Queen intim. Peter Hince

Queen intim - Peter Hince


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aus, trocknete sich ab, zog sich ein neues Kostüm an, nahm eine Erfrischung zu sich und lutschte eine Strepsil, ein antibakterielles Hals- und Rachenmedikament. John spielte keine Soli (Bass-Soli sind sogar noch schlimmer als ein Schlagzeugsolo!), ging von der Bühne, nahm die Zigarette, die ich für ihn angesteckt hatte, und schlenderte hinter die Türme der Bassanlage und inhalierte ein paar Züge. Allerdings mit kurzen Unterbrechungen, denn während des ausführlichen Gitarrensolos warf er Erdnüsse in Richtung Brian.

      Ungefähr in der Mitte der Show führten Queen ein akustisches Intermezzo auf: Zeit also, sich am vorderen Bühnenrand auf Barhocker zu setzen, wobei Roger manchmal nach vorne kam, den Schellenkranz oder die Bass-Drum im Rhythmus spielte oder sang. Für Fans bedeutete das die einzige Chance, RMT (Roger Meddows Taylor) deutlich zu sehen, abgesehen von seiner Verbeugung am Ende des Auftritts. Unglücklicherweise sah er sie nicht sonderlich gut, denn Roger hatte eine schlechte Sehkraft und musste Kontaktlinsen tragen, was er nicht immer machte. Als er im Studio in Montreux eine Nummer im New-Orleans-Bluesstil übte, verpasste man ihm 1978 den Namen Blind Melon Taylor. Roger hatte viele Spitznamen, darunter den bekanntesten: Rainbow Man. Als das am meisten modebewusste Mitglied von Queen kaufte er sich ständig neue Klamotten, häufig in sehr klaren und knalligen Farben, die er zu allem Überfluss in den ungewöhnlichsten Kombinationen trug. (Er hätte sich damit problemlos für die Hauptrolle in dem Musical Joseph And The Technicolor Dreamcoat bewerben können.)

      Hier eine Liste von Spitznamen der Queen-Musiker:

      Freddie: Kermit – nach dem Muppet-Charakter Kermit, der Frosch. Während Freds „Ballett-Periode“ 1977 trug er meist weiße Trikots. Wenn er unter grünen Scheinwerfern stand, ähnelte sein geschmeidiger Körper in dem knallengen Kostüm der Muppet-Puppe – speziell, wenn er sich auf die Stufen des Bühnenaufbaus setzte. „Na, Fred, schon die halbe Leiter hoch?“ (Allerdings traute sich niemand, ihn mit Kermit anzusprechen oder einen Witz über einen Wetterfrosch zu machen.) Nach einem Interview mit Fred während dieser Zeit konnte sich der NME nicht die Schlagzeile verkneifen: „Ist der Mann ein Volltrottel?“ Man kann sich gut vorstellen, dass er sich nicht sonderlich darüber freute, was zu einer langen und angespannten Beziehung mit der Presse führte. Meist sprach ihn die Crew einfach mit Fred an, doch wenn er launisch war, wurde aus ihm der „Schurke mit den Goofy-Zähnen“. Agierte er noch schwieriger, tauchten alle nur erdenklichen unschönen Schimpfwörter auf, darunter sogar „Pferdchen“. Natürlich hatte das überhaupt nichts mit seinen Zähnen zu tun, sondern mit der Begeisterung für den geschmeidig tanzenden und in Russland geborenen Balletttänzer Vaslav Nijinsky.

      „Wer?“, fragte die Crew. Gewann der nicht einige Pferderennen?

      Wie dem auch sei, der Mann war eine große Inspiration für ihn. Fred benutzte ähnliche Kostüme bei den Konzerten von Queen, darunter ein schwarz-weiß gemustertes. Mary Austin, seine langjährige Freundin, die 1977 noch mit ihm zusammenlebte, schenkte Freddie (sie nannte ihn niemals Fred) einmal ein glänzendes, schweres Coffeetable-Buch über Nijinsky. Sie hatte eine Widmung in das Buch geschrieben: „Für den wahren Künstler, der du bist.“

      Nicht zu vergessen das Rennpferd namens Mercury, das ein Vollblüter wie Fred war und zahlreiche Preise einheimste.

      Brian: Percy – nach Percy Thrower, dem ersten britischen TV-Gärtner. Brian war versessen auf die Natur und die Arbeit im Garten. 1976, als ich einmal nachts noch Equipment zu seinem Londoner Haus lieferte, öffnete er mir die Tür in zerlumpter Kleidung, eine Taschenlampe in der Hand und in der Mähne kleine Zweige und Blätter. Er kroch tatsächlich noch in der Dunkelheit im Garten herum, um seine geliebten Pflanzen und Bäume zu pflegen. Aufgrund seiner Astrophysik-Studien und der Beschäftigung mit der Infrarot-Astronomie hätte man ihm eigentlich den Titel „Infrarot-Gärtner“ verleihen müssen.

      John: Birdman oder Deaky (erklärt sich von selbst, da der letzte eine Abkürzung seines Namens ist). Zu Beginn der US-Tournee hatte sich John die Haare im Militärstil schneiden lassen und sah wie The Bird Man Of Alcatraz (dt. Der Gefangene von Alcatraz) aus. Er nahm die Hänseleien auf die leichte Schulter und trug die ihm von der Crew gekaufte Häftlingskleidung bei der Zugabe.

