Iron Man. Tony Iommi
für Linkshänder fand. Als Verstärker benutzte ich einen Selmer mit eingebautem Echo.
Die Rockin’ Chevrolets mussten sich auflösen, denn sie hatten Alan Meredith rausgeworfen, ohne den aber nichts lief. The Birds & The Bees waren die nächste größere Band. Ich spielte vor und bekam den Job. Sie hatten sich schon in der Profi-Liga etabliert. Das Auftragsbuch war prall gefüllt. Sogar eine Europa-Tournee stand bevor. Die Entscheidung fiel leicht – ich wollte Profi werden und hing dafür den Tagesjob an den Nagel. Zu der Zeit malochte ich als Schweißer in einer Fabrik. Am letzten Arbeitstag, einem Freitag, erzählte ich meiner Mutter in der Mittagspause, dass ich auf die letzten Stunden pfeife. Sie bedrängte mich aber, den Job anständig abzuschließen. Was ich auch tat. Ich ging zurück zur Arbeit. Und dann zerfiel meine ganze Welt zu einem Scherbenhaufen.
6: Autsch!
Wie ich schon sagte, passierte es am letzten Arbeitstag. Eine Frau musste an einer Stanze Metallbleche verformen und ich schweißte sie dann aneinander. An jenem Freitag kam sie nicht zur Arbeit. Da ich nichts anderes zu tun hatte, stellten sie mich an die Stanze. Ich hatte bislang noch nie an der Maschine gearbeitet und wusste nicht, wie man sie bediente. Das Monster glich einer überdimensionalen Guillotine, die durch ein Fußpedal angesteuert wurde. Man schob also das Blech da rein, trat auf das Pedal, und schon kam das Stanzwerkzeug mit einem ohrenbetäubenden Knall runter und bog das Metall.
Am Morgen lief alles prima. Als ich aus der Mittagspause zurückkam, betätigte ich den Fußschalter und die Presse quetschte meine mittleren Finger ein. Reflexartig zog ich schnell die Hand zurück und riss mir dabei die zwei Finger ab. Streck mal deine Hand aus und stell dir eine Linie zwischen den Fingerkuppen des kleinen und des Zeigefingers vor. Der überstehende Teil vom Mittel- und Ringfinger wurden abgetrennt. Aus der blutigen Masse stachen die Knochen hervor. Ich dachte, ich träume. Überall war Blut. Ich stand so sehr unter Schock, dass ich zuerst gar keine Schmerzen spürte.
Man brachte mich ins Krankenhaus, aber anstatt etwas gegen die Blutungen zu unternehmen, steckte man meine Hand einfach in eine Plastiktüte. Sie füllte sich schnell mit Blut. Ich bekam Panik. Wenn mir keiner zu Hilfe eilte, würde ich verbluten.
Ein wenig später brachte jemand die abgetrennten Fingerstummel ins Hospital – in einer Streichholzschachtel. Sie hatten sich schon schwarz verfärbt und konnten demzufolge nicht mehr angenäht werden. Schließlich entnahmen sie Gewebe vom Arm, legten es über die verletzten Kuppen und nähten es an. Da ich beide Fingernägel verloren hatte, entnahmen sie faseriges Hautmaterial von einer gesunden Nagelwurzel, in der Hoffnung, dass vielleicht ein kleiner Fingernagel wachsen würde. Dann modellierten sie die Kuppen mit Hautgewebe und vernähten die Wunde.
Ich hockte zu Hause und fiel in eine tiefe Depression. Das war’s also: Ende, Schluss, aus! Die Realisierung dieses Schicksalsschlags fiel mir verdammt schwer. Ich war gerade bei einer tollen Band mit einer viel versprechenden Zukunft eingestiegen und wurde am allerletzten Arbeitstag zum lebenslangen Krüppel. Der Manager der Fabrik, ein älterer, glatzköpfiger Mann mit einem dünnen Schnurrbart namens Brian, besuchte mich einige Male. Er merkte, wie tief ich in einem schwarzen Loch steckte. Eines Tages brachte er mir eine EP mit und sagte: „Leg die mal auf.“
Ich antwortete: „Nein, das will ich wirklich nicht.“
Jetzt Musik zu hören, war sicherlich kein geeigneter Weg, um meine Stimmung aufzuheitern.
Mit sanfter Stimme drängte er mich: „Du solltest es aber hören, denn ich will dir eine interessante Geschichte erzählen. Der Typ spielt mit nur zwei Fingern Gitarre.“
Es war der überragende, in Belgien geborene Jazz-Gitarrist Django Reinhardt, und verdammt noch mal – sein Spiel überwältigte mich. Wenn er das geschafft hat, werde ich es auf jeden Fall versuchen. Brian hatte sich Sorgen gemacht und mit seinem Geschenk viel Mitgefühl bewiesen. Ich weiß nicht, wo ich ohne ihn gelandet wäre. Nachdem ich die Musik gehört hatte, war ich fest entschlossen, etwas aus mir zu machen, statt Trübsal zu blasen.
