Der schöne Sommer. Cesare Pavese

Der schöne Sommer - Cesare Pavese


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Ginia lauschte auf das Rattern der Straßenbahn.

      Als sie zu Hause allein war, begann sie sich besser zu fühlen, weil sie niemandes Blicke mehr auf sich spürte. Sie setzte sich aufs Bett und schaute eine Stunde lang auf den Boden. Dann zog sie sich rasch aus, schlüpfte unter die Decke und löschte das Licht.

      Am nächsten Tag schien die Sonne, und während Ginia sich ankleidete, kam es ihr vor, als sei sie krank gewesen. Sie dachte, dass Guido schon seit drei Stunden auf den Beinen war, lächelte sich im Spiegel zu und gab sich einen Kuss. Dann verließ sie das Haus, bevor Severino zurückkehrte.

      Sie staunte, dass sie ging wie immer und Hunger hatte, und dachte nur eines: dass sie Guido von nun an ohne die beiden anderen treffen wollte. Doch Guido hatte ihr nur gesagt, sie solle ins Atelier kommen; von Verabredungen außerhalb war nicht die Rede gewesen. »Ich muss ihn ganz arg lieb haben«, dachte Ginia, »sonst geht es mir schlecht.« Plötzlich war der Sommer zurückgekehrt und damit die Lust, auszugehen, zu lachen und zu feiern. Sie konnte kaum glauben, was geschehen war. Bei dem Gedanken, dass sie im Dunkeln auch Amelia hätte sein können und es für Guido gleich gewesen wäre, musste sie lachen. »Ich gefalle ihm eben so, wie ich bin, wie ich rede, wie ich schaue; ich gefalle ihm als Freundin, er liebt mich. Er hat nicht geglaubt, dass ich siebzehn bin, er hat mich auf die Augen geküsst; ich bin wirklich eine Frau.«

      Jetzt war es schön, den ganzen Tag zu arbeiten und dabei an das Atelier zu denken und auf den Abend zu warten. »Ich bin mehr als ein Modell«, sagte sich Ginia, »wir sind Freunde.« Amelia tat ihr leid, weil sie gar nicht begriff, was an Guidos Bildern so schön war. Doch um zwei, als Amelia sie abholte, wollte Ginia sie etwas fragen und wusste nicht wie. Guido direkt zu fragen, traute sie sich nicht.

      »Hast du schon jemanden gesehen?«, fragte sie sie.

      Amelia zuckte die Achseln.

      »Gestern, als du das Licht ausgemacht hast, ist mir schwindlig geworden, ich glaube, ich habe geschrien. Hast du mich schreien gehört?«

      Amelia sah sie sehr ernst an. »Ich habe das Licht nicht ausgemacht«, sagte sie langsam, »ich weiß nur, dass du verschwunden bist. Es klang, als würde Guido dich abschlachten. Hat es wenigstens Spaß gemacht?«

      Ginia schnitt eine Grimasse und blickte geradeaus vor sich hin. Sie gingen noch zu Fuß bis zur nächsten Haltestelle.

      »Liebst du Rodrigues?«, fragte Ginia.

      Amelia seufzte und sagte dann: »Keine Angst. Blonde Männer gefallen mir nicht. Höchstens blonde Frauen.«

      Da lächelte Ginia und sagte nichts mehr. Sie war froh, so neben Amelia herzugehen und zu wissen, dass sie sich verstanden. Friedlich trennten sie sich unter den Arkaden, und Ginia sah ihr an der Ecke nach und fragte sich, ob sie wohl zu jener Malerin Modell stehen ging.

      Sie dagegen kehrte um sieben Uhr zum Atelier zurück und stieg die fünf Stockwerke hinauf, langsam, um nicht rot zu werden. Sie machte langsam, nahm aber immer zwei Stufen auf einmal. Auch falls Guido nicht da war, dachte sie dabei, war es doch nicht seine Schuld. Aber die Tür stand offen. Guido hörte ihre Schritte und kam ihr auf dem Flur entgegen. Jetzt war Ginia wirklich glücklich.

      Sie hätte sich gern mit ihm unterhalten und ihm viele Dinge gesagt, aber Guido schloss die Tür und umarmte sie als Erstes. Durch die Scheiben fiel noch ein wenig Licht, und Ginia verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter. Durch das Hemd spürte sie die Wärme seiner Haut. Sie setzten sich aufs Sofa, und Ginia weinte, ohne zu sprechen.

      Weinend dachte sie: »Wenn Guido doch auch weinte«, und fühlte einen glühenden Stich im Herzen, der ihren ganzen Körper schier zum Schmelzen brachte – ihr war, als würde sie ohnmächtig. Aber auf einmal fehlte ihr der Halt; sie merkte, dass Guido sich erhob, und öffnete die Augen. Guido stand vor ihr und betrachtete sie neugierig. Da hörte sie zu weinen auf, denn ihr schien, als weinte sie in der Öffentlichkeit. Unter diesem Blick spürte Ginia, die kaum etwas sah, wie ihr erneut die Tränen in die Augen traten. »He«, sagte Guido wie zum Scherz, »man kommt für so kurze Zeit auf die Welt, da braucht man doch nicht zu weinen.«

      »Ich habe geweint, weil ich froh bin«, sagte Ginia leise.

