Dave Gahan. Trevor Baker

Dave Gahan - Trevor Baker


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Soho statt, zusammen mit den Performancekünstlern der Event Group. Das Hauptziel des Cabaret Futura war es, gleichzeitig zu provozieren und zu unterhalten. Eine der Lieblingsgruppen der Veranstalter nannte sich A Haircut, Sir? (einen Haarschnitt gefällig, der Herr?), bei deren Auftritten ein Gruppenmitglied kopfüber von einem Mast gehängt wurde und rituell den Kopf rasiert bekam. Der Macher des Cabaret Futura, Richard Strange, schrieb auf seiner Homepage über die Truppe: „Neben dem festen Kern aus diesen zwei Mitgliedern gehörten manchmal auch acht E-Bassisten oder zweiundzwanzig Kricketspieler in voller Montur zu der Gruppe.“

      Das war von dem, was Depeche Mode machten, meilenweit entfernt. Während sie spielten, bemerkten sie zu ihrem Entsetzen, dass von den Balkonen über ihnen etwas herunterspritzte, das aussah wie Urin. Sie hofften inständig, dass es nur eine gelbe Flüssigkeit war, die die Event Group mit Schläuchen auf sie nieder regnen ließ. Es war ein Hinweis darauf, dass der weit gefasste Begriff des Futurismus auch solch extreme Performancekünstler wie Throbbing Gristle mit einschloss. Depeche Mode hatten noch beileibe nicht alle davon überzeugt, dass sie ganz anders waren.

      Ein neuer Fan jedoch, der DJ Rusty Egan, war überzeugt, dass etwas Besonderes aus ihnen werden könnte. Auch er versuchte sofort, sie unter Vertrag zu nehmen, wie er dem Autor dieses Buches erklärte. „Ich sah Depeche Mode bei diesem Auftritt und fand sie neu und originell und brillant und flippte aus und versuchte, sie unter Vertrag zu nehmen und Stars aus ihnen zu machen. Also sagte ich: ‚Ich finde euch toll, ich möchte, dass ihr für mich spielt, ich möchte, dass ihr dieses und jenes macht.‘“

      Rusty war der Schlagzeuger der Rich Kids gewesen, jener Band, die Glen Matlock nach den Sex Pistols gegründet hatte, doch inzwischen war er durch und durch ein Jünger der neuen Elektronik-Welle. Er war neben Steve Strange als DJ im Club The Blitz äußerst einflussreich und veranstaltete in weniger hippen Stadtteilen Londons zahlreiche Clubnächte. Das seiner Meinung nach gekünstelte Gehabe und Getue großer Teile der Avantgarde-Musikszene war ihm zuwider. Vielmehr hatte er sehr klare Vorstellungen davon, was Popmusik war und was nicht.

      „Was mich betraf, war ‚The Model‘ von Kraftwerk ein Pop-Song und hätte eine Nummer eins werden sollen“, sagt er. „Ich interessierte mich aber nicht für Tangerine Dream, sondern für Popmusik, die von Engländern auf Synthesizern gespielt wurde – und nicht für Giorgio Moroder, der für kränkliche Divas Discomusik produzierte.“

      Die von den Blitz Kids geschaffene Szene war äußerst elitär, doch paradoxerweise war es eine demokratische Elite. Jeder konnte sich anschließen, wenn er sich denn die Mühe machen wollte. Depeche Mode entsprachen nicht dem, was man sich unter coolen Szenetypen vorstellt, doch die Musik, die sie spielten, hinterließ bleibenden Eindruck. Rusty Egan war überrascht, wie weltfremd sie waren. Er war den Umgang mit den extrem selbstbewussten New Romantics und Futuristen gewohnt. Depeche Mode wirkten wie nette Jungs.

      „Sie waren die nettesten, höflichsten und freundlichsten Typen, die man sich nur vorstellen konnte“, sagt er. „Dave war mit einem Paar Handschellen an seine Freundin gekettet, im übertragenen Sinne. Sie folgte ihm überall hin, und sie waren sehr verliebt. Da hieß es dann: ‚Das kann ich nicht beantworten, da muss ich zuerst mit meiner Freundin reden.‘ Das waren keine vier jungen Burschen, die es wirklich wissen wollten und Dinge sagten wie ‚Gehen wir zu mir nach Hause und unterhalten uns ein bisschen‘ oder ‚Kommt, wir hauen uns die Nacht um die Ohren‘. Vielmehr hieß es: ‚Nein, da muss ich mit meiner Freundin sprechen.‘“

      Rusty sagte Dave, er könne ihnen Auftritte im Flicks besorgen, seinem Club in Dartford, doch das Croc’s war immer noch ihre wichtigste Bühne. Es war zwar nur eine Kopie des Blitz, was aber nicht bedeutete, dass es ein schlechterer Club gewesen wäre, da die New-Romantics-Bewegung im Großen und Ganzen eine Erscheinung der Vororte war. Zu den Stammgästen gehörten Boy George und Culture Club, doch Depeche Mode wurden schließlich zu den Stars ihrer eigenen kleinen Szene.

