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zu meiner Familie völlig ab.
Wir sahen ihn nie wieder.
4: Die Schule der harten Hiebe
Ich besuchte die Birchfield Road School, eine damals moderne Hauptschule, in der man im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren unterrichtet wurde. Sie lag ungefähr vier Meilen von unserem Haus entfernt. Man konnte mit einem Schulbus dorthin fahren, doch der war oft überfüllt. Außerdem kostete die Fahrt einen Penny, den ich mir lieber sparte, indem ich zu Fuß ging.
In der Schule begegnete ich Albert, meinem ältesten Freund, und Ozzy, der einen Jahrgang unter uns war. Albert lebte in der Nähe der Birchfield Road. Ich besuchte ihn regelmäßig zum Mittagessen. Natürlich kam er auch gelegentlich zu uns. Damals pflegte ich keine großartigen Freundschaften, denn ich durfte nur selten raus. Meine Eltern verboten es mir. Mum und Dad ließen sich von ihrem Kurs nicht abbringen und behandelten mich wie ein rohes Ei. Sie waren fest davon überzeugt, dass ich irgendeinen Scheiß anstellen würde, wenn ich rausginge, und meckerten: „Bring bloß keinen Ärger nach Hause.“
Ich musste mich also damit abfinden, die meiste Zeit in meinem Zimmer zu verbringen. Auch heute stört es mich nicht, allein zu sein. Ich mag die Gesellschaft anderer Menschen, doch sie ist für mich keine zwingende Notwendigkeit.
Meine Eltern sorgten sich nicht umsonst. Von unserem Laden aus konnten wir über die Straße hinweg auf ein paar Reihenhäuser blicken. Daneben lag ein riesiger Schutthaufen. Ich weiß nicht, ob er noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammte oder von abgerissenen Häusern, doch wir nannten ihn den „zerbombten Trümmerhaufen“. Dort trafen sich die Gangs aus der ganzen Gegend. Es konnte schnell passieren, dass man die Straße runter ging und von den Halbstarken vermöbelt oder sogar abgestochen wurde. Ich ging gerne und oft spazieren und wurde schnell zu ihrem Lieblingsziel. Deshalb begann ich mit Kraftübungen und stemmte Gewichte. Ich wollte in der Lage sein, mich selbst zu verteidigen. Schließlich nahm ich Judo- und Karateunterricht und zusätzlich Boxstunden. Zuerst wollte ich mich nur besser wehren können, aber schon bald begann mir der Sport Spaß zu machen.
In der Schule hatten Albert und ich eine Gang, die aber nur aus uns beiden bestand. Wir trugen Lederjacken, auf deren Rückseite „The Commanchies“ stand. „The Commanchies“ – das waren wir beide. Die Schulleitung versuchte, uns das Tragen der Jacken zu verbieten, doch ich besaß keine anderen Klamotten, da Mum und Dad sich die verdammte Schuluniform nicht leisten konnten. Ich hätte sie sowieso nicht gerne angezogen! In meinem Kleiderschrank hingen nur die Lederjacke und eine Jeans.
Ich trainierte hart, und Albert war von Natur aus ein stämmiger Typ. Auf dem Schulweg stolzierten wir wie die Hähne, da sich niemand an uns ran traute. Die wussten alle, dass sie eine ganz schöne Naht verpasst bekommen würden. Sogar die älteren Kids ließen uns in Ruhe. In der Schule herrschte das Gesetz der totalen Gewalt. In der Vergangenheit waren dort bereits Schüler abgestochen worden, und so trug ich manchmal ein Messer bei mir. Ich verabscheue Gewalt, aber so lebte man damals als Teenager. Wenn man sich nicht sofort wehrte, stand schon der Nächste da und wollte einem an den Kragen. Ich musste mich dauernd mit jemandem prügeln.
In unserem Viertel herrschte die Aston-Gang, und sie drängte mich, bei ihnen mitzumachen. Ich muss damals etwa 13 gewesen sein, ging einige Male zu dem Trümmerfeld, aber letztendlich wollte ich nichts mit ihnen zu tun haben. Einige von den Typen klauten in unserem Laden, und so verbot sich das von selbst. Ich erwischte sogar einen von der Gang beim Stehlen. Er wohnte nur einige Häuser entfernt. Ich rannte dorthin und versuchte mit aller Macht die Tür einzutreten. Die Gewalt wurde zur einzigen Ausdrucksmöglichkeit, denn man konnte sich mit diesen Kerlen einfach nicht vernünftig unterhalten.
Vielleicht hätte sich die Gang an mir gerächt, doch da ich in der Gegend lebte, ließ sie mich in Ruhe. Sie hatte sowieso genug damit zu tun, die Truppe aus einem benachbarten Viertel zu bekämpfen. Ihre Feinde hatten schon ein Auge auf mich geworfen. Ich war zwar kein Mitglied der Aston-Gang, lebte aber dort und gehörte irgendwie zu ihnen.
