Der schöne Sommer. Cesare Pavese

Der schöne Sommer - Cesare Pavese


Скачать книгу
hatte immer geglaubt, ins Café ginge man, um sich mit einem Mann zu treffen, als Paar, und sie konnte es kaum fassen, dass Amelia die Nachmittage allein dort verbrachte, fand es aber so schön, auf dem Heimweg von der Schneiderei durch die Bogengänge zu schlendern und dabei ein Ziel zu haben, dass sie am nächsten Tag gleich wieder hinging. Wäre sie nur ganz sicher gewesen, dass Amelia sie gerne sah, hätte sie sich prächtig amüsiert. Diesmal bemerkte Amelia sie durch die Scheibe, machte ihr ein Zeichen und kam heraus. Gemeinsam stiegen sie in die Straßenbahn.

      An diesem Abend redete Amelia nicht viel. »Es gibt doch richtige Flegel«, sagte sie nur. »Hast du auf jemanden gewartet?«, fragte Ginia.

      Bevor sie sich trennten, plauderten sie noch ein wenig und verabredeten sich für den nächsten Tag, sodass Ginia zu der Überzeugung kam, Amelia sehe sie gerne, und wenn sie etwas in die falsche Kehle bekommen hatte, gab es andere Gründe dafür, vielleicht irgendeine hässliche Begegnung.

      »Wie geht das eigentlich? Kommt ein Maler zu dir und fragt, ob du ihm Modell stehen willst?«, fragte sie lachend.

      »Es gibt auch solche, die gar nichts sagen«, erklärte Amelia ihr. »Die wollen keine Modelle.«

      »Und was malen sie dann?«, sagte Ginia.

      »Weißt du es? Da ist einer, der erzählt, dass er so malt, wie wir Lippenstift benutzen. ›Was malst du denn, wenn du Lippenstift benutzt? Genau so male ich.‹«

      »Aber mit Lippenstift malt man sich die Lippen an.«

      »Und er malt die Leinwand an. Ciao, Ginia.«

      Machte Amelia solche Scherze, ohne zu lachen, fürchtete Ginia, es werde etwas geschehen, war enttäuscht und fühlte sich allein, während sie heimging. Zum Glück musste sie zu Hause schnellstens die Pasta für Severino kochen, und nach dem Essen sah alles schon anders aus, weil es Nacht wurde und Zeit, allein oder mit Rosa auszugehen. Manchmal dachte sie: »Was für ein Leben führe ich eigentlich. Keine Sekunde kann ich verschnaufen.« Aber dieses Leben gefiel ihr, denn nur so war es schön, nachmittags oder auch abends, wenn sie im Café bei Amelia vorbeiging, einen Augenblick Frieden zu finden und sich auszuruhen. Hätte sie Amelia nicht gehabt, wäre sie freier gewesen, aber wozu, jetzt, da das Wetter sich verschlechterte und es keinen Spaß mehr machte, die Straße zu überqueren? Falls in diesem Winter etwas geschehen sollte – Ginia spürte es –, so würde Amelia den Anstoß geben und nicht Dummköpfe wie Rosa oder Clara.

      Im Café begann sie Bekanntschaften zu machen. Es gab einen Herrn, der Barbetta ähnelte und Amelia zuwinkte, wenn sie gingen. Er siezte sie, und Amelia sagte zu Ginia, er sei kein Maler. Ein hochgewachsener junger Mann, der vor den Arkaden mit dem Auto anhielt und eine sehr elegante Signora dabeihatte, kam manchmal an den Tresen, und Amelia kannte ihn nicht, sagte aber, er sei kein Maler. »So viele sind es nicht, was glaubst du denn«, sagte sie zu Ginia. »Wer wirklich arbeitet, geht nicht ins Café.« Alles in allem kannte Amelia die Kellner besser als die Gäste, aber Ginia, die sich durchaus amüsierte, wenn sie sie scherzen hörte, achtete darauf, niemandem zu viele Vertraulichkeiten zu gestatten. Einer, der oft bei Amelia saß und Ginia das erste Mal gegrüßt hatte, ohne sie überhaupt anzuschauen, war ein behaarter junger Mann mit weißer Krawatte und tiefschwarzen Augen, der Rodrigues hieß. In der Tat wirkte er nicht wie ein Italiener und sprach kehlig, und Amelia behandelte ihn wie einen Jungen und sagte zu ihm, wenn er diese Lira gespart hätte, anstatt sie im Café auszugeben, hätte er in zehn Tagen ein Modell bezahlen können. Ginia hörte belustigt zu, aber der junge Mann mit der unsicheren Stimme fing wieder an, Amelia bald wie eine schöne Frau, bald wie ein launisches Kind zu behandeln. Sie lachte, aber manchmal wurde sie ärgerlich und sagte, er solle verschwinden. Dann wechselte Rodrigues den Tisch, zog einen Bleistift heraus und begann zu schreiben, während er sie beide schief ansah. »Achte nicht auf ihn«, sagte Amelia, »er würde es genießen.« Nach und nach gewöhnte sich auch Ginia an, ihn links liegen zu lassen.

