Mein Leben - Meine Musik. John Fogerty

Mein Leben - Meine Musik - John Fogerty


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Tages warf ich während der Mittagspause einen Blick auf unseren Trinkbrunnen. Er bestand aus einem weißen Porzellanbecken und drei Wasserhähnen. Ich musste sofort ans Nachsitzen denken, weil ich ja pieseln musste, wenn ich was getrunken hatte. Unter dem Becken sehe ich einen Knopf, mit dem man die Wasserzufuhr unterbrechen kann. Ich dachte mir: „Ich kann jedem hier einen Gefallen erweisen.“ So drehte ich das Wasser ab. Als man mir schließlich auf die Schliche kam, musste ich natürlich erst recht wieder nachsitzen, und meine Eltern wurden auch benachrichtigt. Am Ende des Schuljahres wurde der Rest der Klasse mit einem Ausflug in den Zirkus belohnt – doch nicht John Fogerty. Da ich so ein unkontrollierbarer, wilder kleiner Mann war, musste ich zu Hause bleiben. Ein schlimmer Junge war ich.

      Das nächste Schuljahr verbrachte ich dann an der Harding Grammar, einer staatlichen Schule, die sich nur zwei Blocks von unserem Haus entfernt befand. Ich konnte nun zur Schule laufen! Und alles war ganz normal dort. Ich blühte förmlich auf. Es gefiel mir richtig gut dort.

      Okay, wer von euch hat schon mal geträumt, er könne fliegen? Als Kind tat ich das häufig. Im Film E.T. – der Außerirdische gibt es eine Szene, in der ein paar Kinder E.T. auf ihren Fahrrädern hinterherfahren. Plötzlich heben sie alle ab und fliegen an der Silhouette des Mondes vorbei. Tatsächlich musste ich weinen, als ich diese Szene sah. Ich weiß aber immer noch nicht, warum dem so war. Jedenfalls träumte ich zwischen dem dritten und sechsten, siebten Schuljahr regelmäßig davon, fliegen zu können. Der Traum war fast immer gleich. Ich flog über meine kleine Stadt hinweg, ungefähr in Höhe der Baumwipfel und Telefonleitungen, von wo aus ich die Häuser und Leute beobachten konnte. Ich befand mich in Gesellschaft eines „Freundes“, der als eine Art Lotse zu fungieren schien. Soweit ich mich noch erinnern kann, sahen wir stets dasselbe Zeug. Wenn ich nun viele Jahre später daran zurückdenke, kann ich mir sogar vorstellen, dass es sich tatsächlich um eine Begegnung mit einem Außerirdischen gehandelt haben könnte!

      Eines Tages – ich ging mittlerweile in die sechste Klasse ‒ fiel Miss Begovich ein Geruch in unserem Klassenzimmer auf. „Was riecht denn hier so?“, fragte sie. Die meisten Kinder hatten gar nicht davon Notiz genommen und konnten auch nicht sagen, was es war oder woher es kam. Plötzlich rief dieser Junge namens Fred: „John Fogerty riecht.“ Selbstverständlich sahen mich nun alle an, und ich wechselte in einen verwirrten Zustand über.

      „Wie bitte?“

      Aber Fred bestand darauf: „Ja, es ist John, er müffelt!“

      Also sprach Miss Begovich mit sanfter Stimme: „John, vielleicht solltest du dich zur Toilette begeben und dich darum kümmern.“

      Ich stand auf und begab mich aufs Klo, obwohl ich nicht wirklich wusste, was ich nun zu tun hätte. Plötzlich stand Kathy, ein Mädchen, das ich seit der Vorschule kannte, auf und sagte: „Ich bin die, die riecht.“ Nun war ich emotional erst recht durcheinander. Kathy bestand gegenüber der Lehrerin darauf, dass sie diejenige sei, die die Toiletten aufsuchen sollte. Und natürlich spielte sich diese Szene vor der ganzen Klasse ab. Mir wurde richtig schwindlig. Wow, dieses Mädchen opfert sich für mich. Ich wurde von Gefühlen überwältigt, die ich nur schwer beschreiben kann. Allerdings war mir klar, dass sie sehr tapfer sein musste. Ich fühlte mich ja so geehrt!

      Schließlich entschied Miss Begovich, dass wir beide die Toiletten aufsuchen sollten, wodurch sich die Schuld ein wenig verteilen würde. Auf dem Klo pieselte ich und wusch mir die Hände. Anschließend ging ich zurück in die Klasse. Auf dem Gang begegnete ich Kathy und bedankte mich bei ihr. Eigentlich würde ich gerne noch einmal zu ihr hingehen, um noch besser zum Ausdruck zu bringen, wie viel mir ihr Handeln bedeutete.

      Ein paar Tage später arbeiteten ein paar von uns Kindern nach der Schule an einem Projekt. Dieses eine Mädchen – sie hieß Yvonne – war bereits seit über einer Woche krank, weshalb Miss Begovich uns bat, ihr ein paar der Bücher und Hefte, die sich in ihrem Pult befanden, nach Hause zu bringen, damit sie ihre Hausaufgaben erledigen konnte. Neben ihren Schulutensilien fanden wir aber noch einen toten Vogel! Iiiiieeehhh! Wir ekelten uns mächtig. Miss Begovich meinte, dies sei vermutlich auch der Grund für den üblen Geruch gewesen, was sie am nächsten Tag auch der ganzen Klasse mitteilte.

