Bon - Der letzte Highway. Jesse Fink
Sie war eine pflichtbewusste und stolze Mutter. Bon erzählte Pattee Bishop, dass Isa sein erstes T-Shirt mit dem AC/DC-Logo aufbewahrte. Allerdings war sie nicht in der Lage gewesen, ihn vor Gewalt auf dem Spielplatz zu beschützen, wie er sich ebenfalls erinnerte.
„Meine neuen Mitschüler drohten, mir die Scheiße aus dem Leib zu prügeln, als sie meinen schottischen Akzent hörten. Sie gaben mir eine Woche, um zu lernen, wie sie zu sprechen, wenn ich in einem Stück bleiben wollte. Natürlich war mir das egal. Keiner drängt mich zu irgendwas. Umso mehr wollte ich auf meine eigene Weise sprechen. Daher habe ich auch meinen Namen, der leitet sich von ‚The Bonny Scot‘ ab, verstehst du?“
Bon ging vorzeitig von der Highschool ab und verließ die örtliche Dudelsack-Kapelle, der er sich 1963 gemeinsam mit seinem Vater angeschlossen hatte und bei der er als Trommler tätig gewesen war. Wie sich Vince Lovegrove erinnerte, sollte der 16-Jährige nun auch zum ersten Mal ernsthaft mit der Obrigkeit in Konflikt geraten: „Er wurde für zwölf Monate der Obhut des Jugendamts unterstellt. Nachdem er verhaftet worden war, gab er einen falschen Namen an, flüchtete, stahl zwölf Gallonen Benzin und fügte der Liste seiner Vergehen noch schnell ungesetzlichen Geschlechtsverkehr hinzu, bevor er erneut verhaftet und in die Jugendstrafanstalt Riverbank überstellt wurde.“
Bons hatte eine andere Version parat: „Ich sang bei einer Tanzveranstaltung in Fremantle ein paar Songs mit einer Band und ein paar Typen machten mir das Leben schwer. Ich sprang von der Bühne und legte mich mit ihnen an. Die Polizei ging dazwischen und zum Schluss stand ich mit einer Anzeige da, weil ich die Bullen angegriffen haben soll. Ich saß elf Monate ein.“
Abhängig davon, wo man nachliest, dauerten Bons „elf Monate“ zwischen neun und zwölf oder gar 18 Monate. Seine Akten sind nicht öffentlich einsehbar. Egal, was nun der Wahrheit entsprach, Bon saß seine Strafe ab – und zwar aus freien Stücken.
„Dieser Vorfall, ja, was ich so schwer an ihm zu erklären finde, sein Fehlverhalten, mit dem er sich selbst oder anderen auf sehr destruktive Weise schadete, das alles begann schon damals. Ihm wurde ja die Möglichkeit gegeben, nach Hause [zu seinen Eltern] zu ziehen“, erzählte mir Silver Smith. „Er bekam diese Chance vom Gericht, aber er hatte keine Lust, seine Eltern zu sehen. Ich glaube, dass es ihm echt peinlich war. Seine Großeltern waren aus Schottland zu Besuch. Damals war es noch richtig teuer zu reisen. Das waren keine wohlhabenden Leute. Sie entstammten der Arbeiterklasse und hatten niedrige Einkommen. Seine Mum schenkte Tee an der Uni aus und sein Dad malochte in einer Keksfabrik. Die Großeltern hatten nun die einmalige Gelegenheit, ihre Enkelkinder zu sehen. Aber Bon war nicht da, weil ihm alles so peinlich war und er lieber in der Besserungsanstalt einsaß. Er bereute es aber – von ganzem Herzen. Schlussendlich sollte er seine Großeltern nie mehr sehen. Sie verstarben, bevor er es nach England schaffte. Diese dumme selbstzerstörerische Ader hatte er also schon vor langer Zeit gehabt. Vielleicht war das einfach eine fatale Schwäche in seiner Psyche.“
In Wahrheit stand Silver, die regelmäßig als kaltherzige Schnalle hingestellt wird, Bons Eltern ziemlich nahe: „Chick und Isa lernten mich zum ersten Mal bei meiner ersten Rückkehr nach Australien an den Docks in Fremantle kennen. Ich wohnte drei Tage lang bei ihnen und genoss es sehr. Ich begriff, warum Bon der zweitbeste Mitbewohner war, den ich je hatte. Das lag an Isa und Chick. Bei ihnen zu wohnen, fühlte sich sehr vertraut an. Das Haus war makellos und größere Anschaffungen für den Haushalt wurden offensichtlich sorgfältig geplant, budgetiert und instandgehalten. Die Schuhe der Jungs wurden immer rechtzeitig repariert. Jeder Dollar wurde höchst sinnvoll investiert. Nichts wurde verschwendet. Ich war beeindruckt, dass Isa Bon so akzeptierte, wie er eben war. Alle drei Jungs schienen sich sehr stark voneinander zu unterscheiden.“
Clinton Walker betont in seiner Biografie, wobei er sich weitgehend auf Silvers Aussagen beruft, dass Bons Verhaftung im Jahr 1963 und seine anschließende Inhaftierung in Riverbank ihn mit einem nachhaltigen Schamgefühl erfüllte. Sein Verlangen, im Musikgeschäft erfolgreich zu sein, war genauso groß wie sein Bedürfnis, seiner Familie für all die Schmach, die er ihnen bereitet hatte, Wiedergutmachung zu leisten. Das entspricht wahrscheinlich der Wahrheit, wenngleich es weit hergeholt erscheint. Die Zeit im Jugendknast hatte ziemlich sicher einen Einfluss darauf, wie der junge Bon sich selbst wahrnahm. Seine Gefühle bezüglich seiner selbst wurden in weiterer Folge durch Fehlschläge in seiner Karriere als Musiker, die er mit den Valentines und Fraternity erlitt, sowie durch sein Scheitern als Ehemann von Irene weiter gefestigt.
