Lou Reed - Transformer. Victor Bockris

Lou Reed - Transformer - Victor Bockris


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sehnte sich Lou danach, dass seine Eltern ihn akzeptierten. Ihre Weigerung, sein Talent anzuerkennen, verstörte ihn und trieb ihn dazu, sich von ihnen zu entfernen. Ein Punkt, der Lou frustrierte, war auch, dass er seinen Vater für einen Schwächling hielt, der seiner Frau das Steuer übergeben hatte. Das entsetzte und faszinierte Lou, der ein waschechter Macho war. Insgeheim war Lou stolz auf seinen Vater und hätte es liebend gern gesehen, wenn er mehr Selbstbewusstsein entwickelt hätte. Aber den Gedanken, sich die Aufmerksamkeit der ehemaligen Schönheitskönigin mit seinem Vater teilen zu müssen, ertrug er einfach nicht.

      Zumindest für eine gewisse Zeit bereitete Lou seinen Eltern eine unerwartete Freude allein damit, dass er ihnen Shelley vorstellte. Begeistert davon, dass sein Sohn eine saubere, weiße und schöne Jüdin nachhause gebracht hatte, erhöhte Mr. Reed die monatliche Unterhaltszahlung an seinen Sohn.

      Hätte er eine Ahnung davon gehabt, welches Leben Lou und Shelley in Syracuse führten, hätte er das vermutlich unterlassen. Im Verlauf des Jahres spielten Sex, Drogen und Rockmusik eine immer wichtigere Rolle in ihrem Leben, obwohl Shelley keine Drogen nahm. Doch Lou, der schon seit einiger Zeit regelmäßig kiffte, nahm jetzt zum ersten Mal LSD und begann mit Peyote zu experimentieren. 1961 war es am College noch nicht die Regel, dass Drogen genommen wurden. Obwohl ab und zu Marihuana in den Verbindungshäusern kursierte und einige wagemutige Studenten LSD nahmen, bestand die Mehrzahl der Studierenden aus ordentlichen Jugendlichen der Fünfzigerjahre, die sich auf ihre zukünftige Arbeit als Steuerberater, Juristen, Ärzte oder Lehrer vorbereiteten. In ihren Augen war das Benehmen Lous extrem. Und dann begann er auch noch, Drogen zu verkaufen, anstatt sie nur selbst zu nehmen. Er hatte immer einen Vorrat an Marihuana, den er in einer Einkaufstasche bei einer Freundin im Wohnheim versteckte. Wenn Kundschaft kam, schickte er Shelley los, um die Tasche zu holen.

      Lou war nun auf dem Weg dazu, ein unersättlicher Konsument aller möglichen Drogen zu werden; zeitweise kaufte er sich auch einen kodein­haltigen Hustensaft namens „Turpenhydrate“. Lou war meistens stoned. „Er hatte mich gern um sich, wenn er high war“, erinnert sich Shelley. „Er sagte dann häufig ‚Wenn’s mir nicht gut geht, kümmerst du dich um mich.‘ Er nahm Drogen hauptsächlich, um sich zu betäuben oder sich zu erholen, um vor seinen Gedanken Ruhe zu finden.“

      Da er sich nun als wieder geborener Heterosexueller präsentiert hatte, verlor Lou keine Zeit, um seine Homosexualität unter Beweis zu stellen. In der zweiten Hälfte seines zweiten Jahres in Syracuse hatte er seine erste – allerdings platonische – schwule Liebesgeschichte. „Es war eine erstaunliche Erfahrung“, erklärt Lou. „Ich fühlte mich sehr schlecht deswegen, denn ich hatte eine Freundin, und ich betrog sie; ich bin auch nicht besonders gut darin, mir irgendwelche Ausreden auszudenken.“ Besonders stark erinnert er sich an die schmerzhafte Erfahrung, dass „man versucht, irgendetwas für Frauen zu empfinden, aber es ist einfach nicht möglich. Ich kam nicht dahinter, was falsch war. Ich wollte alles in Ordnung bringen, ich wollte keine Probleme. Ich stellte mir vor, dass ich das auch schaffen würde, wenn ich mich hinsetzte und darüber nachdachte.“ Die Beziehung von Lou und Shelley veränderte sich. Sie begannen, miteinander zu spielen. Lou hatte mehr als nur eine schwule Affäre in Syracuse, und er versuchte oft, sie damit zu schockieren, dass er gelegentlich fallen ließ, zu welchem Jungen er sich hingezogen fühlte. Shelley war ihm aber gewachsen; sie fühlte sich durch seine Affären nicht bedroht, sondern im Wettstreit mit ihm gelang es ihr sogar oft, die Aufmerksamkeit seines Favoriten auf sich selbst zu lenken. Wenn sie sein Spiel jedoch erfolgreich mitspielte, so war Lou immer schon dabei, die Einsätze zu erhöhen. Durch diese Spielchen, die ihre Beziehung komplizierter machten, als gut für sie war, verloren die beiden bald den Boden unter den Füßen.

