doch in meiner Erinnerung sind sie gemütlich. Der Lehrer sah und sprach mich direkt an. Einige Lehrer mochte ich richtig gern, etwa meine Lehrerin in der zweiten Klasse, Mrs. Fuentes. Auch Miss Begovich, die mich in der sechsten Klasse unterrichtete. Sie sprach über Bildung und intellektuelle Dinge auf eine Art und Weise, die Bedeutung vermittelte. Miss Begovich war eine Inspiration und nahm sich immer viel Zeit für mich.
Der örtliche Polizeibeamte hieß Ray Morris. Er fuhr auf einem dreirädrigen Motorrad, an das ich mich noch gut erinnere. Sein Name blieb mir aber deswegen im Gedächtnis, weil er in gewisser Weise mein Vorgesetzter war, schließlich war ich in der fünften und sechsten Klasse Schülerlotse ‒ ein Lieutenant mit einer Pfeife und einem Pullover. Und Officer Ray hatte das Kommando. Einmal besorgte ich mir eine Sirene, die man am Vorderrad des Fahrrads anbringen konnte; zusätzlich montierte ich einen alten Küchenwecker. Jedes Mal, wenn ich nun irgendwo vorfuhr, erklang dieser völlig abgefahrene Sound! Eines Tages brauste ich mit 20 Meilen die Stunde und unter dem Geheul von Sirene und Wecker die Fairmont Avenue hinunter und überquerte die Kreuzung mit der Ashbury Avenue, an der unsere Schule lag. Ray Morris saß dort auf seinem Motorrad und schüttelte nur den Kopf. Er kam aber nicht, um mich auszuschimpfen – ein Blick von ihm genügte. Officer Morris besuchte auch immer wieder mal unsere Pfadfindertreffen. Einmal wurde mir mein Fahrrad gestohlen, und im Handumdrehen brachte er es mir wieder zurück. Wenn ich heute daran zurückdenke, ist es schon bemerkenswert, wie vernetzt mein damaliges Leben doch war. Es war eine richtige Gemeinschaft.
Kinder – auch heute noch bevorzuge ich ihre Welt. Ich gehe jede Wette ein, dass ich jede einzelne Folge von SpongeBob Schwammkopf kenne. Das gilt auch für Hannah Montana und andere Kinderserien. Ich sehe mir diese Sendungen mit meinem eigenen Nachwuchs an. Ein Kind kann sich eine Ewigkeit mit einer unscheinbaren Sache befassen. Erwachsene wirken kurz angebunden und fahrig auf sie, weil sie sich auf nichts einlassen können und ständig in Eile sind. Kinder sind sich dieser Erwachsenenwelt bewusst und denken sich: Das ist schon okay – wenn ich nichts allzu Schlimmes anstelle, werden sie mich schon in Frieden lassen. Also wandert man durch seine eigene kleine Welt, während einen das, was die Erwachsenen so treiben, in der Regel kaltlässt. Zumindest traf das auf mich zu.
Im Drugstore in der Nähe unseres Hauses gab es auch einen Getränkespender. Ich legte meine zehn Cent auf den Verkaufstresen, und aus ein wenig Sirup und Sprudelwasser machten sie einem eine Limo. Irgendwann saß ich da und starrte das Etikett der Green-River-Limo auf der Sirupflasche an. Es war eine anheimelnde Illustration eines gelben Mondes, der zwischen beiden Ufern über einem Fluss hing – ein bisschen in der Art des Logos der Plattenfirma Sun Records. Dieses Design fesselte mich, und ich dachte mir: „Wow, da würde ich gerne mal hingehen.“
Green River – ich speicherte diesen Namen in meinem Kopf ab. Warum tat ich so etwas bloß? Ich war ja erst acht, dennoch saugte ich alles auf, von dem ich dachte, dass es mir irgendwann später im Leben einmal nützlich sein könnte – auch wenn ich nicht wusste, wofür. Aber so ist man als Kind eben. Alles ist wichtig.
In El Cerrito gab es ein Autokino, „Motor Movies“, wie wir es nannten. Als wir in der Ramona Avenue 226 wohnten, lag mein Zimmer über der Garage, und ich schlief in der obersten Etage eines Stockbetts. Von dort aus konnte ich die Filme mitansehen. Ich weiß noch, wie ich Blondinen bevorzugt und Moulin Rouge durch mein Fenster sah – und außerdem noch ein paar Gruselfilme, die mich meine Mom nicht hätte