Lou Reed - Transformer. Victor Bockris

Lou Reed - Transformer - Victor Bockris


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an seine Fersen geheftet hatten, eher amüsant als anstrengend. Er unterhielt seine Freunde gern mit Geschichten darüber, wie er, gewarnt vor einer anstehenden Hausdurchsuchung, seinen Drogenvorrat im nahe gelegenen Pfadfinderlager vergraben hatte. Lou war voller Zuversicht, dass er die Polizei immer überlisten konnte, so wie er sein Leben lang auch schlauer als andere Autoritätspersonen gewesen war.

      Es gab auch Anzeichen dafür, dass sich ein ruhigerer Lou, der mehr Vertrauen zu sich selbst hatte, entwickelte, einer, der das Auge eines inneren Orkans verlassen hatte und nun stärker, selbstsicherer und als sein eigener Herr daraus hervorging. Larry Goldstein, ein Erstsemester, dessen Band The Downbeats 1963 den Musikwettbewerb in Syracuse gewonnen hatte und der kurze Zeit bei den Eldorados mitspielte, hatte eines Nachts Gelegenheit, mit Lou zusammenzutreffen.

      „Wir begannen, zusammen zu spielen, wir hatten hauptsächlich College­auftritte“, erzählt Goldstein. „Einmal spielten wir in Cornell, im Fayetville Inn, etwa zwanzig Meilen von Syracuse entfernt. Lou war ausgesprochen nett zu uns. Im Vergleich zu ihm waren wir bloß Kids, aber er verhielt sich überhaupt nicht wie eine Primadonna oder ein Rockstar, er hat uns sehr unterstützt. In der Nähe seiner Wohnung gab es ein Restaurant namens Ben’s, da gab’s so richtig fettes Soul Food [Speisen aus den Südstaaten; Anm. d. Ü.], und Lou ging häufig hin. Eines Abends saßen wir nach einem Auftritt in Lous Wohnung, und ich erinnere mich, dass er sehr freundlich und nett war, so eine Art Vaterfigur. Er schlug vor, zu Ben’s zu gehen und was zu essen zu besorgen. Er schien wesentlich älter zu sein als wir und in vieler Hinsicht auch reifer. Er war eine Persönlichkeit, die sich von allen anderen sehr unterschied. Ich erinnere mich nicht, dass er sich jemals arrogant verhalten hätte. Er war einfach in seiner Entwicklung schon sehr weit.“

      Im Juni 1964 graduierte Lou an der Syracuse University mit einem Vordiplom für Kunst und Wissenschaft. Der Reichtum seiner Persönlichkeit und gleichzeitig auch ihre bedauerlichen Beschränkungen zeigten sich in seinem letzten Akt menschlicher Freundlichkeit in Syracuse. Reed dazu: „Sobald die Examen vorbei waren, noch während der Examensfeierlichkeiten, teilte mir die Polizei mit, dass sie mich zusammenschlagen ­würden, wenn ich nicht innerhalb einer Stunde verschwände. Sie hatten nichts Richtiges gegen mich in der Hand, aber sie würden mir alle Knochen im Leib zerschlagen, alles, was ich bewegen konnte. Also bin ich abgehauen, aber ich habe doch ein ehrenvolles Examen abgelegt.“

      Shelley behauptet allerdings, Lou sei nach seinem Abschluss noch geblieben, einzig und allein, um sich um sie zu kümmern, da sie sehr krank war. Sie hatten seit einiger Zeit nur ein paar Häuser voneinander entfernt gewohnt. Shelley wohnte in der McDonald Street, zusammen mit ihrem wahnsinnig tollen Freund, und Lou lebte allein an der Ecke Adams Street. Am Ende des Semesters war Shelleys Freund auf Reisen gegangen. Lou besuchte sie und stellte fest, dass sie nicht zum Unterricht gehen konnte. Er packte sie und brachte sie in seine Wohnung. Er wusste, dass sie den Kurs, den sie bei Philip Booth belegt hatte, nicht schaffen würde, wenn er nichts Drastisches unternahm. Er brachte sie also zu der Wohnung von Booth. „Ich erinnere mich, dass ich da hingeschleppt und aufs Sofa gesetzt wurde, und er sagte: ‚Sitz bloß da und schau hoffnungslos aus der Wäsche‘“, erinnert sie sich. „Das fiel mir nicht schwer. Meine Augen müssen in meinem Kopf hin- und hergerollt sein. Er sagte nur zu Booth: ‚Lass sie durchkommen‘, und das tat er.“ Als die anderen Studenten das College verließen, war Shelley noch nicht in der Lage zu reisen, und deshalb blieb Lou bei ihr und „richtete sie wieder auf“, wie sie sagte.

      Shelley erinnert sich daran, dass sie dachte: „Ich liebe ihn, er ist wirklich fantastisch“, aber sie war auch sehr durcheinander und erschöpft von der Krankheit. „Du weißt, wie es ist, wenn man sich plötzlich mit jemandem wieder gut versteht. Er war super. Wir fühlten uns wohl wie die Maden im Speck, wie zwei Kids, die gerade aus dem Gefängnis gekommen sind. Er war toll. Es war eine wunderschöne Zeit. Wir wunderten uns immer wieder, wie gut wir uns verstanden.“

      Sie blieb ein bis zwei Wochen mit ihm zusammen. Unglücklicherweise war das etwas zu lang, und Shelley fühlte sich wieder auf unschöne Weise daran erinnert, dass Lou immer alles unter Kontrolle haben musste. Sie spürte, dass es zwischen ihnen niemals richtig gut laufen würde. Als er sie zum Flugzeug nach Chicago brachte, winkte sie ihm zum Abschied, ohne sich die Frage zu stellen, wann sie ihn wiedersehen würde.

