Der schöne Sommer. Cesare Pavese
missmutig, mit verärgertem Gesicht. Er grüßte Amelia mit einem Heben des Kinns, dann kehrte er um und begann, mit ihnen zu plaudern, und Ginia hatte ihn noch nie so ritterlich erlebt. Er sagte sogar ein paar Worte über Amelias Schleier. Um sie zum Lachen zu bringen, erzählte er ihnen den Film, und Amelia lachte, aber nicht wie im Café, wenn die Kellner etwas zu ihr sagten: Sie lachte mit geöffneten Lippen und ließ die Zähne sehen, wie man es unter Mädchen macht und wie sie es schon lange nicht mehr machte. Ihre Stimme klang recht rau: Das muss vom Rauchen kommen, dachte Ginia. Severino ging mit ihnen in die Bar und spendierte beiden einen Kaffee und sagte zu Amelia, sie sollten sich einmal für einen Sonntag verabreden. »Zum Tanzen?« – »Sicher.« – »Dann kommt Ginia auch mit«, sagte Amelia. Ginia kicherte.
Sie begleiteten Amelia bis vor die Haustür, und als die Tür zufiel, gingen sie zusammen heim. »Guido ist fast so alt wie Severino«, dachte Ginia, »er könnte mein Bruder sein.« – »Wie seltsam das Leben ist«, dachte sie, »Guido, den ich gar nicht kenne, würde sich bei mir einhaken, wir würden an den Ecken stehenbleiben, er würde mir sagen, dass ich eine Frau bin, und wir würden uns ansehen. Für ihn bin ich Ginetta. Man muss sich nicht kennen, um sich zu mögen.« Und nachdenklich trottete sie neben Severino her, kam sich dabei vor, als sei sie noch ein Kind, und fragte ihn auf einmal, ob ihm Amelia gefalle, merkte aber, dass sie etwas gesagt hatte, was er nicht erwartete.
»Was macht sie tagsüber?«, erwiderte Severino.
»Sie steht Modell.«
Severino begriff nicht, denn er fing an zu erklären, wie gut sie die Kleider zur Geltung bringe, und daraufhin wechselte Ginia das Thema und fragte ihn, ob es schon Mitternacht sei.
»Gib acht«, sagte Severino, »Amelia ist auf Draht, und du wirkst neben ihr wie ein dummes Ding.«
Ginia sagte ihm, sie sähen sich nur selten, und Severino schwieg, dann zündete er sich im Gehen eine Zigarette an, und sie kamen vor der Haustür an, als sei jeder für sich allein.
Ginia schlief in jener Nacht wenig, und die Decken lasteten schwer auf ihr, aber sie malte sich viele Dinge aus, die immer überspannter wurden, je mehr die Zeit verging. Sie stellte sich vor, dass sie allein in dem zerwühlten Bett in jenem Winkel des Ateliers läge und hörte, wie Guido sich auf der anderen Seite des Vorhangs bewegte, dass sie mit ihm zusammenlebte, ihn küsste und für ihn kochte. Wer weiß, wo Guido zu essen pflegte, als er noch nicht Soldat war. Dann dachte sie, dass sie nie geglaubt hätte, sie könne sich mit einem Soldaten befreunden, aber in Zivil war Guido bestimmt ein sehr schöner Mann, so blond und stark, und sie versuchte, sich an seine Stimme zu erinnern, die sie schon vergessen hatte, während ihr die von Rodrigues noch genau im Ohr klang. Sie musste ihn wiedersehen, und sei es auch nur, um ihn reden zu hören. Je länger sie darüber nachdachte, umso weniger begriff sie, warum Amelia sich mit Rodrigues eingelassen hatte anstatt mit ihm. Sie war froh, dass sie nicht wusste, was Amelia und Guido miteinander gemacht hatten zu der Zeit, als sie die Gläser zerschlugen.
Als der Wecker klingelte, schlief sie nicht und dachte in der wohligen Wärme des Bettes an viele Dinge. Beim ersten Licht bedauerte sie, dass nun schon Winter war und man nicht mehr in der Sonne die schönen Farben sehen konnte. Wer weiß, ob Guido auch daran dachte, da er doch behauptete, die Farben seien alles. »Wie schön«, sagte Ginia und stand auf.
IX.
Am nächsten Tag um die Mittagszeit erschien Amelia bei ihr zu Hause, aber da sie gerade mit Severino bei Tisch saß, plauderten sie nur über Belanglosigkeiten. Als sie auf der Straße standen, sagte Amelia zu ihr, sie sei an diesem Morgen bei einer Malerin gewesen, die Arbeit für sie hätte. Warum Ginia nicht mitkomme. Diese blöde Kuh wolle ein Bild von zwei Frauen malen, die sich umarmten, und so könnten sie gemeinsam Modell stehen. »Warum malt sie sich nicht selber vor dem Spiegel?«, erwiderte Ginia. »Soll sie sich zum Malen etwa nackt ausziehen?«, fragte Amelia lachend.
