Lou Reed - Transformer. Victor Bockris

Lou Reed - Transformer - Victor Bockris


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und körperlich auf einen Ort hinzubewegen, an dem vor ihm noch keiner war. Er war oft sehr asozial, und es war schwierig, mit ihm zusammenzu­arbeiten, aber er war auch interessant, und die Leute waren an den Konflikten interessiert und an den guten Dingen, die sich daraus ergaben.“

      Eines dieser positiven Ergebnisse waren die Songs, die über die schmud­deligen Drogenumschlagplätze hinwegzudröhnen begannen, die die Ludlow Street von Eldridge bis zu der Bowery umgaben. Lou, Sterling, Angus und John bearbeiteten ihre Songs tagein, tagaus und schliffen sie zu dem zurecht, was zwei Jahre später als die erste Velvet-Underground-Platte herauskommen sollte.

      Cale meint dazu: „Wir haben wirklich sehr hart an den Arrangements für das erste Album gearbeitet. Wir trafen uns regelmäßig einmal die Woche, ein Jahr lang, nur um an den Arrangements zu arbeiten. Damals spürte ich, dass wir etwas taten, was Bestand haben würde. Es war einzig­artig und sehr stark. Wir verbrachten unsere gesamten Wochenenden damit, dass wir die Songs wieder und wieder und wieder durchgingen. Wir hatten kein besonderes Problem mit der Arbeitsmoral; es war eher so, dass an dieser Arbeitsmoral unser ganzes Leben hing.“

      Im Frühjahr 1965 begann ihre Musik plötzlich zu klingen. John Cale hat diese Anfänge der Band als ihre beste Zeit in Erinnerung. Er selbst brachte seine einzigartige elektrische Viola ein, Morrison seine unwiderstehlich schöne elektrische Gitarre, MacLise sein ätherisches fernöstliches Schlagzeug und Reed seine neuen, präzisen Texte und den Gesang. Oft improvisierte die Band über ein Riff, und Reed dachte sich, während sie spielten, einfach die Texte dazu aus. „Er war erstaunlich“, sagt Cale. „Einen Moment lang sah er wie ein Priester aus den Südstaaten aus, und dann verwandelte er sich plötzlich total und war eine ganz andere Persönlichkeit.“

      „Von meinem Kopf her hätte ich gern wie Al Green gesungen“, sagt Reed. „Aber das ist eben nur eine Vorstellung. Ich musste einen Weg finden, um mit meiner Stimme und ihren Beschränkungen arbeiten zu können. Ich schrieb einen bestimmten Kernsatz auf und passte dann den Text der Musik an, suchte einen Weg, dass beides gut zusammenklang.“ 1965 war er besonders kreativ und gab Cales Orchestrierung des musikalischen Chaos der Band eine dunkle, makabre, an Poe erinnernde Schönheit. „Wir hörten, wie sich unsere Schreie in Lieder verwandelten“, schrieb Reed später, „und wie aus unseren Liedern wieder Schreie wurden.“

      Inzwischen brachte Cale, der aufgrund seines klassischen Musikstipendiums zwischen London und New York hin- und herpendelte, die neuesten Singles der aufregendsten britischen Popgruppen mit, von The Who und The Kinks, mit denen sie eine gewisse Verwandtschaft feststellten. Es war eine außerordentlich kreative, spannungsgeladene Phase in der Geschichte der Rockmusik, und die Band saugte alles auf, was ihr gefiel. Reed, der Musiker aller Sparten verehrte – von Burt Bacharach bis hin zu den Beach Boys –, war sogar der festen Überzeugung, dass die hervorragendste Popmusik künstlerisch genauso anerkannt werden sollte wie die Lyrik. „Wie kann man nur Robert Lowell einen Preis für Lyrik geben?“, beschwert er sich in einem Essay, das er im folgenden Jahr für die Zeitschrift Aspen Magazine schrieb. „Richard Wilbur. Das ist doch ein Witz. Was ist mit den Excellents, Martha And The Vandellas, Holland und Dozier, Jeff Barry, Elle Green­wich, Bacharach und David, Carole King und Gerry Goffin, den besten Songwriter-Gespannen in Amerika? Werden die Verantwortlichen auch in Zukunft nicht erkennen, was Brian Wilson mit den Akkorden anstellte? Phil Spector muss gesagt werden, dass es völlig abartig war, ‚You’ve Lost That Loving Feeling‘ als die beste Platte, die es jemals gab, zu bezeichnen.“

      Drogen waren sowohl Katalysator als auch Hindernis für die Musik. „Es gab keine schweren Abhängigkeiten, aber es reichte, um uns zu behindern – Hepatitis und so“, erinnert sich Sterling. „Ich nahm Pillen, Amphe­ta­mine, aber keine psychedelischen Drogen. Damit hatten wir nichts am Hut. Drogen haben uns nicht zu Songs angeregt.

