Der schöne Sommer. Cesare Pavese

Der schöne Sommer - Cesare Pavese


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      »Ich weiß nicht.«

      Ginia studierte die großen Augen und den schmalen Mund. Sie ähnelte niemandem. »Sie ist schön«, sagte sie. »Sie hat nicht diesen verschlafenen Ausdruck, den ihr Maler sonst immer darstellt.«

      »Sprich für ihn«, erwiderte Rodrigues, »ich habe nichts damit zu tun.«

      Ginia war so froh, dass sie Rodrigues sogar erlaubt hätte, sie zu küssen, wenn er es nur gewusst hätte. Stattdessen kauerte er melancholisch auf dem Sofa, und wäre nicht durch die Scheiben noch ein wenig Licht gefallen, hätte Ginia sich vorgestellt, Guido säße neben ihr, und hätte ihn gestreichelt. Sie schloss die Augen, um es sich auszumalen.

      »Wie schön es ist«, sagte sie laut.

      Dann fragte sie Rodrigues noch einmal, ob er nicht die genaue Ankunftszeit am nächsten Tag wisse. Doch Rodrigues erwiderte, Guido komme möglicherweise mit dem Fahrrad zurück. Dann sprachen sie über Guidos Dorf, und ohne je dort gewesen zu sein, schilderte Rodrigues es ihr zum Spaß als eine Ansammlung von Schweine- und Hühnerställen, mit Straßen, die zu dieser Jahreszeit so aufgeweicht wären, dass man vielleicht gar nicht fortkommen konnte. Da zog Ginia einen Schmollmund und sagte, er solle aufhören.

      Gemeinsam verließen sie das Atelier, und Rodrigues versprach, dass er keine Asche verstreuen werde. »Ich schlafe heute Nacht auf einer Parkbank. Ist dir das recht?« Sie traten lachend aus dem Haustor, und Ginia nahm die Straßenbahn und dachte an Amelia, an die Mädchen auf den Zeichnungen und verglich sich im Geist mit ihnen. Ihr war, als seien sie erst gestern auf dem Hügel gewesen, und jetzt kehrte Guido zurück.

      Am nächsten Tag wachte sie niedergeschlagen auf. Im Handumdrehen war es Mittag. Sie hatte mit Rodrigues ausgemacht, dass sie sich, falls Guido kam, im Café treffen wollten. Auf Zehenspitzen schlich sie am Café vorbei und sah durch die Scheibe die beiden an der Theke stehen. Guido wirkte mager in seinem Regenmantel und stützte den Fuß auf die Stange. Wäre er allein gewesen, hätte Ginia ihn nicht erkannt. Da er den Regenmantel aufgeknöpft hatte, bemerkte sie, dass er eine graue Krawatte trug, nicht ihre. In Zivil sah Guido gar nicht mehr wie ein junger Bursche aus.

      Er und Rodrigues unterhielten sich lachend. Ginia dachte: »Wäre doch Amelia da. Ich täte so, als wollte ich zu ihr.« Erst als sie sich in Erinnerung rief, dass sie ihm das Atelier geputzt hatte, konnte sie sich entschließen hineinzugehen.

      Sie stand noch an der Tür, als Guido sie sah, und da trat sie auf ihn zu, als sei sie zufällig gekommen. Noch nie hatte Guido sie so eingeschüchtert wie in diesem Augenblick. Mitten zwischen all den Leuten streckte Guido ihr die Hand entgegen, während er, zu Rodrigues gewandt, weitersprach.

      Sie sagten fast nichts zueinander. Guido hatte es eiliger als sie, weil jemand auf ihn wartete. Er ermunterte sie mit einem Lächeln, fragte: »Geht es dir gut?«, und rief, schon an der Tür: »Auf Wiedersehen!«

      Töricht lächelnd lief Ginia zur Straßenbahn. Da nahm plötzlich jemand ihren Arm, und eine Stimme, Guidos Stimme, flüsterte ihr ins Ohr: »Ginetta!«

      Sie blieben stehen, und Ginia hatte Tränen in den Augen. »Wo wolltest du hin?«, fragte Guido. – »Nach Hause.« – »Ohne mich zu begrüßen?« Guido drückte ihren Arm und sah sie mit seinen unwiderstehlichen Augen an. »Oh, Guido«, sagte Ginia, »ich habe so auf dich gewartet.«

      Wortlos kehrten sie auf das Trottoir zurück, dann sagte Guido: »Geh jetzt nach Hause, und bitte nicht weinen, wenn du mich besuchen kommst.« – »Heute Abend?« – »Heute Abend.«

      An jenem Abend wusch Ginia sich extra für Guido, bevor sie das Haus verließ. Sie fühlte, wie ihre Knie weich wurden, wenn sie an ihn dachte. Geplagt von tausend Ängsten stieg sie die Treppe hinauf. An der Tür zögerte sie, lauschte: Das Licht brannte, und niemand sprach. Da hustete sie, wie sie es schon einmal getan hatte, aber nichts rührte sich, und Ginia beschloss zu klopfen.

