Bon - Der letzte Highway. Jesse Fink

Bon - Der letzte Highway - Jesse Fink


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übertreibt.“

      2

      Bad Boy Boogie

      Am 28. JULI 1977 wachte Roy Allen so wie noch viele Male, bevor er schließlich trocken wurde, mit einem fiesen Kater auf. Doch an diesem Tag war etwas anders. Schließlich erwachte er im Hotelzimmer des Leadsängers von AC/DC.

      „Als ich mich auf die Socken machte, schlief Bon noch. Er und ich waren beide Alkoholiker. Das ist eine Krankheit, eine schleichende Krankheit, die aber irgendwie vorhersehbar ist. Deshalb kann ich gewisse Vermutungen darüber anstellen, wie es Bon ging, als es mit dem Trinken so richtig schlimm wurde. Keiner von uns war bereits durch und durch Alkoholiker, als wir uns 1977 kennenlernten, aber wir beide waren auf dem Weg dahin. Bon vielleicht ein wenig schneller als ich. Rückblickend befanden wir uns beide in einer Abwärtsspirale, waren uns dessen aber nicht bewusst. Oder noch wahrscheinlicher: Es war uns schlichtweg egal. So waren wir eben drauf: Wir lebten für den Tag, für den Moment.“

      Verschwende keinen Gedanken an morgen. So lebte Bon jeden Tag seines kurzen Lebens. Das ist es, was AC/DC-Fans vermittelt wird, was den emotionalen Treibstoff zum Kult um diesen Mann beisteuert und die Grundlage des Outlaw-Spirits bildet, den er nach seinem Ableben zu verkörpern begann. Diese Grundstimmung findet sich auch in den Lyrics zu „Have A Drink On Me“, der angeblich von Bon handelt, auf Back In Black zu finden ist und von Malcolm und Angus Young sowie Brian Johnson stammen soll. In Roy, einem echten texanischen Rabauken, hatte Bon einen Gleichgesinnten getroffen, dessen skandalöses Benehmen sehr gut zu seinem eigenen passte.

      „Es gab Überschneidungen in unseren Lebensgeschichten“, erzählt Roy. „Zwischen Bon und mir gab es fast auf Anhieb eine Verbindung – und zwar auf einer Ebene, die sich nur schwer beschreiben lässt.“

      * * *

      Roys Jugendzeit war ein langer Kampf mit dem Alkohol, der schon begonnen hatte, bevor seine Mutter Ella Joyce Allen, die an einer bipolaren Persönlichkeitsstörung litt, sich im Alter von 41 Jahren im Juni 1971 das Leben nahm. Mit vierzehn nippte er heimlich an einer Flasche Whisky, die über dem Kühlschrank der Allens verstaut war. Als Joyce, wie sie von allen genannt wurde, den genauen Pegelstand mit einem Strich markierte, panschte Roy das Feuerwasser mit Eistee, um zu verschleiern, wie viel er daraus trank. Im Jahr darauf beging sie an der Kreuzung Wilcox und Murray Avenue in Rockdale Selbstmord.

      „Sie ließ sich noch ihre Haare machen, fuhr dann zum Knarrenladen und erzählte dem Besitzer, dass ich Geburtstag hätte, was nicht stimmte, und sie mir ein Schießeisen als Geschenk kaufen wollte, nämlich eine .38 Special. Dann fuhr sie ein paar Blocks weiter und schoss sich vor einem Stoppschild in die rechte Schläfe.“

      Auf ihrem Totenschein wurde die offizielle Todesursache – „Schussverletzung“ – als „Unfall“ eingestuft. Roys ältester Bruder Carl, bei dem Schizophrenie diagnostiziert worden war, brachte sich ein Jahr später ebenfalls um. Er sprang an der Kreuzung 31st und Texas Avenue in Bryan, östlich von Rockdale, vor ein Auto. Carl war 22. Dieses Mal lautete die Todesursache „Suizid“. Er war seinen zahlreichen Schädelverletzungen, die vom Zusammenstoß mit dem Fahrzeug herrührten, erlegen.

      Diese beiden brutalen Todesfälle innerhalb der engsten Familie im Verlauf von gerade einmal einem Jahr – und beide von den Betroffenen selbst herbeigeführt – führten dazu, dass sich Roy in einen unberechenbaren, unausgeglichenen und rebellischen Teenager verwandelte. Bald schon glitt er massiv in den Suff ab, was dazu führte, dass er regelmäßig verhaftet wurde. Er wurde praktisch Stammgast in der Polizeireport-Kolumne des Rockdale Reporter. Schließlich fing er an, sich Metamphetamin zu spritzen. Kurz nach Mitternacht des 12. Mai 1976 ließ er sich auf ein Wettrennen auf der Route 79 außerhalb von Milano ein, einer Stadt, die sich neun Meilen von Rockdale entfernt befand.