Ginia antwortete, sie könne die Schneiderei nicht verlassen, wie es ihr passe.
»Aber die bezahlt uns, weißt du?«, sagte Amelia. »Es ist ein Bild, für das sie lange brauchen wird. Wenn du nicht mitkommst, nimmt sie mich auch nicht.«
»Genügst du ihr allein nicht?«
»Sie will zwei Frauen darstellen, die miteinander ringen, verstehst du. Es müssen zwei sein. Es wird ein großes Bild. Wir brauchen uns nur hinzustellen, als tanzten wir.«
»Ich will nicht Modell stehen«, sagte Ginia.
»Wovor hast du Angst? Sie ist doch auch eine Frau.«
»Ich will nicht.«
Sie diskutierten bis zur Straßenbahn, und Amelia fing an, sie zu fragen, was sie eigentlich unter den Kleidern zu haben glaube, dass sie es hüten müsse wie das Allerheiligste. Sie sprach wütend, ohne Ginia anzusehen. Ginia antwortete nicht. Doch als Amelia zu ihr sagte, für Barbetta hätte sie bestimmt eingewilligt, sich auszuziehen, lachte Ginia ihr ins Gesicht.
Sie trennten sich so zerstritten, dass klar war, dass Amelia ihr nicht verzeihen würde. Aber Ginia, die anfangs die Achseln zuckte, bekam auf einmal Angst bei der Vorstellung, Amelia könne sie vor Guido und Rodrigues bloßstellen, und sie war nicht sicher, ob Guido nicht so leichtgläubig wäre, sie auch auszulachen. »Für ihn würde ich Modell stehen, wenn er es wollte«, dachte sie. Aber sie wusste genau, dass Amelia besser gebaut war als sie und dass ein Maler sie vorziehen musste. Amelia war mehr Frau.
Später ging sie auf einen Sprung im Atelier vorbei, um Amelia zuvorzukommen. Es war um die Zeit, zu der auch Guido, wie er ihr gesagt hatte, immer dort war. Sie fand die Tür verschlossen. Ihr fiel ein, dass Guido mit den anderen beiden im Café sitzen könnte. Sie ging am Café vorbei und schaute kurz durch die Scheiben, sah aber nur Amelia, die das Kinn auf die Faust stützte und rauchte. »Die Ärmste«, dachte sie, während sie nach Hause ging.
Nach dem Abendessen sah sie von der Straße aus Licht im Atelier und lief zufrieden hinauf; aber Guido war nicht da. Rodrigues öffnete ihr, ließ sie eintreten und sagte, sie müsse entschuldigen, doch er habe Hunger und esse gerade. Er aß Salami von einem Stück Papier, im Stehen an den Tisch gelehnt, in dem gleichen melancholischen Licht wie beim ersten Mal. Wie ein Junge biss er ins Brot, und wäre seine Gesichtshaut nicht so dunkel und sein Blick nicht so falsch gewesen, hätte Ginia ihn vielleicht sogar aufgezogen. Er fragte sie, ob sie etwas wolle, aber Ginia erkundigte sich nur nach Guido.
»Wenn er nicht kommt, hat er Ausgangssperre«, antwortete Rodrigues. »Dann muss er in der Kaserne bleiben.«
»Ich gehe wieder«, dachte Ginia, wagte es aber nicht zu sagen, weil Rodrigues sie mit diesen Augen anstarrte und sonst gemerkt hätte, dass sie nur Guidos wegen gekommen war. Unentschlossen betrachtete sie das Zimmer, das in diesem Licht wirklich armselig wirkte, und die auf dem Boden herumliegenden Papiertüten und Zigarettenstummel und fragte Rodrigues, ob er jemanden erwarte.
»Ja«, sagte Rodrigues und hörte auf zu kauen.
Nicht einmal da war Ginia fähig zu gehen. Sie fragte ihn, ob er Amelia gesehen habe.
»Ihr lauft ja ständig hintereinanderher«, sagte Rodrigues und sah sie an. »Warum eigentlich? Ihr seid doch beide Frauen.«
»Warum?«, fragte Ginia zurück.
Rodrigues grinste höhnisch. »Warum? Das müsst ihr doch selber wissen. Aus Intuition. Macht man das nicht so unter Frauen?«
Da kämpfte Ginia einen Augenblick mit sich und sagte: »Hat Amelia mich gesucht?«
»Nicht nur das«, sagte Rodrigues. »Sie will dich sprechen.«
Der Vorhang hinten im Zimmer öffnete sich, und heraus trat Amelia. Ungestüm kam sie näher, und Rodrigues biss in sein Brot und lief dabei um den Tisch, als spielten sie Fangen. Amelia trug keinen Hut und blieb wütend, wie sie zu sein schien, lachend mitten im Raum stehen. Aber ihr Lachen klang ungut. Sie sagte: »Wir wussten nicht, dass du es bist.«
»Ah, ihr wart gerade beim Abendessen«, sagte Ginia trocken.
»Ein kleines intimes Essen«, sagte Rodrigues. »Aber zu dritt wird es