Soziokratie 3.0 – Der Roman. Jef Cumps

Soziokratie 3.0 – Der Roman - Jef Cumps


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dir vor, heute Nacht würde dich eine Fee besuchen, ihren Zauberstab schwingen und alle deine Zweifel beseitigen«, sagt Kate lächelnd. »Wen würdest du zum Geschäftsführer machen und was würde das für HRS bedeuten?«

      »Ach, du und deine schwierigen Coaching-Fragen!«, tue ich verärgert. Aber ich bin ihr dankbar, dass sie mir helfen will. So reflektieren wir gemeinsam über meinen Treiber.

      Das Gespräch mit Kate hilft mir, zu verstehen, wie großartig es wäre, wenn alle bei HRS die Arbeit erledigen könnten, die sie lieben und am besten können – ohne versteckte Agenden oder schwerfällige Hierarchie, dafür intrinsisch motiviert und voller Energie.

      Ich beginne mir vorzustellen, wie alle bei HRS sich selbst transparent und effektiv organisieren und eine vollkommen andere Unternehmenskultur entsteht. Ich war immer davon überzeugt, dass glückliche, motivierte Menschen bessere Produkte entwickeln können. Ich sehe es jeden Tag in meinen eigenen Teams. Und seit meinem Besuch bei The Facts kann ich mir vorstellen, wie das auf Unternehmensebene funktionieren kann.

      Eine halbe Stunde später schreibe ich begeistert die Zusammenfassung meines Treibers an Bernie: »HRS ist stark gewachsen und hat als Folge davon eine Reihe von Problemen: langsame Entscheidungsfindung, versteckte Agenden, demotivierte Menschen und Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit zwischen Abteilungen. Ich möchte grundsätzlich die Art und Weise ändern, in der wir bei HRS zusammenarbeiten, sodass alle sich aktiv engagieren und gemeinsam großartige Produkte liefern.«

      Bernie antwortet sofort: »Sehr gut! Ich wäre glücklich, wenn ich dir helfen darf, auf diesen Treiber zu antworten. Bis bald!«

      »Glückwunsch«, sagt Kate, die über meine Schulter mitgelesen hat.

      »Wozu?«, sehe ich sie verwirrt an.

      »Bedeutet das nicht, dass du gerade Pauls Angebot, Geschäftsführer bei HRS zu werden, angenommen hast?«

      Ich schlucke. »Das stimmt wohl.«

      7

      DER NEUE GESCHÄFTSFÜHRER

      Es ist Mittwochnachmittag und ich warte unruhig auf Pauls Anruf. Er wollte mich anrufen, sobald die Vorstandssitzung vorbei ist.

      Als ich ihm heute morgen erzählt habe, dass ich bereit wäre, die Geschäftsführerrolle zu übernehmen, schien er sehr glücklich zu sein. Und trotz der drastischen Veränderungen, die ich vorgeschlagen hatte, versprach Paul mir, seinen Platz im Vorstand zu behalten und mich nach Kräften zu unterstützen. Da wurde mir klar, wie sehr ihn die Arbeitsweise und die Ergebnisse meiner Teams beeindruckt haben mussten. Ich frage mich, warum er dazu bisher nie etwas gesagt hat.

      Schließlich klingelt mein Telefon.

      »Hallo Paul, wie lief es?«, frage ich neugierig.

      »Angesichts der Umstände ganz gut«, antwortet Paul. »Es gab natürlich große Besorgnis wegen der verpassten Deadline. Die neue Version unseres Produktes soll deshalb so schnell wie möglich ausgeliefert werden, um unsere größten Kunden und den Markt zu beruhigen. Mit der dann folgenden Version wollen wir verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen.«

      »Klingt logisch«, sage ich.

      »Ja, aber wir wissen nicht, welche Auswirkungen die verspätete Lieferung der Version 4.0 hat«, seufzt Paul. »Hoffen wir mal, dass unsere großen Kunden sie trotz der Verspätung immer noch kaufen wollen. Ansonsten würde der Druck auf unser Unternehmen noch größer werden.«

      »Wie haben sie auf deinen Rücktritt reagiert?«, frage ich.

      »Ich habe ihnen erklärt, warum ich zurücktrete und warum ich glaube, dass jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist. Die Reaktionen waren gemischt, was auch nicht überraschend war. Niemand hatte den Eindruck, dass der Druck so groß wäre, dass ich zurücktreten müsste. Aber sie haben verstanden, dass echte Veränderungen notwendig sind und dass ein neuer Geschäftsführer dabei helfen kann. Zumindest wäre es ein Signal für die Kunden und den Markt – und für das Unternehmen selbst. Daher haben sie meinen Rücktritt akzeptiert, wenn ich noch sicherstelle, dass die aktuelle Version unseres Produktes so schnell und erfolgreich wie möglich ausgeliefert wird. Ich glaube, das ist eine gute Idee. Damit kannst du dich auf die Änderungen bei HRS konzentrieren und auf die Version 5.0.«

      »Das bedeutet …«, traue ich mich kaum zu fragen.