      Die Pickwick-Periode

      Bei Pickwick International: 1964–1965

      „Die Erfahrung, die Lou bei Pickwick sammelte, war der Schritt hin zum reifen Musiker. Was er hier lernte, war entscheidend für das, was später aus ihm wurde.“

      — Donald Schupak

      Lou ging nicht, wie die meisten der aufgeweckten Absolventen der Fakultät für englische Literatur, von Syracuse nach New York, sondern zog sich in die Bequemlichkeit und Sicherheit seines Elternhauses zurück. Im Sommer 1964 konzentrierte er sich darauf, seiner Einberufung in die Armee zu entgehen. Er wusste, dass er bei der Musterung eine gute Vorstellung geben musste, um der Militärbehörde glaubhaft zu machen, dass er krank oder verrückt oder beides gleichzeitig war. Er entschied sich dafür, sie von beidem zu überzeugen.

      Durch schicksalhafte Fügung wurde er dabei von einer wirklichen Krankheit unterstützt, die einige Tage nach seiner Rückkehr in Freeport ausbrach. Er fühlte sich fiebrig und erschöpft, und man stellte fest, dass er sich eine gefährliche Form von Hepatitis zugezogen hatte; später behaup­tete er, er habe sich in einem Fixertreff infiziert, wo er sich die Spritze mit einem matschgesichtigen Schwarzen namens Jaw geteilt habe. Als er von der Diagnose erfuhr, führte Lou sofort ein teures Ferngespräch mit ­Shelley und warnte sie, dass sie sich eventuell bei ihm angesteckt haben könnte, da sie die letzte Zeit miteinander verbracht hatten. Dann machte er sich daran, genügend medizinische Beweise für seine Wehr­untauglichkeit zusammenzutragen.

      Lou zufolge erreichte er dieses Ziel in einer Rekordgeschwindigkeit von zehn Minuten: Er präsentierte sich vor der örtlichen Einberufungskommission und kaute dabei auf seinem bevorzugten Downer herum, eine Dosis von siebenhundertfünfzig Milligramm Placidyl in Form einer großen, grünen Pille, die aufgrund ihrer beruhigenden, für Hypnose empfänglich machenden, einschläfernden Wirkung verschrieben wurde. Diese Wirkung tritt ungefähr fünfzehn Minuten nach Einnahme ein und wird durch Alkoholkonsum, Barbiturate oder andere Beruhigungsmittel, die auf das zentrale Nervensystem einwirken, erheblich verstärkt.

      Placidyl war in den Sechzigerjahren rezeptfrei erhältlich, heutzutage ist es aufgrund der schweren, zu Selbstmord führenden Depressionen und der Abhängigkeit, die es auslösen kann, verschreibungspflichtig. „Ich erzählte ihnen, dass ich ein Gewehr haben wollte, um alles und jeden vor meiner Nase umzuballern“, erinnert sich Lou. Falls diese superschlaue Behauptung nicht den Ausschlag für seine Ablehnung gab, dann waren es sicher seine angegriffene Leber und die durch das Anfangsstadium seiner Hepatitis hervorgerufene gelbliche Leichenblässe auf seinem Gesicht. „Ich wurde als geis­tig unreif eingestuft und so klassifiziert, dass ich nur dann eingezogen werden konnte, wenn wir gegen China in den Krieg zögen. Das war zumindest ein positives Ergebnis meiner Schockbehandlungen.“

      Es war Sommer 1964. Sein Vater bot ihm einen Job in seinem Steuerberatungsbüro an, das Lou später übernehmen und weiterführen sollte. Aber Lou hatte keine Lust dazu, an einem Schreibtisch zu sitzen und auf eine Rechenmaschine zu starren. Er sagte Sidney, er solle Elizabeth (die zu der Zeit fünfzehn Jahre alt war) das Geschäft übergeben, sie hätte dafür den besseren Kopf. Stattdessen gründete Lou eine Band und spielte in den umliegenden Klubs und Bars, die während der Sommermonate mehr Auftrittsmöglichkeiten boten, und so häufig wie möglich für ein ausschließlich schwules Publikum.

      Lou verübelte seiner Familie sowohl, dass sie die Elektroschockbehand­lung zugelassen hatten, als auch ihre derzeitige Ablehnung seines Lebensstils, und er machte sich daran, sie mit dieser negativen Einstellung zu quälen. Oder, wie es in „Families“, einer seiner Verachtungstiraden, heißt: „Families who live out in the suburbs often make each other cry (Familien draußen in den Vorstädten machen sich oft selbst fertig).“

      In jedem Fall war der Kampf noch nicht beendet. Dass wohlhabende Eltern großzügig darüber hinwegsahen, wie ihre Kinder die Sommer­monate mit süßem Nichtstun auf


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