Dave Gahan. Trevor Baker
Parts mehr oder weniger mit einem einzigen ausgestreckten Finger spielen ließen. Außerdem spürte er instinktiv, dass er nicht ganz zu Dave, Martin und Fletch passte. Sie kamen aus Basildon, und man merkte es ihnen an. „Alle ihre Freunde stammten aus Basildon, und Alan kam aus einem leicht anderen, in ihren Augen etwas zu bürgerlichen Milieu“, sagte Daniel Miller. „Er war musikalisch sehr bewandert und reagierte zu Anfang etwas hochnäsig darauf, dass ihr gesamtes Material nur monophones Ein-Finger-Zeug war.“
„Es war ein bisschen kompliziert“, sagte Alan später. „Ich komme sozusagen aus der Mittelschicht, sie aus dem Arbeitermilieu. Sie waren jung und wirkten sehr naiv. Musikalisch klangen sie ein wenig naiv, aber trotzdem irgendwie interessant, und ich war damals in einer recht verzweifelten Lage, in der ich so gut wie jedes Engagement angenommen hätte.“
Obwohl Depeche Mode nach dem Weggang von Vince ebenfalls in einer unsicheren Lage steckten, so waren sie doch immerhin eine Band, die zwei Top-20-Hits gehabt hatte und kurz vor der Veröffentlichung eines mit Spannung erwarteten Debütalbums stand. Die Entscheidung kann für Alan also nicht gar so schwer gewesen sein, selbst wenn er fand, dass die anderen Bandmitglieder musikalisch ein bisschen unter seinem Niveau wären.
Der eigentliche Grund, warum Vince die Band verließ, könnte schlicht auch der gewesen sein, dass er dachte, er käme ohne sie besser voran. Damals war das ein nicht von der Hand zu weisendes Argument. Einer der Songs, den Depeche Mode als „Scheiße“ verworfen hatten, war das hervorragende „Only You“, mit dem Vince und Alison Moyet mit ihrer neuen Band Yazoo später einen riesigen Hit hatten. Die ersten beiden Yazoo-Singles – „Only You“ und das brillante „Don’t Go“, die beide bis auf die obersten Plätze der Charts kletterten – machten unmissverständlich klar, wer damals der fähigere Songwriter war. In einem Interview mit der Times sagte Alison Moyet 2008, Vince und ihr sei „bewusst“ gewesen, dass „Only You“ weit besser war als „See You“.
Obwohl sie es natürlich abstritten, teilten Depeche Mode dieses Bewusstsein zumindest ansatzweise. Sie waren einfach neidisch auf Vince, der einen Erfolg nach dem anderen zu haben schien. „Wir waren ein bisschen eifersüchtig“, gestand Dave Jahre später. „Der erste Song, den sie herausbrachten, ‚Only You‘, war ein Song, den er eigentlich mit uns hatte machen wollen. Ich dachte damals: ‚Nein, den nicht.‘ Dann wurde er jedoch zu einem Riesenhit.“
Für Mute erwies sich die Trennung als Gewinn, denn Daniel Miller hatte nun zwei bekannte Bands unter seinen Fittichen. Vince’ Yazoo waren ausgesprochen erfolgreich, und sein Weggang bei Depeche Mode bot eine Chance für Martin. Trotzdem war die Stimmung bisweilen noch recht angespannt, wenn sie sich im Büro von Mute zufällig über den Weg liefen. Sie wussten jedoch, dass es besser war, den Ball flach zu halten. Sie alle kannten Alison Moyet noch von der Schule in Basildon und hatten großen Respekt vor ihr.
„In der Schule war sie in unserer Klasse“, sagte Fletch. „Sie war die beste Kämpferin in jenem Jahr! Als wir einmal in diesem kleinen Büro bei Mute waren, dachte sie, wir hätten über sie gelacht, und sagte: ‚Fletch, wenn du noch einmal über mich lachst, dann trete ich dir in die Eier.‘ Lache niemals über Alison Moyet.“
Als Speak And Spell schließlich erschien, erreichte das Album die Top 20, doch die Nachrufe auf Depeche Mode lagen bereits fertig in der Schublade. Die beiden Songs, die Martin für das Debütalbum geschrieben hatte, „Tora, Tora, Tora“ und das Instrumentalstück „Big Muff“, waren zwar ganz gut, doch es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass er solche Hits schreiben konnte wie Vince Clarke. Es war allerdings auffällig, dass „Tora, Tora, Tora“ einen dunkleren, schmutzigeren Sound hatte als alles, was Vince je verfasst hatte. Rückblickend war der Song dem Stil, für den sie heute stehen, wesentlich ähnlicher.
Damals indes stieg Alan in eine Band ein, die der Inbegriff einer seichten Pop-Gruppe war. Ihre Videos wurden in der Regel in den leuchtenden Primärfarben des Kinderfernsehens gehalten, und ihre Fotoserien waren sehr oft schlichtweg peinlich. Allerdings war das ein Erfolgsrezept, das sich bewährte.
