Jimi Hendrix. Charles R Cross
ein Radio auseinander und versuchte, es zum Verstärker für seine Gitarre umzubauen.“ Ernestine Benson, die Jimis wachsendes Interesse an der Musik verfolgte, drängte Al, dem Jungen ein ordentliches Instrument zu kaufen.
Die Schule blieb weiterhin ein Problem. Obwohl er die Klasse wiederholte, in der er im vorangegangenen Jahr durchgefallen war, hatte Jimi mit dem Stoff zu kämpfen. Als er und Al im Dezember wieder einmal umzogen und bei Grace und Frank Hatcher wohnten, bedeutete das auch einen weiteren Schulwechsel an die Washington Junior High. Nach Ende des ersten Halbjahrs war Jimi erneut in Mathematik, Englisch und technischem Zeichnen durchgefallen. Ein zweites Mal konnte er nicht sitzen bleiben, deshalb stimmte die Schulbehörde seiner Versetzung an die Highschool im Herbst in der Hoffnung zu, die neue Umgebung würde zur Besserung seiner Noten beitragen.
Vater und Sohn lebten nur eine kurze Zeit bei den Hatchers, die den Ärger mit Al rasch leid waren. „Al war so unzuverlässig: Er trank, spielte und kam erst in den frühen Morgenstunden nach Hause“, erinnert sich Frank Hatcher. Im April 1959 zogen sie wieder um, diesmal in eine Wohnung in First Hill. Das Gebäude war derart rattenverseucht, dass Al sich nicht einmal die Mühe machte, den Gasherd anzuwerfen oder die Küche zu benutzen. Prostituierte gingen unten auf der Straße ihrer Tätigkeit nach. Die Wohnung lag gegenüber einer Jugendstrafanstalt, die Jimi vor Augen gehalten haben mag, wohin sein Leben führen könnte.
Trotz der Verschlechterung seiner Lebensumstände wurde Jimi in dieser Wohnung die größte Freude seiner gesamten Kindheit und Jugend zuteil, als er seine erste E-Gitarre bekam. Al hatte unter den ständigen Nörgeleien von Ernestine Benson – „Kauf dem Jungen endlich eine Gitarre“ – schließlich nachgegeben und bei Myer’s Music ein Instrument auf Raten gekauft. Gleichzeitig hatte er ein Saxofon erworben, weil er es selbst spielen wollte. Eine kurze Weile lang jammten die beiden zusammen, als jedoch die nächste Rate fällig wurde, brachte Al das Blasinstrument zurück.
Jimis Gitarre war eine weiße Supro Ozark. Sie war für Rechtshänder gebaut, und Jimi zog die Saiten sofort andersherum auf. Das bedeutete, dass die Knöpfe auf der falschen Seite waren, was ihre Handhabung erschwerte. Jimi rief sofort Carmen Goudy an und schrie in den Hörer: „Ich hab eine Gitarre!“
„Du hast doch schon eine Gitarre“, sagte sie.
„Nein, ich meine eine richtige Gitarre!“, rief er. Er flitzte rüber zu ihr nach Hause. Als sie im Meany Park spazieren gingen, hüpfte Jimi buchstäblich vor Freude auf und ab, die Gitarre in Händen. „Man darf nicht vergessen“, sagte Carmen, „dass wir als Kinder so arm waren, dass wir nie was zu Weihnachten bekamen. Das war wie fünfmal Weihnachten auf einmal. Man musste sich einfach mit ihm freuen. Ich glaube, das war der glücklichste Tag seines Lebens.“
Im Park schrammelte Jimi ein bisschen auf der Gitarre herum und probierte ein paar der Licks aus, die er auf der akustischen gelernt hatte. Die Bewegungsabläufe hatte er durch die unzähligen Stunden, in denen er Luftgitarre gespielt hatte, längst einstudiert, weshalb er wie ein echter Gitarrist aussah, auch wenn seine Fähigkeiten damals noch bescheiden waren. „Ich bin dein erster Fan“, verkündete Carmen.
„Glaubst du wirklich, dass ich mal Fans haben werde?“, fragte Jimi. „Mit Sicherheit“, antwortete Carmen.
Ihre Beziehung war inzwischen so weit gediehen, dass sie sich küssten, obwohl beide noch an ihren Künsten feilten. Nach einem Kuss erklärte Jimi meist, um welche Sorte Kuss es sich gehandelt hatte. „Das war ein französischer, bei dem man die Zunge in den Mund des anderen steckt“, meinte er. Sie erinnert sich an seine Küsse als an die „saftigsten“. An jenem Tag im Park war Carmen jedoch frustriert, weil sich Jimi mehr für seine Gitarre als für das Küssen zu interessieren schien. In ihren Augen machte ihn dies noch attraktiver – eine Methode, die Jimi schließlich zu einer hohen Kunst weiterentwickelte.
