Die Belagerung von Krishnapur. James Gordon Farrell

Die Belagerung von Krishnapur - James Gordon Farrell


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Krachen und Rumsen erschütterte das Haus, dass die Gentlemen auffuhren und zu den mit Luftschlitzen versehenen Flügeltüren strebten, um nach dem Rechten zu schauen. Doch kaum hatten sie ein paar Schritte getan, da flogen die Türen auf und ein junger Offizier, den Fleury sofort als Leutnant Cutter erkannte, ritt wild um sich blickend, schreiend und einen Säbel schwingend auf dem Rücken eines Pferdes in den Raum. Die Ladies fassten sich an die Brüste und wussten nicht, ob sie vor Angst oder vor Lachen kreischen sollten, als Cutter, sein Gesicht genauso rot wie seine Uniform, das sich sträubende Pferd in den Raum trieb und auf ein leeres Sofa zuhielt. Mit einem Satz ging es drüber, glatt wie ein Zirkuspony, und landete, rutschend, mit dröhnendem Gepolter auf der anderen Seite. Cutter machte kehrt, köpfte säbelschwingend eine eingetopfte Geranie, wendete sein Pferd und trieb es erneut auf das Sofa zu. Aber diesmal verweigerte das Tier und Cutter glitt, immer noch den Säbel in der Hand, vom Pferderücken auf den Boden. »Ergeben Sie sich, Sir?«, bellte er ein Kissen auf dem Sofa an, den Arm zum Stoß bereit zurückgezogen.

      »Ja, es ergibt sich!«, kreischte Mrs. Rayne.

      »Nein, es fordert Sie heraus«, rief Ford.

      »Dann sterben Sie, Sir!«, schrie Cutter und stürzte das Kissen aufspießend vorwärts, wobei er im Eifer des Gefechts an einem Teppich hängenblieb und infolgedessen in einem Wirbelwind von Federn auf den Boden stürzte.

      »Das ist nur ein Scherz«, erklärte Burlton Fleury, der ob dieser jüngsten Entwicklung ebenso erstaunt wie erschüttert war. »Der führt immer was im Schilde. Was für ein Clown er ist!«

      »Wer ist dieser Griffin?«, schrie Cutter, während er sich von dem Teppich, in dem er sich mit den Sporen verhaspelt hatte, freikämpfte. »Wer ist dieser Milchbart? Ergeben Sie sich, Sir?« Und den Säbel erneut zurückziehend, schien er drauf und dran zu sein, Fleury zu durchbohren.

      »Ja, er ergibt sich!«, riefen alle außer Fleury, der einfach nur dastand, zu verwirrt, um zu sprechen, während die Säbelspitze über die Knöpfe seiner Weste patrouillierte.

      »Oh, dann ist es ja gut«, sagte Cutter. »Nein danke, Rayne, Ihren Kalkutta-Champagner können Sie behalten. Ich trinke nur Todd and James, mein Pferd trinkt diesen Dreck. Monkey, bring mir Brandy-pawnee*.« Aber Monkey wusste offenbar, was Leutnant Cutter schmeckte, denn er eilte bereits mit einem Tablett herbei.

      »Trinkt Beeswing wirklich simkin?«, wollte Mrs. Rayne nun wirklich wissen, denn wie es schien, hatte Cutter seinem Pferd den Namen der gefeierten Kalkutta-Stute gegeben. Sogleich sprang Cutter, der matt auf das federbestreute Sofa gesunken war, indem er Stiefel und Sporen über das Ende baumeln ließ, mit einem Brüllen wieder auf, und nun kannte er nichts mehr: Beeswing, der die ganze Zeit geduldig am Fenster gestanden hatte, gelegentlich den Kopf senkend, um versuchsweise den Perserteppich unter seinen Hufen abzufressen, musste sich der Gesellschaft anschließen und sein Maß trinken. Ram beeilte sich, eine neue Flasche und eine Schüssel zu holen, doch Cutter ignorierte die Schüssel und ergriff einen Tropenhelm von einem Beistelltisch; dort hinein ließ er den Inhalt der Flasche plätschern, während er sein Pferd mit Wiehern und Rufen ermunterte. Als der Champagner ihm unter die Nase gehalten wurde, begann Beeswing, durstig von dem Kanter in der Hitze des späten Nachmittags, ihn gierig aufzulecken.

      Die Sonne stand schon tief am Horizont, und Fleury drängte es nach Hause, um zu sehen, ob Miriam zurück war, und in Erfahrung zu bringen, ob die Dunstaples ihn vielleicht zum Abendessen einladen wollten. Doch um Beeswing herrschte eine solche Ausgelassenheit, dass er größte Schwierigkeiten hatte, die Aufmerksamkeit seines Gastgebers zu bekommen.