      Freunde hatten unterschiedliche Erinnerungen an Lous schwule Affären in Syracuse. Allen Hyman hatte Lou während seiner ganzen Universitätszeit als geradezu außergewöhnlich heterosexuell empfunden, während Sterling Morrison, der Lou für einen Voyeur hielt, dazu meint: „Er versuchte sich an der widerwärtigen Schwulenszene in Syracuse. Er hatte ein Techtel­mechtel mit so einer schlappen, effeminierten Tunte. Ich sagte: ‚Mann, Lou, es ist mir unangenehm darüber zu reden, aber wenn’s schon sein muss, kannst du dir nicht wenigstens einen attraktiven Typ suchen?‘“

      In den frühen Sechzigern war Homosexualität absolut tabu. Nichts war 1962 in Amerika ekelhafter als das Bild zweier Männer, die sich küss­ten. Der Durchschnittsamerikaner hätte einen Homosexuellen niemals in sein Haus gelassen, die Furcht, dieser könne eine fürchterliche Krankheit durch Kontakt mit dem Toilettensitz oder der Sessellehne übertragen, war riesengroß. An den amerikanischen Universitäten gab es Berichte dar­über, dass gesunde junge Männer wie viktorianische Jungfrauen in Ohnmacht fielen, sobald ihnen ein Homosexueller körperlich zu nahe kam. Wie Andy Warhol bald beweisen sollte, galt der Homosexuelle Anfang der Sechziger als die größte Bedrohung und die subversivste Person überhaupt. Brad Gooch zufolge, dem Biografen von Frank O’Hara, war „schon im Januar 1964 eine Kampagne im Gange, um die schwulen Bars von New York zu observieren, und das Fawn in Greenwich Village war geschlossen worden. Als Reaktion auf diese Schließung, die durch Infiltrierung von Spitzeln – in der Szene ‚actors‘ genannt – möglich gewesen war, lautete die Schlagzeile der New York Times: ‚Große Betroffenheit in der Stadt durch Zunahme offener Homosexualität.‘“ Neben den großen Städten wie San Francisco und New York boten auch kulturelle Institutionen und besonders Privatuniversitäten vielen Homosexuellen die Möglichkeit, unterzuschlüpfen. Das College in Syracuse bildete hierin keine Ausnahme. Unter dem Schauspiellehrer Roberto Scarpatto, Lous Lieblingslehrer und von den Studenten liebevoll „Scarp“ genannt, hatte sich das College zu einer Brutstätte homosexueller Aktivitäten entwickelt.

      „Als Schauspieler war ich nicht gerade das Gelbe vom Ei, wie man so sagt“, erzählt Lou. „Aber als Regisseur war ich gut.“ Lou entschloss sich, in The Car Cemetery (Der Autofriedhof) Regie zu führen. Um sein Leben zu illustrieren, hätte Lou keine bessere Form (das absurde Theater) und kein besseres Thema (das Stück basierte locker auf der christlichen Mythologie) finden können. Die Geschichte drehte sich um den Leidensweg eines begabten Musikers, der am Ende von einem Orchestermitglied an die Polizei verraten wird. Alles, was Lou schrieb oder tat, drehte sich um ihn selbst; hätte die Möglichkeit bestanden, so hätte er sicher nicht gezögert, eine Elektroschockfolterung als Höhepunkt einzubauen. Lou – dessen musikalische Karriere noch in den Kinderschuhen steckte – bearbeitete das Stück ganz nach seinem Geschmack, indem er dem Musiker die Rolle des Heilbringers in einer düsteren Welt voller grausamem Sex und Prostitution zuwies.

      „Ich bin sicher, dass zwischen Lou und Scarpatto etwas lief“, bestätigt Richard Mishkin. „Dieser Typ holte sich die Burschen auf sein Zimmer und zog ihnen Damenunterwäsche an; dann machte er Fotos davon, und sie bekamen eine gute Zensur. Sogar der Dekan selbst hat sich entweder umgebracht oder er verschwand, weil er mit den Schwuchteln in der Fakultät in Zusammenhang gebracht wurde; später hat man sie dann angeklagt, weil sie komische Sachen mit den Studenten gemacht haben.“

      Der „erste“ schwule Flirt kann nicht einfach übersehen und beiseite geschoben werden, wie es Morrison und Albin gern hätten. Einmal deshalb, weil es schon vorher passiert war. Während seiner Kindheit in Freeport hatte Lou des Öfteren beim Gruppenwichsen mitgemacht, und diese schwule Erfahrung hatte ihn auf eine Weise geprägt, die er später in seiner Karriere zu seinem Vorteil ausbauen würde. Besonders wichtig war der effeminierte Gang mit kleinen, vorsichtigen Trippelschritten, an dem man ihn schon von weitem erkennen konnte.

      Obwohl er ursprünglich eher an eine Karriere als Schriftsteller dachte, hatte er die Gitarre immer in greifbarer Nähe und beschäftigte sich viel mit Musik. Seine erste Band in Syracuse war eine lose formierte Folkgruppe. Neben Lou spielte John Gaines, ein beeindruckend hoch gewachsener Schwarzer mit kräftigem Bariton; dann Joe Annus, hübsch, groß und weiß, ebenfalls mit einer guten Stimme; und ein sehr guter Banjospieler mit Afrolook, der aussah wie Art Garfunkel.

      Die Gruppe spielte häufig auf einer kleinen Grünanlage in der Mitte des Universitätsgeländes, an der Kreuzung von Marshall Street und South Crouse. Gelegentlich traten sie auch in einer kleinen Bar namens Clam Shack auf. Lou sang nicht bei diesen Auftritten, da er seine Stimme nicht mochte, aber privat sang er Shelley seine eigenen Folksongs vor. Manchmal spielte er auch traditionelle schottische Balladen, die den Gedichten von Robert


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