* * *
Die Gitarre wurde sein Leben, und sein Leben wurde seine Gitarre. Da er sein Instrument nun endlich in Händen hielt, versteifte er sich als Nächstes darauf, eine Band zu finden. Im Verlauf der folgenden Monate spielte Jimi praktisch mit jedermann im Viertel, der ein Instrument besaß. Meist handelte es sich dabei um zwangloses Jamming, meist ohne elektrische Verstärkung, da Jimi keinen Verstärker besaß. Wenn er Glück hatte, erlaubte ihm einer der älteren Musiker, sich bei ihm mit anzuschließen, und dann konnte er loslegen. Gelegentlich nutzte er auch den Verstärker in einem Jugendtreffpunkt. Auch hatte er keinen Koffer für seine Gitarre, deshalb trug er sie entweder ohne Schutzhülle oder in einer großen Papiertüte aus der Reinigung, womit er eher nach einem Hobo als nach einem gewieften Gitarristen aussah. Mit der Gitarre in der Papiertüte schien er Chuck Berrys „Johnny B. Goode“ zu verkörpern.
Zu diesem Zeitpunkt kannte Jimi lediglich ein paar Riffs und keine kompletten Songs. Carmen Goudy erinnert sich, dass der erste Song, den er von Anfang bis Ende beherrschte, „Tall Cool One“ von den Fabulous Wailers war. Die Wailers waren eine vom R & B beeinflusste Rockband aus Tacoma, Washington, die sich mit ihrer Version von „Louie, Louie“ daheim etwas Ansehen verschafft hatte.
Zunächst interessierte sich Jimi vor allem für die damals gerade angesagten Popsongs. Oft spielte er mit Jimmy Williams. Williams sang, während Jimi ihn mit ein paar rohen Gitarrenakkorden begleitete. „Wir hatten ein paar Standards drauf“, erinnert sich Williams. „Viel von Frank Sinatra und Dean Martin. Jimmy hat sich echt angestrengt, den Rhythmus dieser Songs hinzubekommen. Er stand total auf Duane Eddy.“ Eddy, dessen Spezialität schneller Rockabilly war, wurde Jimis erster echter Gitarrenheld, und schon bald lernte er „Forty Miles Of Bad Road“, „Peter Gunn“ und „Because They’re Young“. Er schnappte so schnell Songs auf, lernte jeden Tag einen neuen dazu, dass ihn Jimmy Williams zum Spaß als „menschliche Jukebox“ bezeichnete. Wenn man ihn ein längeres Solo spielen ließ, dann spielte er sehr elaboriert, was nicht immer passte, nicht mal bei Duane Eddy. Dennoch war Rock ’n’ Roll nur eines von Jimis vielfältigen Interessen, und Williams erinnert sich, dass Jimis Lieblingssong in jenem Sommer Dean Martins „Memories Are Made Of This“ war.
Am 9. September 1959 kam Jimi in die zehnte Klasse der Garfield High School. Obwohl er bereits ein Jahr älter war, bedeutete die Highschool dennoch eine aufregende Veränderung. Die Garfield im Herzen des Central District war die fortschrittlichste Highschool in Seattle, was Integration anging, und darüber hinaus eine der besten Schulen der Stadt. Fünfzig Prozent der Schüler waren weiß, zwanzig Prozent asiatischer Herkunft, und dreißig Prozent waren schwarz. Die Schule war riesig: In dem Jahr, in dem Jimi dort anfing, waren eintausendsechshundertachtundachtzig Schüler angemeldet.
In seinem ersten Semester auf der Garfield kam Jimi an zwanzig Tagen zu spät, und seine Noten verbesserten sich nur unwesentlich. Im Unterricht blieb er so unbeteiligt, dass ihn einer der Lehrer als „Schüler, der kein Schüler ist“, bezeichnete. In erster Linie ging er zur Schule, weil er dort Jimmy, Pernell und seine anderen Freunde aus dem Viertel traf. Die meisten ihrer Unterhaltungen, die sie oft auch während des Unterrichts im hinteren Teil des Klassenraums führten, drehten sich um Musik. Im Speisesaal der Schule gab es eine Jukebox, und den Schülern war es gestattet, sie zu benutzen. Ununterbrochen gründeten die Schüler Bands oder sprachen davon, Bands zu gründen. Die meisten Bands im Viertel waren lockere Zusammenschlüsse mit wechselnder Besetzung, je nachdem, wer gerade an welchem Abend Zeit hatte. In der letzten Reihe wurde im Gemeinschaftskundeunterricht ausgehandelt, wer Bass spielen und welches Songs sich die nächste Band annehmen sollte.
Jimis erstes Konzert fand im Keller des De-Hirsch-Sinai-Tempels statt, einer Synagoge in Seattle. Jimi spielte mit einer Gruppe älterer Jungen, ein Auftritt, der als Vorspieltermin vor seiner Aufnahme in die damals noch namenlose Band dienen sollte. „Beim ersten Set zog Jimi sein Ding durch“, erinnert sich Carmen Goudy. „Er spielte das ganze wilde Zeug, und als die einzelnen Bandmitglieder vorgestellt wurden und das Scheinwerferlicht auf ihn fiel, spielte er noch wilder.“ Nach der Pause zwischen den Sets kehrte die Band ohne Jimi auf die Bühne zurück. Goudy fing an, sich Sorgen zu machen, dass ihm schlecht geworden sei. Jimi war vor dem Auftritt derart nervös gewesen, dass sie befürchtet hatte, er müsste sich übergeben. Nachdem sie ihn gesucht hatte, fand sie ihn in einer Gasse hinter dem Gebäude. Jimi wirkte so niedergeschlagen, als wolle er in Tränen ausbrechen. Er erzählte Carmen,