Lou Reed - Transformer. Victor Bockris

Lou Reed - Transformer - Victor Bockris


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Zentimeter lang und zehn Zentimeter hoch. Wenn man daran glaubt, dass Hunde immer die Persönlichkeit ihrer Besitzer widerspiegeln, dann war Seymour, wie Shelley sagte, „ein Lou-Hund“. Mehr als jedem anderen gegenüber, der sich in seine Nähe wagte, schien sich Lou dem Hund zu öffnen und mit ihm auf freundschaftliche Weise kommunizieren zu können. Soweit Shelley es beurteilen konnte, schien Lou sich nur dann wohl in seiner Haut zu fühlen, wenn er sich mit Seymour über den Boden wälzte oder mit ihr gemeinsam auf dem Sofa saß und ins Nichts starrte. Bald schon aber nahm Lous Hundeliebe obsessiven Charakter an. Er fing an, Shelley Vorwürfe zu machen, sie sollte den Hund besser behandeln und ihm mehr Aufmerksamkeit schenken.

      Unterdessen begannen sich immer mehr jener Eigenschaften Lous abzuzeichnen, mit denen sich auch Shelley auseinander setzen musste, sollte sie sich entscheiden, bei ihm zu bleiben. „Ich meine, er machte wirklich ein Riesen-Tamtam darum, nett zu dem Hund zu sein“, kommentierte sie später. „Aber er selbst verhielt sich unmöglich; ich zog also meine Schlüsse daraus.“ Bei der herrschenden Eiseskälte dachte Lou nicht daran, mit dem Hund Gassi zu gehen. Es stellte sich schnell heraus, dass es zu Shelleys Aufgaben gehörte, den Hund zu füttern und mit ihm hinauszugehen. Trotzdem beschloss Lou, ihn auszusetzen. Shelley überredete ihn, es nicht zu tun. Dann heckte Lewis einen anderen teuflischen Plan aus. Er würde den Hund nach Freeport mitnehmen und ihn ohne Vorwarnung seiner Familie aufs Auge drücken. Und er wusste genau, wie er dabei vorgehen musste.

      An Thanksgiving kamen Lou und Shelley mit dem Überraschungsgeschenk nach Freeport. Schon auf dem Flughafen La Guardia gab der Hund eine Talentprobe seiner Seelenverwandtschaft mit Lou. Er stürmte aus dem Frachtraum, in dem er seine Reise hatte zubringen müssen, und begann sofort, den ganzen Boden voll zu pissen, während Lous Mutter losschrie: „Ein Hund! O mein Gott, ein Hund in unserem Haus! Bloß das nicht!“ Diesem Ausbruch begegnete Lou mit jener kunstvollen Selbst­sicherheit, die auch seine späteren Mitarbeiter noch zur Verzweiflung bringen sollte: Er machte ihnen ein Angebot, das sie nicht ausschlagen konnten, indem er sagte, der Hund sei ein Geschenk für Bunny.

      Zunächst waren die Reeds verstimmt, aber bald schon – sehr zu Lous Verärgerung – begannen sie an dem neuen Hausgenossen großen Gefallen zu finden. Es stellte sich heraus, dass der Hund wohl Lous Charme besaß, aber keine seiner anderen, weniger anziehenden Charaktereigenschaften. Bald schon jagte Seymour durch das Wohnzimmer der Reeds oder rollte sich auf Tobys Schoß zusammen, als hätte sie in ihr endlich die verlorene Mutter wieder gefunden. Kurz gesagt: Seymour war eine Quelle beständiger Freude in Tobys Leben geworden, so wie es Lewis niemals sein würde.

      „Kannst du dir das vorstellen“, bemerkt Lou bissig in einem Song aus dem Jahr 1979, „zuerst wollte sie keiner, und dann war sie plötzlich wichtiger als ich!“

      Sobald Lou sah, wie sehr seine Familie den Hund mochte, machte er seine Entscheidung, ihn Bunny zu überlassen, rückgängig und bestand darauf, ihn wieder nach Syracuse mitzunehmen. Dort blieb er bis zu seinem Examen bei ihm und verbrachte danach den Rest seines Lebens als beliebtestes Familienmitglied in Freeport.

      Während ihres Besuchs nahm Lou Shelley nach Harlem mit, um Drogen zu besorgen. „Er sagte: ‚Los, wir müssen was abholen‘“, erzählte sie später. „Ich erinnere mich, dass wir zur 125. Straße hinauffuhren. Dort liefen wir durch schmuddelige, widerliche Korridore. Der Typ, den wir aufsuchten, war Musiker. Ich erinnere mich, wie er in seinem Apartment in Harlem hinter einem großen Piano saß. Ich glaube, zwischen den Typen in der Bar in Syracuse und ihm bestand eine Verbindung. Ich wusste, wir waren da, um Drogen zu besorgen, ich denke, es war Heroin, aber beschwö­ren kann ich’s nicht. Ich machte mir mehr Sorgen wegen Lous Fahrstil. Außerdem wusste ich, dass ich eigentlich nicht in Harlem sein sollte, und fühlte mich sehr unwohl. Damals war es für Weiße dumm, nach Harlem zu gehen, denn es war einfach zu gefährlich. Ich hätte vergewaltigt oder umgebracht werden können. Er fand das toll.“

