Der schöne Sommer. Cesare Pavese
hatte, denn nun wusste sie, was Männer verliebt macht. »Das sind die Dinge, auf die Amelia sich gut versteht«, dachte sie, »aber um so weit zu kommen, hat sie sich wegwerfen müssen.«
Sie traf Amelia und Rodrigues zusammen im Café. Kaum eingetreten, fürchtete sie, dass die beiden alles wüssten, weil Amelia sie sonderbar ansah, aber schon einen Augenblick später war Ginia beruhigt und tat, als sei sie müde und gereizt, während sie, an Guidos Stimme denkend, Rodrigues die üblichen Dummheiten sagen hörte. Jetzt begriff sie vieles: warum Rodrigues sich beim Sprechen über Amelia beugte, warum er die Augen schloss wie eine Katze, warum Amelia sich mit ihm einließ. »Sie hat die gleichen Gelüste wie ein Mann«, dachte sie, »Amelia ist schlimmer als Guido.« Und sie musste lachen, wie man allein vor sich hin lacht.
Am nächsten Tag kehrte sie ins Atelier zurück. Morgens in der Schneiderei hatte Signora Bice trocken bemerkt, sie könnten am Nachmittag zu Hause bleiben, weil Feiertag sei. Zu Hause traf sie Severino, der gerade das Hemd wechselte für den Aufmarsch. Es war ein patriotisches Fest, überall war geflaggt, und Ginia fragte ihn: »Ob sie den Soldaten wohl Ausgang geben?« – »Sie sollten mich lieber schlafen lassen«, sagte Severino. Aber Ginia war glücklich und wartete nicht, bis Amelia oder Rosa sie abholte, sondern lief allein los. Unten im Hauseingang des Ateliers bereute sie dann, dass sie nicht mit Amelia hingegangen war.
Sie sagte sich: »Ich will kurz nachsehen, ob Amelia da ist«, und stieg langsam die Treppe hinauf. Sie dachte nicht wirklich, dass Amelia da sei, denn um diese Zeit pflegte sie unter den Arkaden zu sein. Aber als sie oben vor der Tür angelangt war und stehenblieb, um Atem zu holen, hörte sie Rodrigues’ Stimme.
VIII.
Die Tür stand offen, und man sah das Fenster vor dem Himmel. Rodrigues’ Stimme klang laut und eindringlich. Ginia beugte sich vor und sah Guido, der am Tisch lehnte und zuhörte.
»Darf man hereinkommen?«, fragte sie leise, aber sie hörten sie nicht. In dem graugrünen Hemd kam Guido ihr vor wie ein Arbeiter. Er richtete die Augen auf sie, ohne sie zu sehen.
»Ich suche Amelia«, sagte Ginia beinahe flüsternd.
Da schwieg Rodrigues’ Stimme, und Ginia sah, dass er auf dem Sofa saß, das Knie zwischen den Händen, und sie anschaute.
»Ist Amelia nicht da?«
»Das hier ist doch nicht das Café«, sagte Rodrigues.
Ginia blickte Guido an und blieb stehen. Sie sah, wie er die Hände hinter dem Rücken auf den Tisch stützte und ganz kleine Augen machte. »Früher kamen nicht so viele Mädchen hierher«, sagte er. »Bist du es, der sie anzieht?«
Da senkte Ginia den Kopf und merkte am Tonfall, dass er nicht böse war. »Komm herein«, sagten sie zu ihr, »sei nicht albern.«
Dieser Nachmittag war der schönste, den Ginia je erlebt hatte. Sie fürchtete nur, dass Amelia käme und ihre üblichen Bemerkungen losließe, aber die Zeit verstrich und Guido und Rodrigues diskutierten immer weiter, und ab und zu sah Guido sie lachend an und sagte, sie solle Rodrigues auch einen Dummkopf nennen. Die Diskussion drehte sich um Malerei, und Guido sprach hitzig und sagte, Farben seien eben Farben. Rodrigues hielt sein Knie umfasst, stritt hartnäckig und schwieg zwischendurch oder lachte boshaft wie ein Gockel. Worum es eigentlich ging, verstand man nicht, aber es war ein Genuss, Guido zuzuhören, wenn er etwas sagte. Er war schlagfertig, und wenn Ginia ihm in die Augen sah, stockte ihr der Atem.
Draußen auf den Dächern lag noch ein wenig Sonnenlicht, und Ginia, die am Fenster saß, wandte den Blick vom Himmel zu den beiden und sah hinten den granatroten Vorhang und dachte, wie schön es wäre, dahinter versteckt, ohne dass irgendwer davon wüsste, jemanden zu beobachten, der sich allein im Zimmer glaubte. In diesem Augenblick sagte Guido: »Es ist kalt. Gibt es noch Tee?«
»Es gibt Tee und einen Kocher. Nur das Gebäck fehlt.«
»Heute macht uns Ginetta den Tee«, sagte Guido, indem er sich umdrehte. »Der Kocher steht hinter dem Vorhang.«
»Es wäre besser, wenn sie Kekse kaufen ginge«, sagte Rodrigues.