      So viele der guten Dinge waren in jenen Jahren mit Musik verknüpft. Ich war von Geburt an neugierig, und wenn ich Musik hörte, die mir gefiel, musste ich einfach alles darüber herausfinden. Mit sieben stand ich auf Blues und Doo-Wop. Rock ’n’ Roll gab es da ja noch gar nicht! Meine beiden älteren Brüder mochten Rhythm and Blues und hörten den Radiosender KWBR in Oakland. Dort liefen Blues und R&B – also hauptsächlich „schwarze“ Musik. Einer der Sponsoren von KWBR war ein Produkt namens Dixie Peach Pomade, mit dem sich damals wohl junge schwarze Typen ihre Haare glätteten. Ich fuhr einmal mit dem Bus bis nach Oakland, um mir das Zeug zu besorgen. Es eignete sich hervorragend zum Aufmotzen von Bürstenhaarschnitten sowie etwas längeren Haaren, wie sie Elvis hatte. Außerdem roch es gut!

      Auf diesem Sender liefen Songs wie „Gee“ von den Crows oder „Ling, Ting, Tong“ von den Five Keys. Bei Letzterem versuchten wir all die verrückten chinesischen Anspielungen zu verstehen. Wir fanden alles sehr exotisch. Später standen wir dann auf „Death of an Angel“ von Daniel Woods and the Vel-Aires. Er singt darin über den Tod seiner Freundin, aber es war so cool! Kids lieben das Thema Tod! Viel später fand ich heraus, dass die katholische Kirche den Song sogar mit einem Bann belegte, denn nach ihrer Lehre können Engel gar nicht sterben. Das machte alles sogar noch cooler! Als 30 Jahre später Ozzy und all die anderen Typen den Teufel „beschworen“? Das war im Grunde genommen dasselbe: Da ging es um Dinge, die verboten und unaussprechlich waren und sich hinter einem Schleier verbargen. Daher war es Musik, die die Eltern ablehnten.

      Vieles von dem, was ich mir so reinzog, war auf eine gewisse Weise Prä-Rock ’n’ Roll, hatte aber bereits viel von diesem speziellen Vibe. KWBR spielte viel echten Blues ‒ Urban ‒ und sogar ein wenig Country-Blues. Ich erinnere mich noch, wie ich in den frühen Fünfzigerjahren zum ersten Mal Muddy Waters hörte. Und dann kam Howlin’ Wolf. Diese Stimme! Ich liebte sie und dachte mir: Wow, diesen Typ muss man gehört haben. Und dann erst dieser Name! In der Regel saß ich allein vor dem Radio. Bouncin’ Bill Doubleday hieß der DJ, der von 3 bis 6 Uhr nachmittags auflegte. Und dann gab es da noch Big Don Barksdale, dessen Show in der Nacht lief. Am Sonntag wurde dann Gospel über den Äther geschickt. Da hörte ich auch zum ersten Mal die Staple Singers mit „Uncloudy Day“. Der Klang dieser Gitarre. Gott, das war ja so cool. Dieses spezielle Vibrato: Biiee-huau-huauh. Selbst als Kind konnte ich diesen Sound gleich erkennen. Es war Pops Staples, der das spielte. Ich liebte diesen Sound. Meine persönlichen Favoriten waren vermutlich die Swan Silvertones. Es war geistliche Musik, Kirchenmusik, aber ich interessierte mich eher für den musikalischen Aspekt.

      Als ich so um die acht Jahre alt war, setzte ich meine Stimme (und meinen Körper) ein, um den Sound der R&B-Scheiben, die ich hörte, zu imitieren. Jeden Tag ging ich die paar Blocks von zu Hause zur Schule runter. Diese Zeit, die ich für mich allein hatte, war mir sehr wertvoll. Ich dachte oft über Musik nach und machte die Klänge nach, die ich im Kopf hörte. So schlenderte ich die Straße hinunter, während ich Ernie Freemans „Lost Dreams“ oder Bo Diddleys „I’m a Man“ mit meiner Stimme interpretierte. Daaaaaah daaaaah da dummmm. Manchmal schnipste ich auch mit den Fingern und klatschte in die Hände, aber in erster Linie kamen alle Laute aus meinem Mund – beziehungsweise aus meinem Hals. Oder ich summte. Ich grunzte, summte und gab allerhand Gutturallaute von mir. Für meine Umgebung muss sich das angehört haben, als hätte ich mich verschluckt. Ich liebte es jedenfalls, die Geräusche des Basses oder einer Kickdrum nachzuahmen. Niemand, den ich kannte, tat etwas Vergleichbares, aber ich fühlte mich wohl dabei. Es war meine Art, Musik zu machen.

      Ich hypnotisierte mich förmlich selbst, wenn ich mich auf dem Weg zur Schule auf diese Weise beschäftigte. Ein kleiner Freund von mir, der mich manchmal begleitete, nannte mich sogar Foghorn Fogerty, da er fand, ich hörte mich wie ein Nebelhorn an. Noch heute gebe ich Gutturallaute von mir, wenn ich Musik im Kopf höre, um ihren speziellen Vibe wiederzugeben. Ich dachte mir damals sogar eine Bühnenidentität aus – Johnny Corvette and the Corvettes. Das muss so um 1953 gewesen sein, weil damals die Corvette gerade auf den Markt gekommen war und alle Kids nun einmal auf schlanke, sexy Linienführung und einen starken Motor abfahren.


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