Bon - Der letzte Highway. Jesse Fink
oder auf Tour gehen kann, wenn man ein richtiger Heroin-Junkie ist – außer man befindet sich ganz oben, und selbst dann ist es schwierig, denn man hat dann ein schlechtes Auftreten und so … Man muss sich mäßigen. Weil es anders einfach nicht geht. Wie viele Vollblut-Junkies kennst du denn, die einer richtigen Arbeit nachgehen? Das ist einfach nicht machbar.“
11 In einer Reportage aus dem Jahr 1975, die er für das Australia Rock Magazine (besser bekannt als RAM) schrieb, gelang es Anthony O’Grady, das Gespräch mit ihm auf geschickte Weise auf das Thema Heroin zu lenken.
Ich erwähne, dass seine beiden Ohren gepierct sind und er große Ringe in den Läppchen trägt, was ihm das Aussehen eines Piraten verleiht. Vor ein paar Jahren war es selbstverständlich Usus unter Heroinsüchtigen, im rechten Ohr einen Ohrring zu tragen … Wäre es vielleicht möglich, dass …
„Nö“, sagt Bon. „Ich bin nicht drogensüchtig. Vor ein paar Jahren arbeitete ich auf einem Fischerboot und dort gab es einen Typen, den ich echt respektierte und bewunderte. Und der hatte eben ein gepierctes Ohr. Deshalb ließ ich das auch bei mir machen.“
Irene Thornton hat diese Story in ihren Memoiren als Humbug abgetan. Laut ihr ließ sich Bon offenbar in einem Schönheitssalon in Adelaide piercen.
6
Overdose
Im Februar 2016 wurde mir Silver Smith durch einen gemeinsamen Freund vorgestellt. Bei diesem Freund handelte es sich um den jungen westaustralischen Autor J. P. Quinton, der sich in seinem Roman Bad Boy Boogie mit Bon beschäftigte. Es war extrem schwierig, ihre Fährte aufzunehmen, da sie sich vollständig zurückgezogen hatte.
„Ich lebe schon seit geraumer Zeit als Einsiedlerin“, gestand sie ohne Umschweife. Außerdem litt sie an einer schweren Krankheit, die sie selbst als „genetische Schwermetallvergiftung“ beschrieb. Es könnte aber auch etwas anderes gewesen sein. Allerdings hatte ich keine Ahnung, dass sie nur noch wenige Monate zu leben hätte. Nach ihrem Tod enthüllte ihr Sohn, dass ihr eine unheilbare Krebserkrankung diagnostiziert worden war.
„Ich leide an einem genetischen Gebrechen, zu dessen auffälligsten Symptomen chronische Erschöpfung gehört. Ich bringe nicht viel zuwege, weil das Klima in der Gegend hier so extrem ist und mich ordentlich mitnimmt. Allerdings kann ich es mir nicht leisten, woandershin zu ziehen. Also kümmere ich mich, wenn es mir gut geht, um mich selbst, meine Hunde und meinen Garten. Und wenn es mir nicht gut geht, verfällt eben alles.“
Mein erster Eindruck von Silver war, dass sie viel fröhlicher, wortgewandter und intelligenter war als die herzlose, zahnlose, heroinsüchtige Hexe, als die sie im Internet von AC/DC-Fans dargestellt wird, die beschlossen haben, ihr die Schuld an Bons Tod zu geben und sie auf schändliche Weise als „widerwärtige Junkie-Braut“, „zwielichtiges Stück Scheiße“, „diebische, mit Drogen dealende Schlampe“, „ekliges drogensüchtiges Weibsstück“ und noch vieles mehr bezeichnet haben. Bon-Scott-Biograf Clinton Walker nannte sie einst im australischen Rolling Stone eine „Nutte“. Mir gegenüber verhielt sie sich außerordentlich höflich, sogar überaus liebenswert. Sie sprach angeregt über Bücher. Mittlerweile im Ruhestand, hatte sie viele Jahre „im öffentlichen Dienst sowie für NGOs und Gewerkschaften im Bereich Gesundheit und Bildung“ gearbeitet sowie im tertiären Bildungsbereich unterrichtet.
„Ich habe online ein paar echt irre Dinge über mich gelesen. Aber es gibt mir großen Halt, dass diejenigen meiner Freunde, die noch am Leben sind und mich seit fünfzig Jahren kennen, dem ganzen Blödsinn keinen Glauben schenken und mich vehement in Schutz nehmen.“
Silvers geheimnisvolle Aura wird auch dadurch genährt, dass bis zur Veröffentlichung dieses Buches nur ein Foto von Bon und ihr im Umlauf war, das Graeme Scott in ihrer Wohnung in Kensington, London, schoss und Silver nicht wirklich schmeichelte. Es wurde in Walkers Biografie abgedruckt.