      »Was? Sie gehen schon?«, rief Rayne. »Ich hatte noch nicht mal die Möglichkeit, mit Ihnen zu reden … Ein Gespräch über Zivilisation, das war es, was ich haben wollte! Fragen Sie Mrs. Rayne, ob ich nicht zu ihr sagte: ›Ich werd ihn rüberbitten, und dann reden wir ernsthaft über Zivilisation.‹ Meine Worte, ich schwöre es. Und jetzt machen Sie sich aus dem Staub.«

      »Ich würde nur allzu gerne … ein andermal, vielleicht. Wäre es möglich, einen Ihrer Träger zu bitten, mich zu begleiten?«

      Rayne brüllte einen Befehl, aber dann musste er seine Aufmerksamkeit wieder Cutter zuwenden, der mit Ford gerade eine extravagante Wette abgeschlossen hatte, nämlich um ein Dutzend Clarets, dass er und Beeswing mit einem einzigen Satz von draußen über die Veranda durchs Fenster des Gesellschaftszimmers ins Haus springen könnten. Fleury sagte den Ladys auf Wiedersehen und eilte von dannen, Chloë schnüffelnd voraus; er hatte nicht die geringste Lust, dieses waghalsige Kunststück zu beobachten.

      IV

      Dunkle Ringe hatten sich um die Augen des Collectors gebildet und die Augen selbst starrten während der Abendandacht in der Kirche missmutiger denn je auf die anderen Mitglieder der Gemeinde; es gab Tage, an denen man ihn seinen Kopf während der Andacht unnatürlich still halten sah; es war, als wären seine Gesichtszüge in Stein gemeißelt, ohne eine Regung, außer den im Lüftchen der punkahs wehenden Koteletten. Es war offensichtlich, dass er Schlafprobleme hatte, denn bald beauftragte er einen der Diener, den Doktor um einen Schlaftrunk zu ersuchen. Dr. Dunstaple war zu dieser Zeit gerade abwesend, sodass Dr. McNab sich verpflichtet sah, den Collector zu behandeln. Er fand ihn in seinem Schlafzimmer, neben der geöffneten Fenstertür, die auf die Veranda führte.

      Dr. McNab war erst kürzlich nach Krishnapur gekommen. Seine Frau war ein paar Jahre zuvor an irgendeinem anderen Standort in Indien gestorben; sonst wusste man nicht viel über ihn, außer dem, was Dr. Dunstaple in Form amüsanter Anekdoten über seine medizinischen Verfahren lieferte. Sein Benehmen war förmlich und zurückhaltend; obwohl noch recht jung, sah er aus wie ein Mann mittleren Alters, gezeichnet von Melancholie, und wie viele düstere Menschen wirkte er diskret. Er hatte das Schlafzimmer des Collectors noch nie betreten und war beeindruckt von der Eleganz der Einrichtung: der Dicke des Teppichs, der Politur von Tischen und Schränken, der majestätischen Pracht der Schlafstätte des Collectors, eines von einem früheren Residenten geerbten Himmelbetts, das einem Mann, der sich an den bescheidenen charpoy* gewöhnt hatte, außergewöhnlich eindrucksvoll erschien.

      Der Collector wandte sich kurz um, als Dr. McNab eintrat, und bat ihn, ans Fenster zu kommen, das einen hervorragenden Blick nach Südwesten bot, über den Stallhof, über die Cutcherry* hinweg auf die jüngst errichteten Befestigungsanlagen aus getrockneter, in der blendenden Nachmittagshitze backender Erde.

      »Nun, McNab, was meinen Sie, werden die uns vor den Sepoys schützen, wenn sie uns hier angreifen, wie in Meerut?«

      »Ich muss gestehen, ich habe keine Ahnung von militärischen Angelegenheiten, Mr. Hopkins.«

      Der Collector lachte, aber auf eine humorlose Art. »Das ist eine kluge Antwort, McNab, aber vielleicht sind Sie besser in der Lage, den Geisteszustand eines Mannes zu beurteilen, der inmitten einer friedlichen Landschaft eine Festung baut. Doktor, mir ist sehr wohl bewusst, was wegen der Erdwälle da unten im Kantonnement über mich geredet wird.«

      Dr. McNab runzelte die Stirn, blieb aber stumm. Sein Blick, der auf das Gesicht des Collectors geheftet war, fiel auf die Finger seiner rechten Hand, die sich in Anbetracht der ansonsten ruhigen und gebieterischen Haltung eines Staatsmanns, der für sein Portrait posiert, zu fest um den Ärmelaufschlag seines Gehrocks klammerten.

      »Wenn sich am Ende keine Unruhen entwickeln, werden Sie sicher ziemlich dumm dastehen, Mr. Hopkins«, sagte er, dann fügte er grimmig hinzu: »Aber vielleicht ist es Ihre Pflicht.«

      Der Collector schien einen Augenblick überrascht. »Sie haben ganz recht, McNab. Es ist meine Pflicht. Ich habe eine Pflicht gegenüber den Frauen und Kindern, die meinem Schutz anbefohlen sind. Abgesehen davon bin ich Familienvater … ich muss daran denken, meine eigenen Kinder zu beschützen. Vielleicht denken Sie, dass ich mir zu wenig Gedanken über meine Kinder mache? Vielleicht denken Sie, dass ihr Wohlergehen mir nicht genug am Herzen liegt?« Er starrte McNab misstrauisch an.

      »Mr. Hopkins, ich weiß nichts über Ihr Privatleben.« Das stimmte beinah, aber nicht ganz. Gerade eben war McNab den Kindern des Collectors begegnet, gleich einer Brut in Samt, die unter Aufsicht ihrer ayah durch einen Gang der Residenz geführt wurde. Und er hatte sich erinnert, gehört zu


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