»Von wegen«, erwiderte Ginia. »Gehen Sie selber, Sie sind ein Mann.«
Und während die beiden wieder zu reden begannen, suchte Ginia hinter dem Vorhang den Spirituskocher und die Tassen und die Teedose. Nachdem sie das Wasser aufgesetzt hatte, spülte sie am Waschbecken die Tassen, in der Dunkelheit hinter dem Vorhang, die nur das Flämmchen ein wenig erhellte. Sie hörte die beiden Stimmen im Hintergrund; ihr war, als sei sie allein in jenem Winkel, wie in einer leeren Wohnung, und als herrsche eine große Ruhe um sie her, in der sie sich sammeln und nachdenken konnte. Nur undeutlich erkannte man in jenem Licht das zerwühlte Bett in dem schmalen Raum zwischen Wand und Vorhang. Ginia stellte sich Amelia vor, wie sie darauf lag.
Als sie herauskam, merkte sie, dass die beiden Männer sie neugierig ansahen. Ginia hatte schon den Hut abgenommen, warf den Kopf zurück und nahm einen großen Teller vom Fensterbrett, der wie eine Palette ganz voller Farbflecke war. Doch Guido begriff blitzartig, stöberte zwischen den Kisten und hielt ihr einen sauberen Teller hin. Darauf stellte Ginia die noch feuchten Tassen, dann kehrte sie zu dem Kocher zurück und brühte den Tee auf.
Während sie tranken, erzählte Guido, die Tassen habe ihm ein Mädchen geschenkt, das ihn wie sie besuchen kam, um sich malen zu lassen. »Und wo ist dieses Bild?«, fragte Ginia. »Sie war doch kein Modell«, antwortete Guido lachend.
»Bleiben Sie noch lange beim Militär?«, fragte Ginia, langsam ihren Tee trinkend.
»Zu Rodrigues’ Bedauern bin ich in einem Monat fertig«, erwiderte Guido. Und dann sagte er: »Also bist du nicht mehr beleidigt?«
Ginia konnte gerade noch den Mund verziehen und leise lächelnd den Kopf schütteln.
»Dann wollen wir uns duzen«, sagte Guido.
Nach dem Abendessen zu Hause war es besonders schön. Amelia, die sie abholen kam, war ebenfalls fröhlich, »denn wenn Feiertag ist und die Leute nichts tun«, sagte sie, »bin ich glücklich«. Sie gingen zusammen spazieren und alberten herum wie zwei dumme Gören. »Wo warst du heute?«, fragte Amelia unterwegs. »Nichts Besonderes«, sagte Ginia, »gehen wir zum Tanzen auf den Hügel?« – »Es ist nicht mehr Sommer, weißt du, es ist zu matschig da oben.« Wie durch Zauberei befanden sie sich plötzlich in der Straße, in der das Atelier lag. »Ich komme nicht mit rauf«, sagte Ginia, »ich habe genug von deinen Malern.«
»Wer sagt denn, dass wir da hingehen? Heute Abend sind wir frei.« Sie kamen zur Brücke und blieben stehen, um die Kette der Lichtreflexe auf dem Wasser zu betrachten. »Ich habe Barbetta gesehen, und er hat mich nach dir gefragt«, sagte Amelia.
»Hat er es noch nicht satt, dich zu malen?«
»Ich habe ihn im Café getroffen.«
»Meinst du, er gibt mir meine Zeichnungen?«
Doch während Amelia sie ansah, dachte Ginia an etwas ganz anderes.
»Was habt ihr letztes Jahr gemacht, als du so oft bei Guido warst?«
»Was sollen wir schon gemacht haben? Man lachte und zerschlug Gläser.«
»Und dann habt ihr euch zerstritten?«
»Wie kommst du denn darauf? In einem Sommer ist er aufs Land gefahren, hat alles abgeschlossen und sich nicht mehr blicken lassen.«
»Wie hast du ihn kennengelernt?«
»Das weiß ich wirklich nicht mehr. Schließlich arbeite ich als Modell.«
Doch an diesem Abend war es unmöglich zu streiten, und während sie so am Wasser standen, war ihnen kalt geworden. Amelia hatte sich eine Zigarette angezündet und rauchte, an die steinerne Brüstung gelehnt.
»Sogar auf der Straße rauchst du?«, fragte Ginia.
»Ist das nicht das Gleiche wie im Café?«, erwiderte Amelia.
Aber sie setzten sich nicht in ein Café, weil Amelia schon genug davon hatte, die