Motorik und Wahrnehmung im Kindesalter. Henning Rosenkötter

Motorik und Wahrnehmung im Kindesalter - Henning Rosenkötter


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beim Suchen nach alternativen Lehrmethoden, auf der Suche nach Auswegen und zur Ermutigung für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Wie viel davon und wie es für Sie nutzbringend sein wird, bleibt Ihnen überlassen. Durch den theoretischen Berg von Griesbrei muss man sich auch in anderen Disziplinen futtern, um bei den herzhaften Gerichten anzukommen. Ganz wird man die Theorie jedoch nicht vermeiden können, wenn man die Erklärung für Konzepte und Therapien sucht. Hoffentlich werden Sie viel für sich mitnehmen und hoffentlich werden dann Ihre Erkenntnisse oder Widersprüche irgendwie zu mir zurückkehren, damit ich am Ende auch mehr von Pädagogik weiß. Schließlich hoffe ich gar, dass dieses Buch auch einigen medizinischen Therapeuten (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie) und Therapeuten angrenzender Berufe hilfreich sein kann.

      Henning Rosenkötter

      Anmerkung: Der besseren Lesbarkeit halber spreche ich von Pädagoginnen, pädagogischen Fachkräften und Erzieherinnen. Männliche Kollegen sind natürlich ebenfalls gemeint. Wenn ich von Pädagogen, Ärzten und Psychologen spreche, meine ich auch Pädagoginnen, Ärztinnen und Psychologinnen.

      1 Vom Gehirn und vom Neuron

      Das menschliche Gehirn besteht aus etwa 100 Milliarden Nervenzellen (Neurone), die durch etwa 100 Billionen Kontaktstellen (Synapsen) miteinander in Verbindung stehen. Unter dem Begriff Zentralnervensystem (ZNS) werden das Gehirn und das Rückenmark zusammengefasst. Als peripheres Nervensystem werden alle Anteile außerhalb des ZNS bezeichnet: vor allem die motorischen Nerven, die das Rückenmark verlassen, und die sensiblen Nerven, die vom Gewebe zum Rückenmark kommen, und auch das vegetative Nervensystem. Der Kortex, die Rinde des Großhirns, ist 2–5 mm dick und so stark gefaltet, dass seine Oberfläche 1800 Quadratzentimeter einnimmt. Diese dichte Zellschicht wird die graue Substanz genannt, während die zu- und wegführenden Nervenfasern die weiße Substanz bilden. Die Nervenfasern verbinden die Hirnzentren miteinander, oder sie verlassen das Gehirn in dichten Bündeln zum Rückenmark hin, von wo sie ihre Signale als motorische Nerven zu den Muskeln (efferente Nerven) leiten, oder dem Gehirn als sensible Nerven Informationen aus der Peripherie (afferente Nerven) bringen.

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      Den größten Raum im ZNS nimmt das Großhirn ein. Es besteht aus einer linken und einer rechten Großhirnhemisphäre. Beide sind durch ein breites Faserbündel, den Balken (Corpus callosum), miteinander verbunden. Sie werden in jeweils vier Lappen unterteilt (image Abb. 1.1): Stirnlappen (Frontallappen), Scheitellappen (Parietallappen), Schläfenlappen (Temporallappen) und Hinterhauptslappen (Okzipitallappen). Das Stirnhirn und der Scheitellappen sind durch eine tiefe Furche, die Zentralfurche (Sulcus zentralis) voneinander getrennt. Jeder Lappen hat seine eigenen Windungen und Furchen. So liegt die vordere Zentralwindung (Gyrus präzentralis) vor, die hintere Zentralwindung (Gyrus postzentralis) hinter der Zentralfurche. Die Sylvische Furche trennt den Stirnlappen vom Schläfenlappen.

      Zwischen den Großhirnhemisphären und um den dritten Hirninnenraum (Ventrikel) herum liegt das Zwischenhirn. Es besteht aus dem Thalamus, dem darunter liegenden Hypothalamus und der kleinen, hormonbildenden Hypophyse. Der Thalamus ist eine außerordentlich wichtige Sammel- und Umschaltstelle. Außer der Riechbahn werden dort alle ankommenden Informationen (sensorisch, optisch, akustisch) von der einen Nervenbahn auf mehrere andere verteilt. Solche Umschaltzentren werden im Gehirn auch häufig Kern (Nucleus) genannt. Für das Sehen und das Hören gibt es im Thalamus Umschaltstationen, die dem Thalamus wie kleine Vorwölbungen aufgesetzt sind, die so genannten Kniehöcker. Aber auch alle ausgehenden Signale wie z. B. die motorischen Befehle werden im Thalamus umgeschaltet. Der Thalamus ist daher das unter der Rinde liegende Tor zum Kortex des Großhirns. Im Hypothalamus werden wichtige unbewusste Regulationen gesteuert: der Wasserhaushalt, die Temperaturregulation, die Nahrungsaufnahme.

