Lou Reed - Transformer. Victor Bockris

Lou Reed - Transformer - Victor Bockris


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beschreibt ein Beobachter. Aronowitz war der Mann, der Allen Ginsberg Bob Dylan vorgestellt hatte und Bob Dylan den Beatles. Er hatte Billie Holiday persönlich kennen gelernt, ebenso Jack Kerouac, Paul Newman und Frank Sinatra. Er konnte einfach so mit Ahmet Ertegun, George Plimpton, Clive Davis oder Willem de Kooning telefonieren. Durch ihn hatte Brian Jones Verbindungen nach Amerika geknüpft, er war Leon Russells New-­Yorker Guru, und er war derjenige, der Pete Hamill mit Norman Mailer bekannt gemacht hatte. Nur Aronowitz war dazu imstande, in einer Tageszeitung eine Rockkolumne zu schreiben, an deren Lektüre keiner vorbeikam.

      Sein Interesse an den Velvets war ein sicherer Vorbote des Erfolgs. Plötzlich kollidierte jedoch der unorthodoxe Hintergrund, dem sie entstammten, mit ihrem musikalischen Erfolg. Sobald ihnen Aronowitz den ersten bezahlten Job als Vorgruppe einer Band, die er ebenfalls managte, anbot, stellte Angus MacLise eine, wie Lou sich erinnert, „faszinierende Frage. Er sagte: ‚Meint ihr damit, dass wir zu einer bestimmten Uhrzeit zu spielen anfangen und dann wieder aufhören?‘ Wir sagten: ‚Ja.‘ Und er sagte: ‚Das ist nichts für mich!‘ Und das war’s dann. Ich meine, wir hatten den Strom für unsere Musik aus Angus’ Apartment, aber das war’s dann. Er war ein großartiger Schlagzeuger …“

      Lou, der seine geliebte Band über alles und jeden stellte, verzieh MacLise nie mehr. Durch Angus’ Ausstieg ergab sich jedoch ein letzter Zufall, der die Band vervollständigen sollte. Aronowitz hatte sie für den 11. Dezember gebucht, es waren also nur noch wenige Tage Zeit; da erinnerten sich Lou und Sterling plötzlich an einen Freund aus Syracuse, Jim Tucker, dessen Schwester Schlagzeug spielte. Sie fragten sich, ob sie wohl dazu in der Lage wäre, einzuspringen. Cale, den es bei dem bloßen Gedanken daran, dass eine „Tussi“ in der Band mitspielen sollte, schauderte, musste mit dem Versprechen, es handle sich hier nur um eine vor­übergehende Lösung, besänftigt werden. Als er nachgab, machte sich Lou sofort auf den Weg nach Long Island, um sich Moe Tucker anzuhören. „Ich war damals neunzehn, lebte zuhause und hatte einen Job, bei dem ich irgendwelches Zeug in Computer eingab. Lou besuchte mich, um zu sehen, ob ich wirklich Schlagzeug spielen konnte. Er sagte: ‚Okay, das ist gut.‘“

      Als sie zum ersten Mal nach New York in Johns Wohnung kam, um die Band zu hören, war Maureen, die den Schlagzeuger Charlie Watts bewunderte, überwältigt. Sie begriff sofort, dass es sich bei Lou um einen hundertprozentigen Rockfreak handelte – und dass die Band ungewöhnlich gut war. „Als sie ‚Heroin‘ spielten, war ich echt beeindruckt. Man hörte sofort, dass es etwas Neues war.“

      Maureens Schlagzeugstil war die Zusammenfassung all dessen, was sich bis jetzt in diesem Bereich der Rockmusik getan hatte; außerdem spielte sie, von afrikanischen Musikern beeinflusst, stehend und mit Schlagstöcken auf zwei Kesselpauken. „Der Stil, den ich entwickelte, war absolut bodenständig“, sagt sie. „Hauptsächlich deswegen, weil ich es nie richtig gelernt hatte – bis heute kriege ich keinen Trommelwirbel hin, beim besten Willen nicht, oder irgendwas von diesem anderen dekorativen Getrommel, und ich will es auch gar nicht. Ich wollte immer einen einfachen, gleichmäßigen Takt hinter der Band schlagen, sodass es immer ein tiefes Dröhnen ergab, das alles zusammenhielt, unabhängig davon, wie sehr John oder Lou da vorn ausrasteten.“ Als Person und am Schlagzeug methodisch und ausgeglichen, schlug Maureen einen beständigen Grundrhythmus. Da sie jünger als die Freunde ihres Bruders war, hielt sie sich meist zurück, äußerte jedoch ihre Meinung, wenn sie ihr wichtig erschien. Obwohl sie von der Musik der ­Velvets begeistert war, galt das nicht unbedingt für den Lebensstil der Band. Sie fand es verrückt, dass John und Lou Feuerholz von der Straße holten, um damit die Wohnung zu heizen. „Es war nicht besonders romantisch dort“, sagte sie später über die Wohnung. „Es stank.“

      Der erste Auftritt der Velvet Underground fand am 11. Dezember 1965 in der Summit High School in Summit, New Jersey, statt. Man hatte ihren Auftritt zwischen zwei Bands eingeschoben, den 40 Fingers und The Myddle Class. „Die Kids und ihre Eltern, die sich dort im Zuschauerraum versammelten, waren durch nichts auf das vorbereitet, was sie an diesem Abend erwartete“, schreibt Rob Norris, ein Student der Summit High. „Der einzige Hinweis darauf bestand in einer Gruppe bizarr aussehender Leute, die direkt vor der Bühne herumhingen.“

