Die Belagerung von Krishnapur. James Gordon Farrell
anständige Kerle, aber Unkenrufer ohnegleichen.
»Warum sollten die Sepoys ihre eigenen Quartiere angreifen, wenn sie auf Meuterei bedacht wären?«, fragte er. »Sie hätten die britischen Bungalows in Brand gesteckt, wenn es das wäre, worauf sie aus sind. Und Meerut, das ist verdammt weit weg von Captainganj, wenn Sie mir den Ausdruck verzeihen. Besondere Umstände, das auch, sollte mich nicht wundern. Kann mich doch hier nicht drum kümmern, was in China passiert! Sehen Sie doch, Hopkins, vorausgesetzt, ihr hier in Krishnapur benehmt euch normal, ohne Angst zu zeigen, geht alles in Ordnung … Aber es wird des Teufels sein, unsere Männer in Captainganj unter Kontrolle zu halten, wenn ihr hier Panik schürt und Erdwälle grabt …«
Auf seinem Weg zur Residenz hatte er einen verächtlichen Blick auf die Befestigungsanlagen des Collectors geworfen. »Rekrutieren Sie Mohammedaner als zusätzliche Polizei, wenn Sie möchten. Die sind zuverlässiger als Hindus oder eingeborene Christen, aber schüren Sie keine Panik.«
Der Collector errötete, getroffen von der spöttischen Anspielung des Generals auf seine »Erdwälle«; dann, nach kurzem Zögern, fragte er: »Wie viele englische Truppen haben Sie in Captainganj außer den Offizieren der Eingeborenenregimenter?«
Einen Augenblick schien es, als würde der General die Antwort verweigern. »Kleinkram, Reste von zwei oder drei Kompanien, die auf dem Weg nach Umballa zurückgeblieben sind … vierzig oder fünfzig Mann vielleicht.«
»General«, sagte der Collector in einem beschwichtigenden Ton, »ich wüsste gern, ob Sie etwas dagegen einzuwenden haben, wenn Frauen und Kinder hier hereingebracht werden?«
»Mein lieber Hopkins, entweder zeigen wir Zuversicht, dass die Eingeborenen sich anständig benehmen, oder wir verschanzen uns alle. Beides zugleich können wir kaum machen.« Der General unterbrach, außer sich. Normalerweise hätte diese Diskussion ihn zu einem fürchterlichen Wutausbruch gereizt, doch irgendwann, während er in der Bibliothek auf und ab gegangen war, hatte sich seine Hand um ein Buch geschlossen. Und dieses Buch brachte ihn in einige Bedrängnis, weil er sich beim besten Willen nicht mehr erinnern konnte, ob es in seiner Hand war, um ihn an etwas zu erinnern, oder nicht. Er hatte einen verstohlenen Blick auf den Titel geworfen, der Missionarische Helden hieß und ihm nichts sagte.
»Vorausgesetzt, die Zivilisten in Krishnapur fangen nicht an, Angst zu zeigen, kann ich garantieren, dass meine Männer loyal bleiben. Ich habe die Lage vollständig unter Kontrolle«, erklärte er, wenn auch weniger selbstsicher als zuvor.
»Trotzdem, General, wir können die Feuer in Captainganj nicht einfach ignorieren. Das wäre die größte Torheit überhaupt.«
»Wir werden die Übeltäter zur Rechenschaft ziehen!«, rief der General plötzlich in einem solchen Ausbruch von Zuversicht, dass sogar der Collector einen Moment ermutigt schien.
Eine Woche der Unschlüssigkeit verging. Es kamen Nachrichten von einem Massaker in Delhi, aber immer noch zögerte der Collector mit dem Befehl, Frauen und Kinder in die Residenz zu bringen; er sah ein, dass etwas Wahres an dem war, was der General über das Zeigen von Angst gesagt hatte; auf der anderen Seite fuhr er heimlich fort, trotz der Missbilligung des Generals Pulver und Vorräte zur Lagerung in der Residenz zu sammeln. Was er am nötigsten brauchte, waren Kanonen und Musketen, oder, besser noch, Gewehre … aber um so etwas konnte er Captainganj nicht bitten, ohne einen fatalen Bruch mit dem alten General zu riskieren.