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      Das Mittelhirn ist ein kleiner Gehirnteil, der das Zwischenhirn und die Brücke (Pons) miteinander verbindet. Brücke und das darauf sitzende Kleinhirn (Zerebellum) bilden zusammen eine funktionelle Einheit (image Abb. 1.2). Das Kleinhirn übernimmt Aufgaben in der Feinsteuerung der Motorik und in der Seh- und Hörwahrnehmung. Seine Fältelung und seine Zellstruktur sind besonders fein differenziert und dicht. Die Oberfläche des Kleinhirns erreicht eine erstaunliche Größe: Sie entspricht 75 % der Oberfläche des Großhirns.

      Unterhalb des Zwischenhirns liegt der Hirnstamm. Dazu gehören das Mittelhirn, die Brücke und das verlängertes Rückenmark (Medulla oblongata). (Der Begriff Stammhirn bezeichnet den Hirnstamm und zusätzlich noch das Zwischenhirn.). Im Hirnstamm verlaufen nicht nur auf- und absteigende Bahnen, sondern er ist auch der Sitz zahlreicher Hirnnervenkerne. Als Hirnnerven werden diejenigen Nerven bezeichnet, die nicht aus dem Rückenmark entspringen, sondern direkt aus dem Gehirn kommen. Sie verlassen den knöchernen Schutz des Gehirns an verschiedenen Stellen des Schädels und versorgen überwiegend die Organe des Kopfes. Die Hirnnervenkerne III, IV und VI steuern die Bewegungen der Augäpfel, der Hirnnervenkern VII (Fazalisnerv) ist für die Steuerung der Mimik wichtig und der VIII. Hirnnerv sammelt die Informationen vom Innenohr und vom Gleichgewichtsorgan. Nur der X. Nerv, der sogenannte Vagusnerv, zieht eine längere Bahn: Er ist ein Hauptnerv des vegetativen Nervensystems und steuert die Tätigkeit vieler innerer Organe.

      Abbildung 1.3 zeigt die Mitte des Gehirns in einer mittleren Schnittebene, gewonnen mit einer Untersuchung, die Kernspintomographie oder Magnetresonanztomographie (MRT) genannt wird. Das MRT ist ein bildgebendes Verfahren, das eine Darstellung der Struktur des Gewebes erlaubt. Das Bild zeigt auch die Gürtelwindung (Gyrus cinguli) oberhalb des Balkens, die zum limbischen System gehört (image Abb. 1.3).

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      Ein anderes wichtiges Kernsystem befindet sich im Hirnstamm: die Formatio retikularis. Der Name (»netzartige Bildung«) rührt aus der diffus und maschenartig miteinander verbundenen Struktur, die wie ein Netz von vielen Kerngebieten wirkt und Anschluss an den Thalamus und an das Rückenmark hat. Die Formatio retikularis ist für zahlreiche unbewusste Funktionen verantwortlich: Kreislauf und Atemzentrum, Brechzentrum, Schmerz, Emotionen, Harnblasensteuerung, Anteile der Bewegungssteuerung und über den Nucleus accumbens und den Nucleus ruber Anteile der Aufmerksamkeitssteuerung.

      Nach diesem Blick auf das Gehirn von außen wenden wir uns nun der Feinstruktur des ZNS zu. Beginnen wir mit der Funktion der Nervenzellen, den Neuronen (image Abb. 1.4). Sie erfassen und verarbeiten alle Informationen, die das Gehirn erhält, und sie können gleichzeitig senden und empfangen. Das eingehende Signal kommt entweder über ankommende (afferente) Nervenfasern anderer Neurone oder durch eigene Fasern, die Dendriten. Die Verbindungsstellen (Synapsen) mit anderen Nervenzellen kontaktieren mit ihnen direkt am Zellkörper oder über Synapsen, die auf den Dendriten liegen. Bei manchen Nervenzellen gibt es eine besonders starke und lange auslaufende Faser: das Axon. Eine Erregung im Neuron wandert besonders schnell über das Axon, weil es über Abschnitte verfügt, die Markscheiden genannt werden. Diese Markscheiden-Abschnitte haben Verengungen und Einschnürungen, die Schnürringe.

      Markscheiden bestehen aus Myelin-Lamellen, die von speziellen Zellen gebildet werden und


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