      Eines Abends gingen sie ohne ein bestimmtes Ziel zusammen aus. Sie bummelten ein wenig, dann begann es zu regnen, und sie suchten Schutz in einem Hauseingang. Es war kalt, vor allem wenn man mit nassen Strümpfen herumstand. Amelia hatte gesagt: »Wenn Guido zu Hause ist, könnten wir zu ihm gehen, willst du?« – »Wer ist Guido?« Amelia hatte die Nase vorgestreckt und den Hals verrenkt, um zu den Fenstern am Haus gegenüber hinaufzuspähen. »Es brennt Licht; gehen wir, dann sind wir im Trockenen.« Sie waren mindestens sechs Stockwerke hinaufgestiegen und beim Dachgeschoss angelangt, als Amelia keuchend stehenblieb und sagte: »Hast du Angst?«

      »Wieso Angst?«, fragte Ginia. »Kennst du ihn nicht?«

      Als sie an die Tür klopften, hörten sie Gelächter im Zimmer, ein halblautes, unangenehmes Lachen, das Ginia an Rodrigues erinnerte. Sie hörten Schritte, die Tür öffnete sich, aber man sah niemanden. »Dürfen wir reinkommen?«, fragte Amelia, indem sie eintrat.

      Auf einem Sofa an der Wand, unter einem grellen Licht, lümmelte tatsächlich Rodrigues. Aber daneben stand noch einer, ein Soldat in Hemdsärmeln, blond und verdreckt, der sie lachend ansah. Ginia kniff die Augen zusammen in dem Licht, es schien eine Karbidlampe zu sein. Kleine Bilder und Vorhänge bedeckten drei Wände; die vierte bestand nur aus Fenster.

      Halb ernst, halb lachend sagte Amelia zu Rodrigues: »Sie sind wohl überall?« Er winkte ihr zu und brummte: »Die zweite heißt Ginia, Guido.« Da reichte der Soldat auch ihr die Hand, während er sie unverschämt lächelnd musterte.

      Ginia begriff, dass sie sich ganz unbefangen geben musste, und begann, über Amelias und Guidos Köpfe hinweg die Bilder an den Wänden zu betrachten. Es schienen Landschaften mit Bäumen und Bergen zu sein, und dazwischen erkannte sie undeutlich einige Porträts. Aber die Lampe, wie in noch nicht ganz fertigen Wohnungen ohne Schirm aufgehängt, blendete, ohne Licht zu geben. Ginia sah aber doch, dass es hier nicht so viele Vorhänge gab wie bei Barbetta, sondern nur einen – einen langen roten –, der das Zimmer hinten abschloss, und sie begriff, dass es dahinter noch einen Raum geben musste.

      Guido fragte, ob sie etwas trinken wollten. Auf dem großen Tisch in der Mitte des Zimmers standen Gläser und eine Flasche. »Wir sind gekommen, um uns aufzuwärmen«, sagte Amelia. »Wir sind nass bis zu den Knien.« Guido schenkte ein – einen dunklen Rotwein –, und Amelia brachte Rodrigues, der sich aufsetzte, ein Glas. Während sie tranken, sagte Amelia zu ihm: »Es tut mir leid für Guido, aber Sie stehen jetzt auf und überlassen mir das Bett, damit ich mir die Beine wärmen kann. Die Betten sind für die Frauen. Komm auch her, Ginia.« Doch Ginia wollte nicht, sie sagte, der Wein habe sie schon gewärmt, und setzte sich auf einen Stuhl. Da streifte Amelia die Schuhe ab, zog sich die Jacke aus und schlüpfte unter die Decke. Rodrigues blieb auf dem Sofarand sitzen.

      »Redet ruhig weiter«, sagte Amelia. »Mich stört nur das Licht.« Damit streckte sie den Arm zur Wand und knipste es aus. »So, das hätten wir. Gebt mir eine Zigarette.«

      Ginia saß entsetzt im Dunkeln. Aber sie merkte, dass Guido zum Sofa gegangen war, und hörte, wie er das Zündholz anstrich, und sah die beiden Gesichter in der Flamme zwischen tanzenden Schatten. Dann wurde es wieder dunkel, und einen Moment lang rührte sich niemand. Man hörte den Regen an die Fensterscheiben prasseln.

      Jemand sagte etwas, aber Ginia, die immer noch verstört war, erfasste die Worte nicht. Sie merkte, dass auch Guido rauchte, während er ruhig im Dunkeln auf und ab wanderte. Sie sah die Zigarettenglut und hörte die Schritte. Dann begriff sie, dass Amelia und Rodrigues wieder angefangen hatten zu streiten. Doch erst, als sie sich allmählich an die Dunkelheit gewöhnt hatte und den Tisch, die Schatten der anderen und sogar einige Bilder an der Wand zu unterscheiden begann, wurde sie ruhiger. Amelia sprach mit Guido über früher, als sie einmal krank hier auf dem Sofa geschlafen hatte. »Aber damals hattest du noch nicht diesen Partner«, sagte sie, »was machst du mit ihm? Ziehst du ihn nackt aus?«

      Alles war so seltsam, dass Ginia sagte: »Man kommt sich vor wie im Kino.«

      »Aber hier kostet es keinen Eintritt«, erwiderte Rodrigues aus seiner Ecke.

      Guido ging immer noch auf und ab, quer durch das ganze Zimmer, und brachte mit seinen Stiefeln den dünnen Boden zum Schwingen. Sie redeten alle durcheinander, doch plötzlich merkte Ginia, dass Amelia schwieg –


Скачать книгу