„Das Foto entstand um circa sechs Uhr morgens. Bon war wach und startklar, weil er auf Tour ging … Graeme war zu Besuch. Bon wollte das Foto für seine Mum. Ich wollte nicht, dass Graeme es schoss. Schließlich war ich gerade erst aufgestanden und hatte mich noch nicht angezogen. Ich trug einen Bademantel, da fühlst du dich eben ungeschützt. Weder trug ich Make-up noch hatte ich mich gekämmt. Auch die Zähne hatte ich mir noch nicht geputzt. Ich wollte echt nicht fotografiert werden. Egal, Graeme schickte es Bons Mutter, die es wiederum an Clinton weitergereicht haben dürfte. Das ist echt schade. Von allen Fotos, die von mir in meinem Leben geschossen wurden, musste es ausgerechnet eines von jenen sein, die ich am meisten hasse. Du bist der Erste, dem gegenüber ich es eingestehe, dass ich das bin. Aber ja, es stimmt.“
* * *
Silver wuchs auf, ohne ihre leiblichen Eltern zu kennen. Entgegen dem gängigen Gerücht war ihr Vater nicht der Chefredakteur der Londoner Times.
„Ich kenne meinen biologischen Vater nicht und wusste bis vor fünfzehn Jahren auch nichts über meine biologische Mutter … Für mich sind die Leute, die mich aufgezogen haben, meine richtige Familie. Mein Dad war ein Büroangestellter bei der Bahn und ich wuchs streng katholisch in kleinen Städten auf dem Land auf.“
Zierlich und mit einem messerscharfen Verstand gesegnet, schwarzhaarig, blauäugig, schlank und eine ungewöhnliche Weltgewandtheit ausstrahlend – es verwundert wirklich nicht, dass Bon so auf Silver abfuhr.
„Ich war nie schön und als Kind sogar richtig gewöhnlich … In meinem Gesicht hatte ich ungefähr ein halbes Dutzend Narben, die aus der Nähe gut sichtbar waren. Ich war klein gewachsen, hatte aber meinen eigenen Stil. Als ich schließlich meine Teenager-Zeit hinter mir ließ, verfügte ich über ein sehr gutes Gespür dafür, was mir stand. Bon sagte, dass er meine Augen mochte und dass ich wie eine weiße Tina Turner sang und tanzte. Aber ich glaube, dass das, was ich in meinem Kopf hatte, den Ausschlag gab. Das erklärt auch, warum mich so viele besondere Leute als ihre Freundin und Vertraute mochten.“
Sie hatte in den späten Sechzigern den Titel der Miss Beach Girl South Australia erobert und jobbte eine Zeit lang – abseits ihres Brotberufs beim Finanzamt – als Model und exotische Tänzerin im Nachtclub Trocadero in Adelaide.
„Ich war keine Stripperin, sondern tanzte in hauchdünnen Schleiern mit einem sehr zahmen Teppichpython. Außerdem trug ich noch einen Bodystocking und wurde à la Veruschka mit psychedelischen Farben angemalt. Adelaide war damals sehr, sehr zahm – mal abgesehen von den Hippies. Die Model-Aufträge waren bloß für Fotoanzeigen eines Kaufhauses.“
1970 heiratete sie den inzwischen verstorbenen Graeme Smith, einen Gehörspezialisten und Psychologen, dessen Nachnamen sie annahm. Doch ihre Verbindung war keine ernsthafte Liebesbeziehung. Ihre Ehe wurde 1975 geschieden.
„Wir heirateten, weil man ihn einziehen wollte. So vermied er es, nach Vietnam zu müssen. Mein allergrößter Schulschwarm war bereits nach Vietnam eingezogen worden und der liebste, smarteste Junge aus meiner Schule saß im Gefängnis, weil er sich auf sein Gewissen berufen hatte. Was für eine beschissene Vergeudung.“
Als Silver Anfang der Siebzigerjahre Bon kennenlernte, arbeitete sie an der philosophischen Fakultät der Flinders University. „Das war einer der besten Jobs, die ich je hatte, weil ich dort so viel lernte. In den Jahren, bevor Frauen denselben Lohn wie Männer erhielten, arbeitete ich den ganzen Tag in irgendwelchen staatlichen Büros. Ein paar Jahre lang jobbte ich auch als Frühstücks- bzw. Abendkellnerin bei Travelodge. Ich sparte, um auf Reisen gehen zu können. Ich arbeitete als Stenografin und Kellnerin, um mir winzige, aber gut eingerichtete Wohnungen in London und San Francisco leisten zu können, da ich keine Lust auf ein möbliertes Zimmer hatte, wo ich mir mit Fremden ein dreckiges Badezimmer hätte teilen müssen.“
Es wird weithin angenommen, dass Silver bereits in Adelaide eine Affäre mit Bon hatte, als er noch mit Irene Thornton verheiratet war, obwohl es dafür keinerlei Beweise gibt. In ihrem Buch My Bon Scott schreibt Irene: „Ich weiß nicht, ob das schon losging, als Bon und ich noch zusammen waren.“ Im Gespräch mit mir stritt Silver kategorisch ab, dass Bon Ehebruch begangen hatte, obwohl das auf sie sehr wohl zutraf, da sie damals