Es mutet verführerisch an, die Person, die Bon 1977 war, einer Psychoanalyse zu unterziehen, obwohl man letztlich auf Raterei angewiesen ist. Jedoch lehnt man sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man behauptet, dass sich hinter seinem zwanghaften Trinkverhalten eine Art innerer Konflikt verbarg. Enge Freunde berichten von einer massiven Gemütseintrübung, die ihn befiel, vor allem Ende 1979, als er so massiv aus der Spur geriet.
Er war alles andere als nur irgendein dummer Rockstar, der sein Leben an Alk und Drogen verschwendete. Bon war hungrig nach neuen Erfahrungen, ruhelos, außergewöhnlich sensibel und in vielerlei Hinsicht überaus widersprüchlich. Außerdem war er ordentlich und liebte Ordnung, hatte aber andererseits auch kein Problem damit, am unteren Ende eines Treppenaufgangs aufzuwachen. Zwar waren ihm seine Stimmbänder wichtig, doch ansonsten betrieb er massiven Raubbau an seinem Körper. Er war ein versierter Texter und schrieb fleißig Briefe, doch verfasste er seine Lyrics in unbeholfenen Großbuchstaben, und seine Rechtschreibung ließ schwer zu wünschen übrig.15 Sein Seelenleben war undurchdringlich, aber er war stets bereits, seinen Freunden in welcher Lage auch immer zur Seite zu stehen. Auch die Interessen seiner Fans lagen ihm sehr am Herzen. Er wollte berühmt sein, sehnte sich jedoch nach einem Leben abseits der Musik. Bon konnte hinterlistig sein, war aber gleichzeitig selbstlos und großzügig wie nur wenige Menschen. Er profilierte sich als Stimmungskanone, konnte sich aber auch einsam fühlen. Er war ein Romantiker. Es ließ sich nicht bestreiten, dass es die Liebe war, die ihn antrieb – die Vorstellung von Liebe und Verliebtsein. Allerdings fiel es ihm schwer, sich von seinen anderen Vorlieben zu verabschieden, etwa seiner Freiheit, auch im sexuellen Sinn, oder von dem Image, das er in seinem Kopf erschaffen hatte und der Welt präsentierte. Er erzählte Frauen, was sie hören wollten, und änderte seine Geschichten entsprechend den jeweiligen Zuhörern ab. Nicht außergewöhnlich für einen Schürzenjäger. Er vergnügte sich mit Prostituierten. Jemand, der mit Bon bei AC/DC spielte, aber anonym bleiben möchte, verriet mir: „Bon war total schmierig. Dem hätte ich nicht einmal meine Großmutter anvertraut.“
So kam es, dass ein Mann, der eine Vielzahl von Frauen am Tag flachlegen konnte und sich mit Begeisterung an Gruppensex beteiligte (eine Frau, die Bon aus Florida kannte, erinnerte sich im Gespräch mit mir daran, wie „buchstäblich zehn Frauen auf den Betten in seinem Hotelzimmer [lagen] und er sie alle durchnagelte“), in der Lage war, etwas so Zartes wie „Love Song“, jenen so gescholtenen Track von AC/DCs erstem Album, dem australischen Release von High Voltage, zu fabrizieren. Dieser Song entstand, so Bon, „um Hausfrauen dazu zu bringen, in ihre Geschirrtücher zu heulen, während sie den Abwasch erledigen, weißt du? Das war die ganze Idee hinter den Lyrics zu diesem Song.“
Malcolm witzelte, dass die Band ihn festband und dazu zwang, „zur Abwechslung mal ein paar anständige, ehrbare Lyrics für uns zu texten“.
Bon hatte zwei unterschiedliche Geschichten darüber auf Lager, wie er zu AC/DC stieß. In der ersten Story erholte er sich im Juli 1974 gerade zu Hause von einem Motorradunfall, den er zwei Monate zuvor in Adelaide gerade mal so überlebt hatte. Sogar im Koma hatte er gelegen. Nun hörte er aber „Can I Sit Next To You Girl“ im Radio.
„Ich hörte den Song und dachte mir: ‚Oh, yeah!‘ Du weißt schon, ich machte gerade sauber, weil meine Frau berufstätig war und ich mich um den Haushalt kümmerte. Ich bringe also das Haus auf Vordermann, weißt du, poliere den Küchentisch und so und singe vor mich hin [singt] Can-I-Sit-Next-To … und der Typ im Radio sagt: ‚Die neueste Band aus Sydney, AC/DC.‘ Ich dachte mir: ‚Ja genau, ein paar Schwuchteln aus Sydney, ganz sicher.‘ Und zwei Wochen später war ich dann derjenige, der sang Can-I-Sit-Next-To …“
In der zweiten Version befand er sich an einer Anlegestelle. Schließlich war Bon handfestem