Jimi Hendrix. Charles R Cross
im Warenhaus zum Beispiel – tabu für Schwarze. Erst in den Fünfzigerjahren durften Schwarze Kleidung in einem Kaufhaus in der Innenstadt von Seattle kaufen, sie aber nicht vorher anprobieren. Da ihre Zukunftsaussichten bescheiden waren, gingen mehrere von Jimis Freunden, darunter auch Terry Johnson und Jimmy Williams, wie die meisten afroamerikanischen Männer aus dem Viertel nach der Highschool zur Armee.
Da er ohne Abschluss von der Schule abgegangen war, waren Jimis Berufsaussichten noch bescheidener als die der Meisten. Er hatte keinerlei Arbeitserfahrung, sieht man von seiner Aushilfstätigkeit an der Seite seines Vaters und den Engagements mit Bands einmal ab. Wenn er zufällig in jenem Frühjahr Freunde traf, die ihn fragten, ob er einen Job habe, erwiderte er stets, die Tomcats seien sein Job. Außer seiner Gitarre und seinem Verstärker besaß er nichts, doch diese beiden kostbaren Güter reichten ihm, um sich eine Karriere als Gitarrist auszumalen. Als Hank Ballard and The Midnighters im Rahmen einer Tournee in die Stadt kamen, ergatterte Jimi Freikarten und besuchte das Konzert mit seiner Gitarre auf dem Schoß. Danach stellte er Ballards Gitarristen nach, weil er Licks von ihm lernen wollte, und lief ihm so lange hinterher, bis dieser schließlich nachgab. Jimi hatte angefangen, seine Karriere ernsthaft voranzutreiben. Er mochte knapp bei Kasse sein, doch an Ehrgeiz und Mut fehlte es ihm nicht. Selbst zur erfolgreichsten Zeit mit den Tomcats verdiente Jimi weniger als zwanzig Dollar monatlich, und der Großteil seines Verdiensts floss in Ausrüstung und Bühnenklamotten. Jimi war achtzehn und vor dem Gesetz erwachsen, finanziell jedoch war er noch immer von seinem Vater abhängig.
Irgendwann im Frühjahr geriet Jimi in den Dunstkreis einer anderen künftigen Berühmtheit: Bruce Lee. „Das war im Imperial Lanes unten auf der Rainier Avenue“, erinnert sich sein ehemaliger Mitschüler Denny Rosencrantz. Damals war Lee wegen seiner Karatevorführungen und dafür bekannt, dass er gern auf dem Parkplatz vor der Bowlinghalle Schlägereien vom Zaun brach. Jimi war ebenfalls dort, um seinen Freunden beim Bowlen zuzusehen – er selbst hatte nicht genug Geld. Doch abgesehen davon, dass er Lee die Hand schüttelte, hatte er wahrscheinlich mit dem Mann, der schon bald zur Kampfsportlegende werden sollte, wenig zu tun.
Jimis Verhältnis zu seinem Vater blieb auch in diesem Frühjahr schwierig. Al hatte den Eindruck, sein Sohn sei faul, und man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, Jimi war inzwischen ein Mann, weshalb Al seine Kritik auch immer lauter formulierte. „Mein Dad fand Jimis Vorstellung, Musik zu machen, scheiße“, erinnert sich Leon. „Er sagte wortwörtlich, Musik sei ‚Teufelswerk‘.“ Al wollte noch immer, dass ihm sein ältester Sohn in die Gärtnerei folgte. Jimi aber hasste die körperlich anstrengende Arbeit, und die Vorstellung, Assistent seines Vaters zu werden, war ihm ein Gräuel. Wenn er seinem Vater doch einmal widerwillig half, so schuf die gemeinsame Arbeit dennoch kein Band zwischen ihnen, und Jimi beschwerte sich, dass Al ihm immer nur einen Dollar auszahlte. Jimi und Leon ahmten beide die raue Stimme ihres Vaters nach und sagten: „Da hast du einen Dollar.“ Im Frühjahr 1961 beobachtete einer von Als Kunden in der Gärtnerei, wie Al Jimi schlug. In einem Interview von 1967 sprach Jimi über den Vorfall: „Er hat mich ins Gesicht geschlagen, und ich bin abgehauen.“ Leon erinnert sich, dass Jimi auch noch mit achtzehn Jahren von Al mit dem Gürtel „ausgepeitscht“ wurde.
Selbst in den Augen der anderen Mitglieder der Rocking Kings – von denen keiner aus einem privilegierten Elternhaus kam – war Jimi außergewöhnlich arm. Terry Johnson arbeitete in einem Burger-Laden direkt gegenüber der Garfield High, und Jimi kam öfter vorbei, um sich etwas umsonst zu essen zu holen. Jimi erfuhr von Terry, dass nicht verkaufte Burger und Fritten nach Ladenschluss einfach weggeworfen wurden. Selbst wenn Terry nicht arbeitete, ging Jimi kurz vor der Schließung hin und fragte nach, ob Essen übrig geblieben sei, das weggeworfen würde. Zunächst waren die Angestellten erschüttert, weil ein Junge, den sie aus der Schule kannten, bei ihnen bettelte. Aber schon bald begriffen sie, in welch bedauernswerter Situation Jimi sich befand, und legten täglich nicht verkaufte Burger für ihn zur Seite. Manchmal hatte Jimi das Glück, ein halbes Dutzend Burger mit nach Hause nehmen zu können. Bei zahlreichen anderen Gelegenheiten jedoch verschlang er gierig wie ein verhungerndes wildes Tier, das, was er bekommen hatte, gleich dort auf dem Parkplatz. Beim Essen blickte er auf die Highschool, die er nicht mehr besuchte.