      Was den zarten Klängen, die die 40 Fingers ihren Gitarren entlockt hatten, folgte, war eine Performance, die jeden, der sich außerhalb des Avantgardezirkels der Lower East Side befand, schockiert hätte. Der Vorhang erhob sich für die Velvet Underground und gab den Blick auf vier langhaarige Personen frei; sie waren schwarz gekleidet und standen seltsam unwirklich hinter einer Vielzahl eigenartig aussehender Instrumente auf der Bühne. Maureen, eine knabenhafte, hermaphroditische Erscheinung, gab sofort Anlass zu Spekulationen, ob es sich hier um Männlein oder Weiblein handelte. Sterlings große, kantige Gestalt bewegte sich nervös im Hintergrund der Bühne von der einen auf die andere Seite. Lou und John, beide mit Sonnenbrillen, starrten ausdruckslos auf die erstaunten Studenten, Lehrer und Eltern, während sich John an seiner sonderbaren Viola zu schaffen machte. Als sie die Eröffnungsakkorde des kakophonischen „Venus In Furs“ in einer Lautstärke anschlugen, in der noch niemals jemand in diesem Raum Musik gehört hatte, rundeten sie damit ihr Image ab, das man, ohne zu übertreiben, als bizarr und erschreckend bezeichnen kann. „Alle waren wie erschlagen von dem kreischenden, bedrängenden Sound, dessen pochender Beat lauter war als alles, was wir je zuvor gehört hatten“, fährt Norris fort. „Nachdem der zweite Song, vom Sänger unter dem Titel ‚Heroin‘ angekündigt, etwa eine Minute angedauert hatte, wurde die Musik noch intensiver. Sie schwoll an und raste wie eine Flutwelle auf uns zu, die uns alle zu verschlingen drohte. An diesem Punkt angelangt, zog sich die Masse des Publikums, nun ganz und gar davon überzeugt, dass es sich bei Rock ’n’ Roll um eine äußerst gefährliche Sache handelte, in die Sicherheit ihrer Einfamilienhäuser zurück.“ Oder, wie Sterling es ausdrückte: „Ein Murmeln der Überraschung begrüßte uns, als sich der Vorhang hob, steigerte sich zu ungläubigem Gebrüll, als wir anfingen, ‚Venus‘ zu spielen, und schwoll zu einem wütenden, verwirrten Geheul an, als wir ‚Heroin‘ zu Ende gespielt hatten.“

      „Nach dem Auftritt der Velvets konnte man hinter der Bühne den Bratschenspieler der Band sehen, wie er sich überschwänglich bei den aufgebrachten Musikern von Myddle Class dafür entschuldigte, dass die ­Velvets das halbe Publikum verjagt hatten“, schließt Norris seinen Bericht ab. „Al Aronowitz betrachtete das Ganze mehr von der philosophischen Seite. Er sagte: „Jedenfalls habt ihr ihnen zumindest einen Abend beschert, der ihnen noch lange zu denken geben wird“, und er lud alle zu einer Party in seinem Haus ein.

      Nachdem er beobachtet hatte, dass die Gruppe eine besonders stimulierende und polarisierende Wirkung auf die Zuhörer ausübte, gab Arono­witz der Band den Rat, sich mehr Bühnenerfahrung anzueignen, indem sie ein Dauerengagement in einem der kleineren Klubs annahmen. Vier Tage später unterzeichneten sie für zwei Wochen im Café Bizarre, das sich in der MacDougal Street im New-Yorker Greenwich Village befand. „Wir spielten einige gecoverte Titel wie ‚Little Queenie‘, ‚Bright Lights, Big City‘, die schwarzen Rhythm&Blues-Songs, die Lou und ich mochten, und so viel von unseren eigenen Songs, wie wir hatten“, berichtet Sterling. „Wir brauch­ten dringend mehr eigenes Material, also setzten wir uns zusammen und arbeiteten, wir schrieben damals zum Beispiel ‚Run Run Run‘, alle diese Sachen. Normalerweise schrieb Lou irgendwelche Texte, und daraus entwickelte sich dann etwas beim Improvisieren. Lou war ein erstklassiger Stegreiftexter. Ich erinnere mich, dass wir den Weihnachtsbaum schon aufgestellt hatten, aber er war noch nicht geschmückt, denn wir waren vollauf damit beschäftigt, Songs zu schreiben, es blieb uns nichts anderes übrig, wir brauchten sie noch am gleichen Abend.“

      Diese zufälligen Ereignisse waren entscheidend für die Karriere der Band. Als Erstes entschlossen sie sich – anfänglich sehr zu Cales Kum-mer –, Maureen als Schlagzeugerin zu behalten, da so wenig Zeit zwischen den beiden Auftritten lag. Moe erinnert sich daran, wie sie mit John auf der Straße stand und er ständig vor sich hin sagte: „Keine Tussis in der Band. Keine Tussis.“ Zweitens war genau zu dem Zeitpunkt, als sie im Café Bizarre vor gleichgültigen Touristen zweimal pro Abend für fünf Dollar pro Mann aufspielten, der Popkünstler und Unternehmer Andy Warhol auf der Suche nach einer Gruppe. Diese sollte in einem Nachtklub auftreten, um dessen Management Andy von dem Theaterimpresario Michael Myer­berg (er hatte 1956 Becketts Warten auf Godot in die Staaten gebracht) gebeten worden


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