Unterdessen gaben jene im Kantonnement, die dem General folgten und für eine »Zurschaustellung von Zuversicht« plädiert hatten, weiterhin diese Empfehlung ab … was in Meerut schiefgegangen war, erklärten sie, sei zweifellos, dass die Europäer angefangen hätten zu »unken«, versucht hätten, Konzessionen zu machen. Die Verteidigungsmaßnahmen des Collectors könnten, abgesehen davon, dass sie lächerlich und inadäquat seien, durchaus die Gefahr heraufbeschwören, vor der sie angeblich schützen sollten! Gleichzeitig wurde von der eher ängstlichen Gegenfraktion im Kantonnement eine andere Frage gestellt, nämlich: Was sollte es, eine Zuversicht vorzutäuschen, die niemand empfand und die in den Augen der Eingeborenen ziemlich haltlos erscheinen musste?
Wahrscheinlich aber konnte sich die Mehrheit der Leute im Kantonnement nicht entscheiden, welches der beste Weg sei. Während das »zuversichtliche« Lager Ruhe und Gleichgültigkeit empfahl und das »nervöse« Lager ganz fürs Verschwinden in der Residenz war, stimmte die Mehrheit bald für dies, bald für jenes, und manchmal sogar für beides zugleich … ein ruhiges und zuversichtliches Verschwinden in der Residenz.
Fleury war im Prinzip ganz fürs Verschwinden, wenn es das war, was alle wollten … aber er wusste so wenig über das Land, dass er nicht in der Lage war, richtig einzuschätzen, ob oder wann es Zeit zum Verschwinden wäre. Er hatte nicht das geringste Gespür für Gefahr. Was dazu führte, dass er sich in Ermanglung dessen eher im »zuversichtlichen« Lager wiederfand … wenn auch zugleich jederzeit bereit, beim ersten Anzeichen von Unruhe seine Beine in die Hand zu nehmen und in der Residenz zu verschwinden.
Der Collector bedauerte die feindselige Stimmung, die sich im Kantonnement zwischen den beiden Fraktionen entwickelte. »Schließlich«, dachte er, »wollen wir alle das Gleiche: Sicherheit für unser Leben und unser Eigentum … warum um Himmels willen sollten wir einander an die Gurgel gehen? Warum bestehen die Leute darauf, ihre Ideen und Meinungen so grimmig zu verteidigen, als ginge es um die Ehre? Was ist leichter, als eine Idee zu ändern?« Der Collector selber jedoch rückte keinen Zollbreit von seiner Überzeugung ab, dass die einzige und letzte Zuflucht hinter seinen Erdwällen lag. Zwischen den beiden Lagern begannen Fehden auszubrechen, verschärft durch die ständig zunehmende Hitze. Sie bezichtigten sich gegenseitig, das Leben von Unschuldigen, von Frauen und Kindern zu gefährden. Während die einen kaum eine Gelegenheit ausließen, unbewaffnet und wehrlos inmitten des Gedränges auf dem Basar herumzutrödeln, wagten sich die anderen keinen Schritt vor ihre Bungalows, es sei denn mit klirrenden Waffen.
In einer ersten und letzten Anstrengung, die Gemeinschaft auf demokratische Weise zu führen, verbrachte der Collector diese Tage damit, Maßnahmen zu ersinnen, die Unbekümmertheit mit Verteidigungszwecken verbanden. In diesem Geist ließ er an einem ungeschützten Stück der Umwallung des Gebäudekomplexes eine Reihe schwerer Steingefäße aufstellen und mit Blumen bepflanzen, die in der Hitze prompt verwelkten. Als Nächstes erklärte er, er wolle an einer anderen Schwachstelle des Perimeters eine Steinmauer, um den Crocketrasen gegen das blendende Licht der Abendsonne abzuschirmen. Während sie gebaut wurde, zeigte er einen plötzlichen Überschwang väterlicher Milde, indem er in Gesellschaft seiner schmachtenden älteren Töchter verbissen Bälle durch Tore schlug. Seine Töchter waren zu ihren besten Zeiten nicht gut im Crocket, aber jetzt, auf diesem glühenden Stück sonnengebackener Erde … Also gewann der Collector unermüdlich ein Spiel nach dem anderen, weil es seine Pflicht war … und seine Töchter verloren ein Spiel nach dem anderen, weil sie schwach waren.
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