      XV.

      Guido öffnete ihr lachend, und aus dem Hintergrund fragte eine Mädchenstimme: »Wer ist da?« Guido reichte ihr die Hand und forderte sie auf hereinzukommen.

      In dem bleichen Licht, neben dem Vorhang, zog sich ein Mädchen den Regenmantel an. Sie trug keinen Hut und betrachtete Ginia von oben herab, als wäre sie die Hausherrin.

      »Es ist eine Kollegin«, sagte Guido. »Es ist nur Ginia.«

      Sich auf die Lippe beißend, trat die andere ans Fenster, um sich in der dunklen Scheibe zu spiegeln. Sie hatte den gleichen Gang wie Amelia. Ginia sah von ihr zu Guido.

      »Nun, Ginia«, sagte Guido.

      Endlich ging das Mädchen, nicht ohne Ginia auf der Schwelle ein letztes Mal zu mustern. Sie schlug die Tür zu, und man hörte, wie sich die Schritte entfernten.

      »Sie ist ein Modell«, erklärte Guido.

      In jener Nacht blieben sie auf dem Sofa, das Licht brannte, und Ginia versuchte nicht mehr, sich zu verstecken. Sie hatten den Ofen herangerückt, aber es war trotzdem kalt, und nachdem Guido sie einen Augenblick betrachtet hatte, musste Ginia wieder unter die Decke kriechen. Doch am allerschönsten war, eng an ihn geschmiegt, der Gedanke, dass dies wirklich Liebe war. Guido erhob sich, nackt, wie er war, um Wein zu holen, und kam vor Kälte hüpfend zurück. Sie stellten die Gläser auf das Öfchen, um sie anzuwärmen, und Guido roch nach Wein, als er sich zu ihr legte, aber Ginia zog den warmen Duft seiner Haut vor. Guido hatte krause Haare auf der Brust, die sie an der Wange kitzelten, und wenn sie sich aufdeckten, verglich Ginia jenes Blond mit ihrem eigenen und schämte sich, aber gleichzeitig gefiel es ihr auch. Sie flüsterte Guido ins Ohr, sie habe Angst, ihn anzuschauen, und Guido erwiderte, dann solle sie nicht hinsehen.

      Als sie so umschlungen unter der Decke lagen, sprachen sie über Amelia, und Ginia sagte ihm, dass eine Frau an allem schuld sei. »Das geschieht ihr recht«, sagte Guido daraufhin. »Lässt man sich etwa auf solche Scherze ein?«

      »Wie du nach Wein riechst«, flüsterte Ginia. »Das ist immer noch der beste Geruch, den man im Bett riechen kann«, antwortete Guido, doch Ginia verschloss ihm den Mund mit der Hand.

      Dann löschten sie das Licht und schwiegen. Ginia starrte an die nur undeutlich erkennbare Decke und dachte an vielerlei, während Guido über ihr atmete. Seitlich, durch die Scheiben, sah man in der Ferne Lichter. Der Geruch nach Wein und heißem Atem erinnerte sie an Guidos Heimatdorf. Dann überlegte sie, ob Guido ihr schmächtiger Körper wirklich gefiel oder ob er nicht eigentlich Amelia vorgezogen hätte, braun und schön. Guido hatte sie überall geküsst, ohne zu sprechen.

      Dann merkte sie, dass Guido schlief, und es schien ihr unmöglich, dass man so umschlungen schlafen könne, deshalb rückte sie vorsichtig von ihm ab und fand einen kühlen Platz, der sie aber unruhig machte, weil sie spürte, dass sie nackt war und allein. Wieder überfielen sie Ekel und Qual, wie damals als Kind, wenn sie sich wusch. Und sie fragte sich, warum Guido mit ihr schlief, und dachte an morgen, dachte an all die Tage, die sie gewartet hatte, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie leise weinte, damit Guido sie nicht hörte.

      Im Dunkeln zogen sie sich wieder an, und Ginia fragte plötzlich, wer dieses Modell sei.

      »Sie ist ein armes Ding, der man erzählt hat, dass ich zurück bin.«

      »Ist sie schön?«, fragte Ginia.

      »Hast du das nicht gesehen?«

      »Aber wie kann man bei dieser Kälte Modell stehen?«

      »Ihr Mädchen friert doch nicht«, sagte Guido, »ihr seid dafür geschaffen, nackt zu sein.«

      »Ich könnte das nicht aushalten«, sagte Ginia.

      »Heute Abend hast du es ausgehalten.«

      Im Licht blickte Guido sie lächelnd an. »Zufrieden?«, fragte er sie. Sie setzten sich nebeneinander aufs Sofa, und Ginia lehnte den Kopf an seine Schulter, um ihm nicht in die Augen schauen zu müssen. »Ich habe solche Angst«, sagte sie, »dass du mich nicht lieb hast.«

      Dann machten sie Tee, und Guido blieb sitzen und rauchte,


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