Jimi war weiterhin mit Betty Jean Morgan zusammen, obwohl er sie meistens nur in den Park ausführen konnte. Dennoch fragte Jimi sie im Frühjahr, ob sie ihn heiraten wolle. Es war ein spontanes Ansinnen, und weder Betty Jean noch ihre Eltern zogen eine solche Möglichkeit ernsthaft in Betracht. „Meine Mutter sagte, ich würde warten müssen, bis ich meinen Abschluss hätte, und das bedeutete mindestens bis 1963“, erinnert sie sich. Obwohl ihre Eltern Jimi mochten, hofften sie aller Wahrscheinlichkeit nach, er würde einen Job finden, bevor er mit ihrer Tochter den Bund der Ehe schloss.
Als Jimi Anfang Mai in Polizeigewahrsam genommen wurde, war von Heirat keine Rede mehr. Am 2. Mai 1962 wurde er verhaftet, weil er einen gestohlenen Wagen fuhr. Er wurde in den Jugendknast gesteckt, genau gegenüber der Wohnung, in der er ein Jahr zuvor noch gewohnt hatte. Als Al kam, um ihn auszulösen, erzählte er seinem Vater, er habe nicht gewusst, dass der Wagen gestohlen war, und dass er zum Zeitpunkt seiner Verhaftung geparkt hatte. Al schrieb in seiner Autobiografie, die Angelegenheit sei rasch ausgebügelt worden, und Jimi habe „keine Strafe absitzen“ müssen. Die Polizeiakten erzählen allerdings eine andere Geschichte: Jimi verbrachte wegen dieses ersten Vergehens einen Tag im Gefängnis, er wurde entlassen und nur vier Tage später erneut verhaftet, weil er wieder in einem gestohlenen Wagen erwischt worden war. Die zeitliche Nähe zwischen beiden Verhaftungen gab nicht gerade Anlass zur Nachsicht, als Jimi das zweite Mal dem Haftrichter vorgeführt wurde. Die folgenden acht Tage verbrachte er im Jugendgefängnis. Die Woche im Knast war nicht das Ende der Angelegenheit, da Jimi noch eine Gerichtsanhörung bevorstand, bei der er offiziell zu einer empfindlichen Strafe verurteilt werden sollte.
Der Polizeibehörde in Seattle wurde wiederholt vorgeworfen, es damals vorwiegend auf schwarze Männer abgesehen zu haben. „Die Bullen haben einen angehalten, wenn man bloß die Straße langgelaufen ist“, erinnert sich Terry Johnson. 1955 hatte der Bürgermeister von Seattle einen Untersuchungsausschuss gebildet, um gewaltsame Verstöße der Polizei im Central District zu untersuchen. In seinem Bericht kam der Ausschuss zu dem Schluss, dass bei der Polizei die Ansichten „alle Neger haben Messer“ und „ein Neger in einem Cadillac ist entweder Zuhälter oder Drogendealer“ weit verbreitet seien. Jimi schwor, er habe keinen der beiden Wagen gestohlen, noch habe er gewusst, dass sie gestohlen waren. Dennoch blühten ihm für jedes der beiden ihm vorgeworfenen Vergehen jeweils fünf Jahre Haft.
Obwohl Jimi ein Träumer war, konnte er sich doch selbst in seinen wildesten Träumen nicht vorstellen, wie er in Seattle als Musiker seinen Lebensunterhalt verdienen sollte. Er hatte bereits Interesse signalisiert, der Armee beizutreten, und als sein Gerichtstermin bedrohlich näher rückte, zog er diese Möglichkeit ernsthaft in Erwägung, da die Staatsanwaltschaft eine Verpflichtung bei der Armee strafmildernd wertete. Jimi hatte bereits im Frühjahr zuvor versucht, mit Anthony Atherton der Air Force beizutreten. „Die haben uns im Büro nur einmal kurz angeguckt“, erinnert sich Atherton, „und gesagt, wir besäßen nicht die körperlichen Voraussetzungen, um der Fliehkraft in einem Flugzeug standzuhalten.“ Ausschlaggebender war wahrscheinlich, dass die beiden jungen Männer schwarz waren. Damals gab es nur wenige afroamerikanische Piloten in der Air Force.
Jimis zweite Wahl war die Armee. Er ging in ein Rekrutierungsbüro und erkundigte sich, ob er zur One Hundred and First Airborne Division kommen könnte, sollte er sich entschließen, sich zu verpflichten. Er hatte in Geschichtsbüchern über die One Hundred and First gelesen und das berühmte „Screaming Eagle“-Abzeichen in sein Notizbuch gezeichnet. „Immer wieder hat er gesagt, dass er sich so ein Abzeichen verdienen wollte“, erinnert sich Leon. Das Abzeichen selbst wurde für Jimi zur fixen Idee, da es seinem Träger eine Identität versprach. Für einen Jungen, der in seiner Kindheit kein stabiles Zuhause gekannt hatte, stellte die Insignie eine starke Verlockung dar.
Bei einer Anhörung vor dem Jugendgericht am 16. Mai 1961 wurde Jimi von einem Pflichtverteidiger vertreten. Der Staatsanwalt stimmte einer zweijährigen Bewährungsstrafe unter der Bedingung zu, dass sich Jimi bei der Armee verpflichtete. Die Verurteilung wurde in sein polizeiliches Führungszeugnis aufgenommen. Am Tag darauf verpflichtete sich Jimi für drei Jahre. Am 29. Mai sollte er