Die zwei Finger steckten immer noch in dem Verband, und so versuchte ich mit dem kleinen und dem Zeigefinger zu üben, was sich als ziemlich frustrierend herausstellte. Wenn man erst mal auf einem bestimmten spielerischen Niveau angelangt ist, ist es verdammt hart, wieder von vorn zu beginnen.
Vielleicht sollte ich die Gitarre umdrehen und als Rechtshänder spielen? Im Nachhinein wäre das vielleicht eine praktikable Alternative gewesen. Doch damals befürchtete ich, bei einem Wechsel der Griffhand die gleiche Zeit zu benötigen, die ich schon ins Instrument investiert hatte. So entschloss ich mich, als Linkshänder weiterzumachen. Ich biss mich durch, obwohl mir die Ärzte abrieten: „Es ist besser für dich, aufzuhören. Such dir einen neuen Job, mach was anderes.“
Aber zum Teufel noch mal, es musste doch irgendwie klappen.
Ich dachte darüber nach und kam auf die Idee, über die Finger eine Art Kappe zu stülpen. Schnell schnappte ich mir eine Flasche Fairy Liquid, schmolz sie, rollte die zähflüssige Plastikmasse zu einem Ball zusammen und wartete, bis sie sich abgekühlt hatte. Mit einem glühenden Stahlstab brannte ich ein Loch von der Größe meines Fingers in ihn rein. Die scharfen Kanten entfernte ich mit einem Messer, anschließend bearbeitete ich das Stück stundenlang mit Schmirgelpapier, bis es glatt genug war und einem Fingerhut ähnelte. Ich steckte das Ding auf einen Finger und versuchte damit Gitarre zu spielen, doch es fühlte sich nicht gut an. Das Plastik rutschte immer von den Saiten ab. Da die Wunden noch nicht richtig verheilt waren, tat es auch höllisch weh. Ich musste mir ein anderes Material suchen und versuchte es mit hartem Stoff, der natürlich schnell zerriss. Als nächstes kamen verschiedene Lederstärken an die Reihe, was auch nicht funktionierte. Glücklicherweise fand ich eine uralte Lederjacke, aus der ich ein hartes Stück trennte. Ich formte es so, dass es auf den Plastik-Fingerhut passte, und klebte es fest. Nachdem es getrocknet war, probierte ich die neue Prothese und – verdammt noch mal – ich konnte die Saiten gut treffen. Ich schliff das Leder mit feinem Papier und rieb es an einer harten Oberfläche, damit sich die Poren schlossen und es sich nicht zu schnell am Griffbrett verfing. Es musste so beschaffen sein, dass ich mühelos die Saiten rauf und runter rutschen konnte.
Trotz der Fingerhüte tat es noch weh. Auf der Kuppe meines Mittelfingers sieht man eine kleine Wölbung, unter der sich direkt der Knochen befindet. Ich muss immer höllisch aufpassen, denn wenn die Prothese abfällt und ich mit voller Wucht in die Saiten greife, platzt die Haut auf. Meine ersten künstlichen Fingerkuppen fielen ständig runter. Das entwickelte sich zu einem leidigen Problem. Der Roadie musste oft auf der Bühne herumkriechen und fluchte: „Wo ist das Scheißding denn hin?“
Jedes Mal, wenn ich die Bühne betrete, wickele ich mir medizinisches Pflaster um die beiden Finger, streiche ein wenig Sekundenkleber darauf und stecke dann die Prothesen auf. Natürlich muss ich mir das jeden Abend wieder abreißen.
Ich verlor die „Fingerhütchen“ nur einige Male. Auf einer Tournee lebe ich mit diesen Dingern und trage sie immer bei mir. Natürlich besitze ich ein Ersatz-Set und auch mein Gitarrentechniker hält ein Paar bereit.
Mit den Teilen unbehelligt durch den Zoll zu kommen, ist ein anderes Thema. Ich bewahre sie in einer kleinen Schachtel auf. Bei einer Kontrolle höre ich oft den Spruch: „Na, was haben wir denn hier? Etwa Drogen?“
Und dann – was für ein Schock – sind es Finger! Ich musste es dem Zollpersonal schon mehrmals erklären, woraufhin die Antwort immer lautete: „Igitt!“
Mit angewiderter Miene legen sie den Fingerersatz wieder in das Schächtelchen.
Die Fingerhüte werden heutzutage in der orthopädischen Abteilung eines Krankenhauses hergestellt. Sie fertigen dafür einen kompletten Arm an, von dem die Fingerspitzen abgeschnitten werden. Als ich nachfragte, warum nicht nur die Finger produziert werden, meinten sie: „Viel zu kompliziert. Es ist viel leichter einen ganzen Arm zu gießen.“
Da kann man sich gut vorstellen, wie sich der Müllmann fühlt, der den „Restarm“ in der Tonne findet. Meine heutigen Prothesen sehen wie richtige Finger aus. Ich muss sie nicht mehr aus Leder herstellen, sondern kann sie direkt benutzen. Manchmal sind sie ein wenig zu weich, aber nach einiger Zeit an der frischen