      »Dann ist es gut«, erwiderte Guido, »aber sag es das nächste Mal bitte gleich.«

      So verging diese halbe Stunde, in der Ginia ihn so viel fragen wollte, nach Amelia, nach ihm, nach seinen Bildern, was er am Abend machte und ob er sie lieb hatte, ohne dass sie den Mut dazu fand. Sie erreichte nur, dass sie hinter den Vorhang gingen, weil ihr bei Licht schien, alle sähen ihnen zu. Hier, während sie sich küssten, sagte Ginia ihm leise, gestern habe er ihr so wehgetan, dass sie hätte schreien mögen, und da wurde Guido zärtlicher, machte ihr Mut und streichelte sie lange und flüsterte ihr ins Ohr: »Du wirst sehen, das geht vorbei. Tu ich dir weh?« Dann, während sie in dem bisschen Wärme lagen und sich aneinanderschmiegten, erklärte er ihr viele Dinge und sagte, auf ein Mädchen wie sie nehme er Rücksicht, da könne sie sicher sein. Daraufhin ergriff Ginia im Dunkeln seine Hand und küsste sie.

      Jetzt, nachdem sie wusste, dass Guido so lieb war, wurde sie mutiger und sagte ihm, den Kopf an seine Schulter gelehnt, dass sie ihn immer allein sehen wolle, denn mit ihm gehe es ihr gut, mit den anderen aber nicht. »Abends kommt Rodrigues zum Schlafen«, sagte Guido, »du wirst doch nicht wollen, dass ich ihn an die Luft setze. Hier wird gearbeitet, weißt du?« Doch Ginia antwortete ihm, ihr genüge eine Stunde, ein Augenblick, denn auch sie arbeite, und sie werde jeden Abend um diese Zeit vorbeischauen, wolle ihn aber allein antreffen. »Kommt Rodrigues auch noch, wenn du den Militärdienst hinter dir hast?«, fragte sie. »Ich würde dich so gern malen sehen, aber wenn niemand dabei ist.« Dann sagte sie ihm, nur unter dieser Bedingung würde sie ihm Modell stehen. Sie lagen im Dunkeln, und Ginia merkte nicht, dass es Nacht wurde. An diesem Abend musste Severino mit leerem Magen zur Arbeit gehen, aber es war nicht das erste Mal, und er hatte sich nie darüber beklagt. Ginia verließ das Atelier erst, als Rodrigues kam.

      In diesen letzten Tagen vor seiner Entlassung verbrachte Guido die Abende damit, Leinwände zu grundieren und trocknen zu lassen, die Staffelei zu richten und alles wieder zu ordnen. Er ging nie aus. Es schien beschlossen, dass Rodrigues noch weiter bei ihm wohnen sollte. Aber Rodrigues verstand sich nur darauf, alles durcheinanderzuwerfen und ein Gespräch anzufangen, wenn Guido in Eile war. Ginia hätte Guido so gern beim Putzen und Aufräumen des Ateliers geholfen, doch als sie Rodrigues sah, begriff sie, dass sie die beiden nur gestört hätte, und traf sich lieber wieder mit Amelia. Sie gingen zusammen ins Kino, denn alle beide verbargen etwas in ihren Gedanken, und es war nicht leicht, den Abend im Gespräch zu verbringen. Man merkte, dass Amelia um etwas herumredete, denn sie riss spöttische Witze über blonde Frauen und blonde Männer. Doch jetzt mochte Ginia sie, und sie war nicht fähig, ein Gefühl zu verbergen. Auf dem Heimweg sprach sie mit ihr.

      Sie fragte sie, ob sie sich mit jener Malerin geeinigt habe. Amelia tat überrascht und sagte, sie solle nicht mehr davon reden. »Aber nein«, sagte Ginia, »was willst du? Ich habe noch nie Modell gestanden, aber es tut mir leid, dass du diese Arbeit verloren hast.« – »Jetzt hör schon auf«, sagte Amelia, »du hast dich in diesen Tagen verliebt und pfeifst auf alle anderen. Recht hast du. Aber an deiner Stelle würde ich aufpassen.« – »Warum?«, fragte Ginia.

      »Was meint Severino dazu? Gefällt ihm der Schwager?«, sagte Amelia lachend.

      »Warum soll ich aufpassen?«, fragte Ginia.

      »Du spannst mir meinen schönen Maler aus und fragst noch?«

      Da spürte Ginia, wie ihr Herz einen Satz machte, und im Weitergehen fühlte sie Amelias Blick auf sich ruhen.

      »Hast du für Guido Modell gestanden?«, fragte sie.

      Amelia hakte sich bei ihr ein und sagte: »Ich habe nur Spaß gemacht.« Dann, nach einer Pause: »Ist es nicht schöner, wenn wir zwei zusammen bummeln gehen – wir sind Frauen und wissen es –, anstatt uns die Laune verderben zu lassen von ungezogenen Kerlen, die keine Ahnung haben, was ein Mädchen ist, und der erstbesten nachsteigen, die ihnen begegnet?«

      »Aber du gehst doch mit Rodrigues«, sagte Ginia.

      Amelia zuckte


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