      Die schwulen Mitarbeiter der Crew hatten eine eigene Art, sich Spitznamen auszusuchen, indem sie den männlichen Mitgliedern der Entourage und anderen „Freunden“ Frauennamen verliehen. Für sie war jeder Mann eine „Sie“.

      Andere Spitznamen von Queen:

      Freddie Mercury: Melina (Melina Mercouri – griechischer Filmstar).

      Brian May: Maggie (Maggie May – Song von Rod Stewart).

      Roger Taylor: Elizabeth (Schauspielerin Elizabeth Taylor).

      John Deacon: Belisha (Belisha Beacon …?).

      Mich nannte man Helen. Bitte keine weiteren Fragen.

      Der Höhepunkt des Akustik-Intermezzos war erreicht, wenn Fred und Brian eine vereinfachte Fassung von „Love Of My Life“ spielten – für das Publikum war es dann an der Zeit, mitzusingen, und das war ein eindeutiger Höhepunkt der Show. Auf einer Tournee konnte man schnell überheblich und blasiert gegenüber den Zuschauern werden, speziell wenn die Gewinnerarroganz einsetzte. 130.000 Menschen in einem Stadion in einer für sie fremden Sprache perfekt singen zu hören, war aber etwas Besonderes. Es mag sich jetzt wie ein altes Klischee anhören, doch Musik überwindet alle Barrieren und Grenzen.

      Mittlerweile ging es mit voller Kraft dem Finale entgegen. Die Band spielte große Hits wie „I Want To Break Free“, Rocker für Headbanger wie „Hammer To Fall“ und Songs wie „Radio Ga Ga“, bei denen die Menge mitklatschen konnte. Bei den Konzertproben hatte Fred das Wort „Radio“ durch das sich reimende „Fellatio“ ersetzt. Das löste bei der Band einen wahren Lachanfall aus, doch die Zuschauer bekamen niemals die Chance, sich dem in vollen Zügen hinzugeben. Fred liebte es, zu überraschen und zu provozieren, doch vor allem liebte er Auftritte und besonders leidenschaftliche und gute Auftritte.

      Lediglich bei einem Konzert enttäuschte er mich auf der Bühne, denn sonst war er immer ein Profi par excellence.. Es war das einzige Konzert in Neuseeland, das Queen je spielten, und fand im Mount Smart Stadium in Auckland statt. Neuseeland – ein wunderschönes Land, doch kaum ein Paradies für Rock-Tourneen, da es an Clubs, Drogen und leichten Mädchen mangelte. Wir vermuteten, dass die Regierung bei der Einwanderungskontrolle ein Schild aufgestellt hatte: Bitte geben Sie hier ihre Genitalien ab – Sie werden sie während des Aufenthalts nicht benötigen. Es sei denn, man mag Schafe. Die gab es dort in reicher Auswahl.

      Als Fred bei der Eröffnungsmelodie vom Band am Bühnenrand auftauchte, war er zu spät dran und zudem noch offensichtlich betrunken. Hatte er sich gelangweilt oder war er schlecht beeinflusst worden? Beides! Tony Williams alias Mr Hyde, unsere Garderoben-„Tussi“, trug dafür die Schuld, denn er hatte ihm die Hosen verkehrt herum angezogen, was tatsächlich erst auf dem langen Weg zur Bühne aufgefallen war. Er war die meiste Zeit selbst sturzbesoffen, ihn plagte häufig das klassische Alkoholikerzittern und er musste fragen: „Mein lieber Junge, könntest du mir beim Einfädeln zur Hand gehen?“ Ein liebenswerter Mann, der sich im Suff aber in Mr Hyde verwandelte. Dann wurde die Freundschaft zu ihm ein regelrechter Vollzeitjob.

      Zu Beginn der Show kicherte Fred ständig und vergaß den Text. Er hatte kein Zeitgefühl mehr und fragte mich sogar, welche Songs als nächstes kamen – und wie man sie spielte! Trotzdem wurde die Show kein Desaster und einige der Stücke liefen sogar ganz gut, doch gelegentlich verlor Fred die Kontrolle, worunter die anderen Musiker litten. Als Zugabe spielten Queen den Elvis-Presley-Klassiker „Jailhouse Rock“, wozu man Tony auf die Bühne bat – nicht den betrunkenen „Garderoben-Tony“, der wahrscheinlich geglaubt hätte, mitgrölen zu dürfen, sondern Tony Hadley, den Sänger und Frontmann von Spandau Ballet. Tony, der damals eine kurze Tourneepause einlegte, ist ein großartiger, unprätentiöser Typ, der aber leider nicht den Text kannte. Ein Rockstar, der den Text von Elvis Presleys „Jailhouse Rock“ nicht kennt?

      Während ich hinter Freds Piano hockte und ihm dabei zusah, wie er sich die Seele aus dem Leib sang, blickte ich manchmal ins Publikum und stellte mir Fragen über das Leben, den Tod und meinen persönlichen Lebensweg. Was soll ich machen? Welchen Sinn hat das Leben? Warum mache ich das hier?


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