Einige Jahre später schlich ich auf dem Weg zur Arbeit durch das feindliche Territorium. Ich ging immer an ihrem Anführer vorbei. Am Morgen war er ganz normal, aber in der Nacht – wenn sich seine ganzen Kumpel um ihn geschart hatten – verwandelte er sich. Der Trick bestand darin, blitzschnell durch die Straße zu rennen, damit ja niemand rauskam und einen entdeckte. Eines Nachts schaffte ich es nicht. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so viel Prügel einstecken müssen. Entweder du verteidigst dich, oder du steigst bei den Typen ein, was ich aber nicht wollte.
Früher hatte ich auf eine Karriere als Boxer gehofft. Vielleicht konnte ich ja Profi in einem Club werden. Ich träumte oft davon, auf einem Podest zu stehen und auf ein Riesenpublikum hinabzuschauen. In meiner Phantasie war ich ein umjubelter Profi-Boxer. Schließlich wurde das alles Realität, doch statt der Boxhandschuhe hielt ich eine Gitarre in den Händen.
Da mich die Schule nicht sonderlich interessierte, fielen meine Noten dementsprechend aus. Nach dem Elternsprechtag kam Mum immer wutentbrannt nach Hause und schimpfte mich aus: „Das ist fürchterlich, eine Schande! Was hast du in deinem Leben bisher erreicht?“
Mich juckte es nicht besonders, was die Lehrer und der Direktor über mich dachten, aber ich fürchtete mich vor der Reaktion meiner Eltern. Sie hassten es, wenn man Ärger machte, und sorgten sich ständig, was die Nachbarn wohl denken würden. Die Leute reden halt. Im Geschäft lief es dann so ab: „Oh, hast du gehört, was ihm oder ihr passiert ist? Die Polizei ist erst vor Kurzem bei ihnen aufgetaucht …!“
Alles drehte sich um den Tratsch. Sie wussten nicht, was außerhalb ihrer kleinen Straße vor sich ging, hatten aber jedes noch so winzige Detail über die Nachbarn parat. Wenn man schlechte Noten mit nach Hause brachte, verbreitete sich das wie ein Lauffeuer.
In der Schule setzten sie Albert und mich auseinander, weil wir ständig den Unterricht störten. Entweder beschossen wir andere Schüler mit Papierkügelchen, quasselten oder stellten sonst was an. Wir wurden oft vom Unterricht ausgeschlossen und mussten vor der Tür warten, bis die Stunde vorbei war. Wenn sie uns beide rausschmissen, stellten sie uns in die gegenüberliegenden Ecken des Flurs. Falls mal der Direktor vorbeikam und uns sah, drohte der Rohrstock. Oder es blühte einem das Nachsitzen, wobei sich die eine Stunde scheinbar in die Unendlichkeit zog.
Der Direktor drosch mit seinem Stock auf die Hände der Schüler ein, oder man musste sich umdrehen, sodass er einem den Hintern mit einem Schuh versohlen konnte. Einer der Lehrer benutzte für diese Folter sogar einen riesigen Zirkel. Natürlich polsterten sich die Schüler ihre Hosen mit Heften aus, aber dort sahen die Pauker vorher immer nach. Die Tortur nannten sie „Sechs Glücksgefühle“, was sechs schmerzhafte Hiebe bedeutete. Sie waren keine Unmenschen, nein, man konnte auswählen: „Wo willst du die Schläge hin haben – auf den Hintern oder die Hand?“
Die bestrafenden Lehrer trugen das dann im so genannten Schwarzen Buch ein. Jedes Mal, wenn sie einen erwischten, schauten sie dort nach. „Was, der letzte Eintrag war erst vor zwei Tagen?“
Ich erinnere mich nur noch an wenige Lehrer. Mister Low unterrichtete Musik. Von ihm lernte ich kaum was, denn in der Schule bedeutete Musik Blockflötenspielen. Es gab damals keine anderen Instrumente, und so mussten wir in die verdammten Dinger blasen. Manchmal denke ich noch an Mister Williams, den Mathelehrer. Das verwundert mich selbst, denn ich ging fast nie zum Unterricht. Ich hasste Mathe, langweilte mich zu Tode und wurde oft vor die Tür gesetzt. Manchmal hatte ich gar nichts angestellt, stand nur auf der Türschwelle, wo mir ein schallendes „Raus!“ entgegen tönte.
Wirklich verrückt. Aber so war das früher nun mal.
5: Aus der Dunkelheit ins trügerische Licht
Dad und seine Brüder spielten Akkordeon. Sie waren eine recht musikalische Familie. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als ein Drumset, hatte aber keinen Platz, um es aufzubauen. Wegen des Lärms hätte ich es auch nicht in unserem winzigen Haus spielen können. Da blieb mir nur die Wahl zischen dem Akkordeon oder gar keinem Instrument. Ich begann damit im Alter von zehn Jahren, und habe immer noch ein Bild von mir und dem verdammten Ding, das bei uns im Hinterhof geschossen wurde.