Lou Reed - Transformer. Victor Bockris

Lou Reed - Transformer - Victor Bockris


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und immer wieder dasselbe Lied. Alle, die damals als Rock’n’Roll-Band auftraten, hatten ein genau festgelegtes Programm. Wir dagegen wollten unbegrenzt improvisieren – ich dachte, damit könnte man allen besonders gut auf die Nerven gehen.“

      Während sich Lou in die verstörten Träume und Schreie seiner Musik einpuppte wie in einen Kokon und sich, wie es ein Freund sah, zu einer neuen Ebene des Zorns und der Coolness aufschwang und zunehmend durchdrehte, fing er an, sich von seiner Vergangenheit zu distanzieren. Zwar borgte er sich noch ab und zu das Auto seiner Mutter und fuhr damit in einen zwielichtigen Stadtteil, um Drogen zu besorgen; zwar stattete er ­seinen Eltern immer noch gelegentlich einen Besuch ab oder rief sie an (hauptsächlich, um seinen Hund zu sehen oder um sich nach seinem Wohlbefinden zu erkundigen, wie ein Freund meinte); doch nach und nach brach er alle Kontakte zu den Leuten, die er aus Syracuse und der Zeit davor kannte, konsequent ab. Der Erste, der dieser Aktion zum Opfer fiel, war der unverwüstliche Hyman. Er lebte inzwischen mit seiner Frau in Manhattan und studierte Jura und konnte nichts mehr für Lou tun (außer ihm vielleicht eine Mahlzeit spendieren). Mishkin hatte immer noch eine gewisse Funktion, da er ein großes Loft in Brooklyn besaß, wo Lou manchmal probte; außerdem hatte er eine Yacht namens Black Angel am Boat Basin in der 79. Straße liegen, wo sie sich manchmal trafen, aber der Kontakt, den er zu Lou noch unterhielt, kostete ihn ziemlich viel Nerven. „Zu der Zeit deprimierte er mich noch viel mehr als damals in Syracuse“, erinnert sich Mishkin. „Er entwickelte sich bereits zu dem, was er später werden sollte.“

      Es ist ganz normal, dass sich die Wege ehemaliger ­Klassenkameraden trennen, wenn sie neue Jobs annehmen und neue Freundschaften schlie­ßen. Die Trennungen, die wirklich schmerzhaft waren und vielleicht auch endgültiger, waren die von Leuten, die einen besonderen Einfluss auf Lou gehabt hatten oder die zu viel von ihm wussten.

      Nach einer Phase psychiatrischer Behandlung und Stabilisierung war Lincoln Swados wieder in der New-Yorker Szene aufgetaucht; er wohnte nicht weit von Lou entfernt, im East Village. Kurzzeitig machte er sich einen Namen als Comicstrip-Zeichner und Kabarettist. Aber schon bald schlug er Lou mit Leichtigkeit bei ihrem internen Wettstreit um den Titel des verrücktesten Zeitgenossen, als er vor die einfahrende U-Bahn sprang und dabei rief: „Ich bin ein sehr schlechter Mensch, ich bin ein sehr schlechter Mensch …“ Erst im letzten Moment trat er beiseite und überlebte – aber die Aktion kostete ihn einen Arm und ein Bein. Als Folge davon wurde er als verkrüppelter Straßenkünstler zum Unikum auf der Lower East Side. Lincolns Schwester Elizabeth, die eine erfolgreiche Karriere als Theater­auto­rin eingeschlagen hatte, war offensichtlich sehr aufgebracht, dass Lou nach diesem tragischen Ereignis eher noch mehr auf Distanz zu ihrem Bruder ging, anstatt sich verstärkt um ihn zu kümmern. Scharfsinnig interpretierte Lincoln jedoch die Motive seines Freundes. „Lou gibt nur vor, so zu sein wie wir“, sagte er seiner Exfreundin, der Journalistin Gretchen Berg. „Aber er ist nicht so, er ist jemand anderes. Er ist eigentlich ein Geschäftsmann mit ganz klaren Zielen, und er weiß genau, was er will.“

      Interessanterweise kam Delmore Schwartz im letzten Jahr seines Lebens zur gleichen Schlussfolgerung. Ein Klassenkamerad von Lou, der Schwartz eines Tages zufällig in Manhattan begegnete, war sehr erstaunt, als er feststellte, dass „er wirklich schlecht aussah. Er trug einen schwarzen Regenmantel, der aussah, als wären überall Zahnpastaflecken drauf. Er sah so aus, als hätte er getrunken, vielleicht war er auch betrunken. Und das Einzige, worüber er diskutieren wollte, war seine Abneigung gegenüber Syracuse; und dass Lou Reed und Peter Locke Spione seien, die von den Rockefellers bezahlt würden.“ Als Lou erfuhr, dass Schwartz im heruntergekommenen, flohverseuchten Dixie Hotel in der westlichen 48. Straße wohnte, besuchte er ihn und versuchte mit ihm zu reden, aber Delmore gab ihm eine volle Breitseite und schrie: „Wenn du noch mal hierherkommst, dann bring ich dich um!“ Erschüttert und verängstigt zog sich Lou zurück. „Er dachte, ich käme im Auftrag der CIA und sollte ihm nachspionieren, und ich hatte Angst, denn er war ziemlich kräftig. Er hätte mich wirklich umgebracht.“