      „Es war eben das Blitz in der Pampa“, sagt Rusty Egan. „Man darf nicht vergessen, was das Blitz war – ein Club für arbeitslose Leute aus der Arbeiterschicht, die sich in irgendeiner Form für talentiert hielten und dachten, sie könnten sich einbringen. Der No-Future-Schick war vorbei, drei Millionen Leute hatten keinen Job. Es war die Zeit, als Factory Records und Manchester und diese ganzen grauen, trostlosen Orte auf einmal einen neuen Sound — Industrial — hervorbrachten, der zum Grundstein von Mute Records wurde. Im Croc’s traf man genau dieselben Leute wie im Blitz.“

      Im Croc’s begegneten Depeche Mode auch immer wieder Stevo vom Some-Bizzare-Label. Stevo gefiel „Photographic“, und sie waren überrascht, dass er die Band als Teil seiner ungewöhnlichen, verschrobenen Pop-Szene betrachtete. Er war gerade dabei, eine Compilation mit Bands wie Soft Cell und Blancmange zusammenzustellen, die den schlichten Titel Some Bizzare tragen sollte. Er und Rusty hatten beide ein Faible für elektronische Musik, aber Stevos Geschmack war wesentlich ausgefallener.

      „Er hielt sich für einen großartigen DJ“, sagt Rusty. „Er legte Cabaret Voltaire auf und erklärte, wie genial diese Musik doch sei. Ich hingegen meinte: ‚Ja, aber das fegt die Tanzfläche leer, Stevo!‘ Man muss Platten auflegen, zu denen die Leute tanzen können. Er spielte Platten von Suicide und Throbbing Gristle, die regelmäßig die Tanzfläche leerten.“

      Zu diesem Zeitpunkt waren Depeche Mode in Sachen Musikgeschmack eher mit Rusty auf einer Wellenlänge. Als Stevo vorschlug, „Photographic“ in seine Compilation aufzunehmen, waren sie erfreut, aber auch ein wenig verwirrt.

      „Wir sind keine bizarre Band“, protestierte Vince.

      Außerdem wollte Steve sie für eine Albumproduktion auf seinem Label unter Vertrag nehmen. Er konnte ihnen sogar einen Platz im Vorprogramm von Ultravox in Aussicht stellen, was durchaus verlockend war. Das Ganze hätte zu einer vertrackten Situation führen können, da Stevo im Bridge House eine Clubnacht veranstaltete und oft mit Daniel Miller zusammenarbeitete. Am Ende ging der Mute-Chef siegreich aus dieser Schlacht hervor. Er begriff, was Depeche Mode wollten – nämlich schlicht und einfach eine Platte herausbringen.

      Obgleich sie Stevo und Terry Murphy respektierten, schien es viel einfacher, es mit Mute zu versuchen. Große Plattenfirmen empfanden sie ohnedies als verwirrend. Die Abmachung mit Daniel wurde einfach per Handschlag besiegelt, aber sie waren glücklich damit. Später munkelte man, dieser Deal solle sogar noch besser als der gewesen sein, den Paul McCartney für sich ausgehandelt hatte.

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      Das Konkurrenzgerangel von Daniel Miller und Stevo um einen Vertrag mit Depeche Mode wurde schließlich beigelegt, als bei Stevo mit Soft Cell die andere große Pop-Hoffnung der Futuristen-Szene unterschrieb und Daniel sich bereiterklärte, beide Bands für das Album Some Bizzare zu produzieren. Nachdem Depeche Mode „Photographic“ neu aufgenommen hatten, nahm Miller sie mit in das Blackwing Studio im Süden von London, um dort mit ihnen ihre erste Single für Mute zu produzieren: „Dreaming Of Me“. Das Blackwing Studio war eine umfunktionierte Kirche in den Londoner Docklands und gehörte Eric Radcliffe, dem Yazoo später mit ihrem Album Upstairs At Eric’s ein Denkmal setzten. Er war einer der wenigen Toningenieure, die sich damals für synthetische Musik begeisterten und gewillt waren, Bands experimentieren zu lassen.

      Insgesamt lief alles weit besser, als sie erwartet hatten. Die Fortschritte von Depeche Mode brachten allerdings neue Probleme mit sich. Insbesondere Dave stand vor einem Dilemma: Ihm gefiel es am Southend Art College viel besser als in der Schule, und es sah so aus, als hätte er seinen Weg gefunden. Er hatte bereits den British Display Society Award gewonnen, für ihn die Eintrittskarte ins „ordentliche“ Berufsleben als Schaufensterdekorateur eines großen Geschäfts in London. Leider hatte er die Ausbildung noch nicht abgeschlossen und schwänzte regelmäßig tagelang, um mit der Band zu proben. Schließlich blieb der Collegeleitung nichts anderes übrig, als ihn vom Unterricht auszuschließen.

      Es war ein Augenblick großer Sorge. Dave konnte jedoch sehr überzeugend sein, und es gelang ihm, eine Trainee-Stelle in einer großen John-Lewis-Filiale auf der Oxford Street zu ergattern. Alle Mitglieder von Depeche Mode hatten damals feste Jobs. Martin arbeitete bei einer Bank, und Andy hatte einen gut bezahlten Job als


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