      Aber schließlich ging die Beziehung zwischen Shelley und Lou weder aufgrund der Drogen noch wegen des Hundes auseinander. Obwohl es keinen Zweifel daran gab, dass Lou in Shelley verliebt war und ihre Beziehung für beide sowohl romantisch als auch anderweitig eine Offenbarung war, stürzte sich Lou in sexuelle Experimente. Mishkin erzählte beispielsweise, Lou habe eine Schwäche für dicke Mädchen, darunter besonders „eine große, fette Schlampe, die er gern von der Seite vögelte“. Gelegentlich stieg er auch mit einer der schwarzen Sängerinnen, die mitunter die Eldorados begleiteten, ins Bett. „Ich habe nie feststellen können, dass er sich Shelley gegenüber besonders nett verhielt“, kommentiert Hyman. „Aber ich habe eigentlich nie gesehen, dass er zu irgendjemandem besonders nett war.“

      Wenn Lou sich einer Frau gegenüber nicht nett verhielt, konnte er sogar besonders grausam sein. Damit versuchte er, sie an eine Grenze zu treiben, um so die Stärke ihrer Zuneigung zu testen. Seine Vorstellung, sagt Shelley, war folgende: „Ich erschaffe dich von Grund auf neu, und dann mag ich dich plötzlich nicht mehr und fange an, dich zu quälen, und warte ab, wann du mich verlässt. Je schlechter ich dich behandle, umso größer ist deine Liebe zu mir, und du bleibst für immer bei mir. Er wurde wirklich abscheulich. Er musste immer jemanden haben, den er fertig machen konnte, und zu dem Zeitpunkt war ich das.“

      Aber sie gehörte nicht zu den Mädchen, die sich das einfach so ­bieten lassen, sondern zahlte in gleicher Münze zurück. Einmal hatten die Eldorados einen Auftritt in einem Verbindungshaus in Cornell. Shelley hatte sich ab und zu bereits heimlich mit einem der Bewohner getroffen und beschloss deshalb, zu dem Auftritt mitzukommen. Als Lou mit seinem femininen Gang, den er jetzt vollendet beherrschte, hereintänzelte, ­wurden die Mitbewohner wütend, als sie Shelley an seinem Arm sahen. Sie hatte einige Wochenenden im Haus der Bruderschaft verbracht, und jetzt kam diese kleine jüdische Schwuchtel … Shelley hatte Lou nichts von der unangenehmen Lage erzählt, und sogar er war von dem Maß an Feindseligkeit, das ihm entgegenschlug, beeindruckt. „Jesus, die sind ja wirklich übel, wie ein Haufen Tiere“, sagte er zu Shelley. Irgendwann im Lauf des Abends erklärte sie ihm dann beiläufig den Grund dafür. „Die sind so feindselig, weil ich am Wochenende öfter hier war, mit dem Typ namens Peter. Ich bin seine Freundin.“ Um ein Haar hätten sie den Ort der Veranstaltung nicht mehr lebend verlassen.

      Zurück in Syracuse, erreichte die Beziehung zwischen Lou und ­Shelley ihren Tiefpunkt. Zwischen zwei Auftritten kam Lou zu Shelley und sagte: „Ich gehe mit dem Mädchen da ins Hinterzimmer. Möchtest du zuschauen?“ Shelley sah, wie Ritchie Mishkin sie verächtlich anblickte. Sie erkannte, dass sie sich lange genug von Lou hatte misshandeln lassen, und verließ das Verbindungshaus. Es war Februar 1963 und bitterkalt. Lincoln begleitete sie auf dem langen Weg zu ihrem Wohnheim. Er redete auf sie ein, sagte, sie solle sich keine Gedanken machen, dass er, Lincoln, ja immer noch da sei und dass es richtig von ihr gewesen sei, zu gehen. Sie hätte nicht zulassen sollen, dass Lou sie so lange so schlecht behandelte.

      „In den vorhergehenden Monaten waren so miese Dinge zwischen Lou und mir gelaufen“, erklärt Shelley. „Diese Groupie-Geschichte gab mir einfach den Rest. Ich hatte niemals Zweifel daran, dass Lou eines Tages ein Rockstar werden würde, und wenn ich bei ihm blieb, hieß das, dass ich die Frau eines Rockstars sein würde. Ich entschloss mich, ihn zu verlassen und für die nächsten zehn Jahre nicht in seine Nähe zu kommen.

      Am nächsten Tag sagte er: ‚Ich war so stoned, ich kann mich nicht erinnern, dass ich das gemacht habe. Warum bist du sauer auf mich, hab ich das echt gemacht?‘“

      Aber Shelley hatte endlich kapiert, was Lou antrieb, und sie hielt nichts davon. Der Kampf um den Sieg und die Kontrolle war ihm viel wichtiger als der Besitz, genauso wie er immer mehr zum Voyeur wurde, statt natürlichen Sex zu haben. Lou war von Grund auf unfähig, eine normale, wechselseitige Beziehung aufzubauen. Wie ein Hai wühlte er zwischen den Körpern herum, bis er etwas Lebendiges fand, das er in ­wilder Gier verschlang, während an seinem Kinn das Blut herunterrann.

      In der Mitte seines dritten Jahres in Syracuse verwandelte sich Lou in ein achtköpfiges Monster, mit dessen unterschiedlichen Inkarnationen er von nun an durchs Leben schlitterte. Er stellte Bands zusammen, nur um sie wieder großartig aufzulösen, er saugte alle aus, die sich von ihm verführen ließen, und zerstörte sie, denn er spürte keine wirkliche Freude am Leben und wollte nicht, dass sich andere vergnügten, wenn er selbst dazu nicht in der Lage war.


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