      »Ja, herzlichen Glückwunsch, Chris! Die wirst in Kürze neuer Geschäftsführer bei HRS. Der Vorstand hat meinem Vorschlag zugestimmt, dass du die Geschäftsführerposition übernimmst. Und sie waren sogar deinen Plänen gegenüber aufgeschlossen. Das sieht also alles gut aus.«

      Ich schlucke, glücklich und gleichzeitig angespannt.

      »Wow, danke Paul.« In dem Moment weiß ich nicht, was ich sonst noch sagen soll.

      Paul lacht und bestätigt noch mal: »Ich werde dich so weit wie möglich unterstützen, Chris. Ich habe mit dem Vorstand vereinbart, dass ich dich von der Seitenlinie aus für einige Monate unterstützen werde – das betrifft vor allem praktische Details der Geschäftsführerarbeit –, und zwar so lange, bis du es ohne mich gut hinkriegst. Und auf jeden Fall werde ich zusammen mit den Projektleitungen dafür sorgen, dass wir Version 4.0 so schnell wie möglich ausliefern. Das wird dir den Freiraum geben, um in deiner Geschwindigkeit in die neue Rolle hineinzuwachsen und die notwendigen Änderungen herbeizuführen. Ich werde im Vorstand bleiben und dich von dort aus natürlich weiter unterstützen. Was meinst du dazu?«

      »Das ist wirklich großartig, Paul«, seufze ich erleichtert und spüre, wie eine tonnenschwere Last von meinen Schultern weicht. Ich hatte mich nicht darauf gefreut, mich um die Probleme der aktuellen Version zu kümmern. »Das wird mir unglaublich helfen. Vielen Dank dafür.«

      »Gerne, Chris. Ich freue mich darauf, dich als Geschäftsführer in Aktion zu sehen. HRS braucht die Veränderungen, die du mir heute Morgen in unserem Telefonat beschrieben hast. Ich bin wirklich gespannt, was in den kommenden Monaten passieren wird.«

      8

      BERNIE MÖCHTE HELFEN

      Als ich nach der Arbeit nach Hause komme, warten Kate und Bernie mit lächelnden Gesichtern auf mich. Kate hat Bernie heimlich eingeladen, den Abend mit uns zu verbringen. Ich schenke mir ein Glas Wein ein und lasse mich neben Kate auf die Couch fallen. Wir stoßen auf meine neue Herausforderung an.

      Als wir zum Esstisch gehen, kann ich mich nicht zurückhalten, Bernie weitere Fragen zur Verwendung von S3 bei The Facts zu stellen. Er erzählt uns begeistert von temporären, aber klar definierten Rollen und Kreisen, in denen Menschen teilautonom arbeiten, um auf Organisationstreiber zu reagieren. Die Rollen und Kreise ermöglichen es ihnen, ihre eigene Strategie zu definieren und ihre Arbeit selbst zu organisieren.

      Ich lerne, dass sie bewusst auf die klassische Machthierarchie verzichtet haben. Stattdessen hat sich die Organisationsstruktur mit der Zeit dadurch entwickelt, dass die Menschen entschieden haben, wie sie auf Treiber reagieren und die Arbeit sinnvoll verteilen wollen. Ich lerne außerdem, wie alle Organisationstreiber direkt oder indirekt mit den sogenannten primären Treibern der Organisation zusammenhängen und wie der übergreifende Zweck der Organisation darin besteht, auf diesen primären Treiber zu reagieren.

      Jedes neu entstehende Problem, jede Herausforderung oder Chance, die dem Unternehmen hilft, seine Ziele besser zu erreichen, ist ein sinnvoller Treiber. Sie nennen diese Treiber Organisationstreiber und wenn jemand so einen Treiber erkennt, reagiert er selbst darauf oder leitet die Information an den passenden Kreis oder die passende Rolle weiter. Und so passt sich die Organisation kontinuierlich an das an, was notwendig ist. »Navigation nach Spannung« nennt Bernie es.

      Ich beginne zu verstehen, was Bernie bei unserem ersten Treffen meinte, wie auf diese Weise eine Organisationsstruktur entsteht, die sich selbst an die Notwendigkeiten anpasst – ohne dass machtvolle fixe Funktionen dafür notwendig wären.

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