      „Mein bester Freund James Lightsey und ich verließen gerade diese Spelunke namens Nat’s Place. Zwar hatte ich schon ein paar Bier intus, war aber nicht wirklich betrunken. Wir stiegen in meinen ’65er-Mustang, und als wir vom Parkplatz fuhren, um uns auf den Heimweg zu machen, sah ich, wie ein anderer Mustang sich direkt vor uns auf dem Highway einreihte. Wenn es sich um irgendeine andere Automarke gehandelt hätte, hätte ich mich vermutlich anders verhalten.

      Auf diesem Highway gab es einen Abschnitt, der ein paar Meilen lang immer nur geradeaus verlief. Dort trugen wir es aus. Wir überholten uns gegenseitig ein paarmal, bis die Strecke dann bergauf ging und eine Rechtskurve folgte. Vor dieser Kurve lag ich noch vorn und zog zur Seite, um den anderen Fahrer vorbeizulassen. Schließlich nahm ich an, dass ich gewonnen hatte, da wir nun in kurvigeres Gelände fuhren und ich zuletzt vorn gelegen hatte. Ich reduzierte die Geschwindigkeit, doch der andere Fahrer sah das wohl anders. Er schoss an mir vorbei, hob plötzlich ab und überschlug sich mehrmals auf der bergauf führenden Straße. Ich wendete und hielt am Bahndamm, der neben der Fahrbahn verlief. Der Wagen lag auf dem Dach und die Scheinwerfer leuchteten in die Luft. Die Reifen drehten sich immer noch.“

      Eine Streife der Texas Highway Patrol, der die beiden Raser verfolgt hatte, traf unmittelbar nach dem Crash am Unfallort ein, der sich circa zweieinhalb Meilen östlich von Rockdale befand.

      „Der Streifenwagen und ich hielten gleichzeitig beim Autowrack. James und ich stiegen aus und postierten uns beim Wagen. Der Polizeibeamte lief auf mich zu und stieß mir seinen Zeigefinger gegen den Brustkorb. Er sagte, dass es die beste Entscheidung gewesen wäre, nicht davonzufahren. Dieser Gedanke war mir gar nicht durch den Kopf gegangen. Er wies uns an, die Umgebung abzusuchen, da der auf dem Dach liegende Wagen leer war.“

      Roy entdeckte schließlich den Fahrer sowie dessen Beifahrer, die aus dem Wagen geschleudert worden waren. Der Fahrer lag auf der Böschung nahe den Schienen, sein Beifahrer unweit davon entfernt. Als Roy beim Fahrer eintraf, erkannte er ihn sofort. Es handelte sich um einen 18-jährigen Freund von ihm aus Rockdale namens Lynn Lankford.

      „Als ich fünfzehn war, hatte ich mit Lynn meine allererste Zigarette geraucht. Ich kannte ihn bereits mein ganzes Leben. Er lag mit dem Gesicht nach oben auf dem Bahndamm. Er sah ordentlich ramponiert aus und ich konnte ein gurgelndes Geräusch hören, das aus seinem Brustkorb kam. Ich sagte zu dem Streifenpolizisten, dass wir ihn drehen müssten, damit seine Lungen entlastet würden. Er wies mich nachdrücklich an, ihn nicht anzufassen.“

      Lankford wurde bei seinem Eintreffen im Richards Memorial Hospital von Rockdale um 0.45 Uhr für tot erklärt. Die offizielle Todesursache lautete „multiple Verletzungen aufgrund eines Autounfalls“. Roys Vater unterzeichnete den Totenschein. Roys und James’ Alkoholpegel bewegte sich innerhalb des legalen Rahmens. Der Unfall wurde ihnen zwar nicht zur Last gelegt, doch aufgrund des Todesfalls musste Roy die Nacht im Bezirksknast verbringen. Er kam am nächsten Morgen gegen Kaution frei und es wurde keine Anklage gegen ihn erhoben. Lankfords Beifahrer überlebte schwerverletzt. Bis heute verfolgt Roy das Gesicht seines sterbenden Freundes.

      „Ich hatte stets das Gefühl, dass sich dieser tragische Vorfall nicht ereignet hätte, wenn ich nicht dieses Rennen begonnen hätte. In dieser Hinsicht bin ich verantwortlich und muss mit diesem Wissen auch leben.“

      Verschwende keinen Gedanken an morgen – diese Philosophie konnte auch dazu führen, dass jemand am Straßenrand am eigenen Blut erstickte, wie es dem armen Lynn Lankford widerfuhr. Bon machte sich durchaus seine Gedanken über die Zukunft, das Morgen, so wie jeder andere auch. Er grübelte über seine Rolle bei AC/DC, seine finanzielle Situation und seine Beziehungen nach. Auch darüber, wie ihn andere Leute


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