      Die dritte wichtige Person in seinem Leben aus der Zeit in Syracuse, Shelley Albin, drehte den Spieß um und entfernte einfach Lou aus ihrem Leben. Sie heiratete einen Mann namens Ronald Corwin, der auf dem Syracuse College von 1963 bis 1965 als Chef der lokalen Abteilung von CORE [Congress of Racial Equality; eine Organisation, die sich für die Gleichberechtigung aller ethnischen Gruppen einsetzt; Anm. d. Ü.] ein wichtiger Mann gewesen war und infolgedessen von Lou immer als Klugscheißer bezeichnet wurde. Die Heirat war ein Schlag für Lou, denn obwohl er sie seit dem Sommer 1964 weder gesehen noch den Versuch dazu unternommen hatte, betrachtete er Shelley trotz allem noch immer als „seine“ Freundin. Jedenfalls war er seither keine tiefere Beziehung mehr mit jemandem eingegangen. Shelley blieb mindestens bis Ende der Siebzi­gerjahre ein Dorn in seinem Auge und inspirierte ihn zu einigen seiner eindrucksvollsten, aber auch gemeinsten Liebeslieder.

      Die einzigen Menschen, bei denen Lou nicht in der Lage schien, sie einfach aus seinem Leben herauszuschneiden, waren seine Eltern; alle seine Freunde erinnerten sich lebhaft an sie: als monsterhaftes Phantompaar, das sie niemals zu Gesicht bekamen, von dem aber die ständige Drohung ausging, Lou jeden Moment einsperren zu lassen (ungeachtet der Tatsache, dass Lou inzwischen dreiundzwanzig Jahre alt war und seine Eltern keine juristischen Möglichkeiten für ein solches Vorgehen mehr hatten).

      Ungefähr einen Monat, nachdem er begonnen hatte, mit Cale zusammenzuarbeiten, kam es zu einer jener Zufallsbegegnungen, die für den weiteren Weg einer Rockband oft entscheidend sind. Lou traf Sterling Morrison, seinen Freund aus Syracuse, der im West Village herumspazierte, und lud ihn in die Ludlow Street ein, um gemeinsam Musik zu machen. Zu diesem Zeitpunkt saß Angus MacLise bei ihren Sessions oft am Schlagzeug. Als Tony Conrad das nächste Mal vorbeikam, stellte er fest, dass sich die Beziehung Reed/Cale entwickelt hatte, seit MacLise und Morrison mit von der Partie waren. Allmählich kristallisierte sich etwas heraus, was man eine Band nennen konnte. Sie unternahmen auch erste Versuche, sich einen Namen zu geben, und nannten sich einige Monate lang The Warlocks (ein Name, der anfänglich auch von einer Westküsten­gruppe benutzt wurde, die sich später The Grateful Dead nennen sollten), und sie waren eifrig damit beschäftigt, ihre Proben auf Band aufzuzeichnen. Ihre Musik, über MacLise und Cale stark durch LaMonte Young beeinflusst, aber durch Reed und Morrison ebenso von Doo-Wop-Sound und weißem Rock, war ätherisch und leidenschaftlich.

      „Wir haben unsere Musik kollektiv entwickelt“, berichtet Sterling. „Lou kam mit ein paar hingekritzelten Versen an, und wir entwickelten gemeinsam die Musik dazu. So lief es fast immer. Wir probierten so lange, bis wir etwas wirklich Überzeugendes gefunden hatten. John versuchte, ein ernsthafter, junger Komponist zu sein; er hatte überhaupt keine Erfahrungen mit Rockmusik, und das war super, er hatte die ganzen Klischees nicht drauf. Wenn man seinem Bass zuhörte, kamen keine der üblichen Grifffolgen, das war sehr exzentrisch. ‚I’m Waiting For The Man‘ war völlig verrückt. Es war sehr aufregend, mit John zusammenzuarbeiten.“

      Die Band widmete sich ihrer gemeinschaftlichen Berufung mit fast religiö­ser Hingabe; sie wollten keine Kompromisse eingehen, um sofort Erfolg zu haben, sie wollten sich abheben, der Band eine eigene Aussage geben, niemals versuchen, irgendjemanden außer sich selbst zufrieden zu stellen, und niemals einen Song zweimal auf die gleiche Weise spielen. Die Band erforschte und beschäftigte sich mit musikalischen Traditionen, die ihre Zeitgenossen aus den Augen verloren hatten, und verwarf eindeutig die damals üblichen musikalischen Gepflogenheiten. „Wir hatten wirklich eine Richtlinie“, erklärt Lou. „Jeder, der ein Bluesmotiv spielte, wurde bestraft. Alle waren verrückt nach den alten Bluessängern, aber sie vergaßen die ganzen Gruppen, wie die Spaniels zum Beispiel, solche Leute. Aufnahmen wie ‚Smoke From Your Cigarette‘ und ‚I Need A Sunday Kind Of Love‘, ‚Wind‘ von den Chesters, ‚Later For You Baby‘ von den Solitaires. Diese irren Platten, die sich keiner mehr anhörte, steckten hinter allem, was wir spielten. Keiner bekam das so richtig mit.“

      Alle stimmten darin überein, dass ihr erster richtiger Erfolg, das musikalische Arrangement betreffend, „Venus In Furs“ war. Als Cale zum ersten Mal die Viola hinzufügte und sie gegen den harten Sound von Lous „Ostrich“-Gitarre setzte, unlogisch und krächzend, überlief ihn ein warmer Schauer der Erkenntnis. Er wusste, das war ihr Sound, und er war stark.

      Cale, der dem ursprünglichen Sound das manische Element hinzufügte,


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