      Wir nahmen sie aus anderen Gründen – man fühlte sich gut, war Kritik gegenüber besser gewappnet. Vitamine, Ginseng und experimentelle Diäten waren aber auch ein Thema. Lou war einmal so radikal auf Diät, dass sein zentrales Nervensystem ohne Fettschutz war – sein Rückenmark lag sozusagen frei. Wir nahmen auch jede Menge Downers – jedenfalls ich. Wir machten allen möglichen Unsinn. Es passierte so viel, man ­musste einfach dranbleiben, das war alles. Aber ich bin nie so richtig aus der Kurve geflogen. Wenn jedoch zwei Mann in der Band schwer sediert und die anderen beiden auf Speed waren, dann hatte das schon gewisse Auswirkun­gen auf die Stimmung. Sie wollten langsame Grabgesänge, und ich wollte möglichst schnelle Songs.“

      In diesem Sommer ereigneten sich parallel zwei Dinge, die die Warlocks, die nun auch gelegentlich den drogenbezogenen Namen The Falling Spikes benutzten, aus der Dunkelheit der Ludlow Street näher in Richtung des Scheinwerferlichts katapultierten, das sie bald anstrahlen sollte. Das erste ergab sich aus MacLise’ Beziehungen zur Underground-Filmszene der Lower East Side. Diese sehr wichtige Bewegung sprach das größte und intelligenteste Publikum in New York an; die Band wurde dazu aufgefordert, ihre Probenbänder vorzuspielen oder manchmal auch die meist stummen Filme von Jack Smith, Ron Rice, Andy Warhol, Stan Brakhage und Barbara Rubin, die in dieser Saison der letzte Schrei waren, musikalisch zu begleiten. 1965 befand sich die Künstlerszene der Lower East Side und insbesondere die Underground-Filmszene auf ihrem Höhepunkt. Eine der hervor­stechendsten und rätselhaftesten Figuren dieser Szene war Piero ­Heliczer, der häufig Filme in seinem riesigen Loft in der Grand Street vorführte, das nur drei Blocks entfernt von der Ludlow Street 56 lag. Er verschaffte der Gruppe ihren ersten Auftritt. Bald schon spielten sie regelmäßig bei ­Heliczer und anderen Künstlern; sie saßen dabei entweder hinter der Leinwand oder standen seitlich daneben.

      Am häufigsten trat die Band in Jonas Mekas’ Cinémathèque auf, dem populärsten Aufführungsort für Underground-Filmer. „Die Hauptbühne der alten Cinémathèque war die Leinwand, und zwischen ihr und dem Publikum waren an unterschiedlichen Stellen große Vorhänge angebracht“, erinnert sich Sterling. „Sie wurden von verschiedenen Lampen, Lichtern und Diaprojektoren angestrahlt, während Pieros Filme durch sie hindurch auf die Leinwand projiziert wurden. Tänzer und Duftwolken wirbelten herum, Schwaden von Räucherstäbchen zogen durch die Luft, und Gedichte und Lieder ertönten, während hinter der Leinwand sonderbare Musik erklang, die Lou Reed, John Cale, Angus und ich hervorbrachten, begleitet von Piero, der Saxofon spielte.“ Gelegentlich traten sie auch mit nacktem, bemaltem Oberkörper auf oder versuchten auf eine andere Art, möglichst schockierend auszusehen. Durch diese Performances gewannen sie langsam eine enthusiastische Zuhörerschaft, unter der sich auch Barbara Rubin befand, die ihr einflussreichster Fan werden sollte.

      Der zweite Durchbruch kam im Juli, als sie in der Ludlow Street ein Demotape mit frühen Versionen von „Heroin“, „Venus In Furs“, „The Black Angel’s Death Song“ und „Wrap Your Troubles In Dreams“ aufnahmen. „‚Wrap Your Troubles In Dreams‘, das ist absolut schonungslos“, sagt John Cale. „Lou meinte oft: ‚O Mann, einige dieser Songs sind einfach zu gefährlich, man sollte diese Dinge vielleicht nicht anrühren.‘ Womöglich hat er Recht.“ Auf dem Tape befand sich auch eine Aufnahme, in der es laut Morrisons Erinnerung um Folgendes ging: „Lass dich gefühlsmäßig niemals auf Männer, Frauen, Kinder oder Tiere ein.“ Cale nahm das Band mit nach England; er hoffte, dort eher einen Vertrag mit einer der risikofreudigeren britischen Plattenfirmen abzuschließen (schließlich bedienten sich die Who und die Kinks ähnlicher Techniken). Er stieß auf beträchtliches Interesse, unter anderem bei Miles Copeland, der später The Police managen sollte.

      Im Herbst, als ihre Musik ausgereifter zu klingen begann und ihre Fangemeinde anwuchs, fühlten sie, dass etwas im Gange war. Ein Ereignis im November schien das zu bestätigen, als sie durch Zufall auf den Namen stießen, den sie beibehalten sollten: The Velvet Underground. Sie „klauten ihn“, wie sich Lou ausdrückte, vom Titel eines billigen Taschenbuchs über das Sexualverhalten in den Vorstädten, das Tony Conrad im Rinnstein aufgelesen und in die Ludlow Street mitgebracht hatte. Es sah so aus, als seien die Velvet Underground nun gut gerüstet für die Verwirklichung ihrer Ziele und Pläne. Im gleichen Monat waren sie zum ersten Mal im Fernsehen präsent. CBS nahm sie für eine Dokumentation über Piero Heliczer auf, die von Walter Cronkite kommentiert wurde; die Band spielte „Venus In Furs“. Als der renommierte Rockjournalist Alfred G. Aronowitz sich der Gruppe als Manager anbot, nahmen sie an.

      Al


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