„See You“ erschien Anfang 1982 und gelangte zu ihrer Erleichterung in die Top 10. Bizarrerweise lief die Single viel besser als der qualitativ überlegene Vorgänger „Just Can’t Get Enough“, was von der großen Loyalität ihrer Teenie-Fangemeinde zeugte. Der Erfolg von „See You“ war ein gewaltiger Ansporn. Er bewies, dass die drei es auch alleine schaffen konnten. Es verleitete sie außerdem zu der – rückblickend betrachtet falschen – Annahme, sie bräuchten nun auch keinen zusätzlichen Keyboarder im Studio. Alan unterstützte sie lediglich auf der Bühne. Anfangs zahlten sie ihm wöchentlich eine bestimmte Summe. Der erste Auftritt mit ihm fand im Januar 1982 im Croc’s statt. Sie hatten keine Zeit, zu überlegen, was sie tun sollten, oder in welche Richtung sich die Band bewegte. Direkt nach dem Auftritt im Croc’s brachen sie nach New York zu ihren ersten Konzerten in Amerika auf.
Es sah aus wie eine große Chance: Das Jahr 1982 markierte den Beginn der so genannten „Zweiten Britischen Invasion“. Seit der Gründung von MTV hatten britische Bands – die in aller Regel ihr Image besser pflegten als ihre amerikanischen Kollegen – gewaltigen Erfolg in den Staaten. Gruppen wie Duran Duran, Culture Club, Wham! und ABC wurden rasch zu Superstars. Auf dem Höhepunkt der Zweiten Britischen Invasion waren 18 der Top-40-Singles in den amerikanischen Billboard-Charts britische Produktionen.
Die Konzerte von Depeche Mode liefen hingegen nicht besonders gut. Mute beschloss, sie zu ihrem ersten Auftritt im New Yorker Ritz Club mit einer Concorde einzufliegen. Nach diesem gelungenen Start ging es mit der Unternehmung jedoch leider sehr schnell bergab. Dave bereute inzwischen eine seiner Jugendsünden. Er war mit seiner Freundin Joanne sehr fest zusammen. Kurz vor dem Abflug ließ er sich die schlechteste seiner alten Tätowierungen entfernen. Dies hinterließ eine böse Narbe, die so schwer anschwoll, dass er mit einem Arm in der Schlinge auftreten musste. Auf der Bühne hatten sie andauernd Probleme mit der Technik und sahen sich einem Meer enttäuschter Gesichter gegenüber. Es war wie eine Bestätigung für den durchschnittlichen amerikanischen Rock-Fan, dass Synthesizermusik eben doch keine „richtige“ Musik war.
Das allein wäre vielleicht noch nicht einmal ein so großes Problem gewesen, doch haperte es zudem auch an ihren frühen Videos, die berüchtigt für ihre miserable Qualität waren. Das vielleicht seltsamste davon war „See You“. Sie engagierten Julien Temple als Regisseur, der damals vor allem durch seinen Film über die Sex Pistols, The Great Rock And Roll Swindle, ein Begriff war. Später drehte er viel beachtete Dokumentationen, darunter ausgezeichnete Filme über Joe Strummer oder das Glastonbury-Festival. Er war also keinesfalls der typische Pop-Regisseur, trotzdem warf man ihm später oft vor, die Videos zu „See You“ und anderen Depeche-Mode-Singles hätten dem Ruf der Band geschadet.
Das Problem war vielleicht, dass er sie so drehte, als wären sie kleine Spielfilme. Daran wäre grundsätzlich nichts auszusetzen gewesen, aber die Bandmitglieder waren keine Schauspieler, sodass die Ergebnisse für viele Beobachter ziemlich unbeholfen wirkten. In „See You“ betritt Dave beispielsweise eine Fotokabine und starrt wehmütig ein paar Bilder seiner Angebeteten an, die er offenbar vermisst. Dabei sieht er aus, als wäre er am liebsten irgendwo anders, nur nicht in dieser Kabine.
„Schon von Anfang an war es uns verhasst, dass wir Videos drehen mussten“, sagte Martin 1993. „Wir hatten nie das Gefühl, dass wir uns auf die Regisseure verlassen konnten. Man begibt sich aber vollkommen in die Hand des Regisseurs. Man hat beim Dreh keine Vorstellung davon, wie es einmal aussehen wird. Man sieht das Video erst, wenn es fertig ist, und dann ist es zu spät, um noch irgendetwas zu ändern. Dann muss es raus.“
Während der ersten paar Jahre traten Depeche Mode regelmäßig live auf. Unter anderem gelang dabei eine triumphale Rückkehr ins Bridge House in Canning Town. Es war eine ganz andere Angelegenheit als damals, als sie noch Mühe hatten, eine Handvoll Leute zusammenzutrommeln. Obgleich es offiziell ein „geheimer“ Auftritt war, drängten sich bereits Hunderte von Fans vor der Tür, als die Kneipe um die Mittagszeit öffnete. „Es war unglaublich, wie viele Leute schon um ein Uhr mittags da waren“, sagt Terry Murphy. „Ich musste sie hinauswerfen und das Eintrittsgeld vorab bezahlen lassen, damit sie später wiederkommen konnten. Es war der helle Wahnsinn.“
Die rasante Entwicklung ihrer